Duisburg, 17. Januar 2019 - Der Vermerk
zum Rechtsgespräch vom 16.01.2019, den der Vorsitzende der
6. Großen Strafkammer in der Hauptverhandlung vom 17.01.2019
verlesen hat, lautet im Wortlaut wie folgt:
„Der
wesentliche Inhalt und Ablauf des Rechtsgesprächs stellte
sich wie folgt dar: Der Vorsitzende stellte zunächst den
geplanten Ablauf des Rechtsgesprächs vor. Sodann führte er
wie folgt aus: Bereits der bisherige Verlauf der
Beweisaufnahme habe deutlich ge-zeigt, dass es sich bei der
Loveparade 2010 um ein äußerst komplexes und vielschichtiges
Geschehen unter Beteiligung zahlreicher Personen und
Institutionen gehandelt habe. Daraus hätten sich vielfältige
tatsächliche und rechtliche Fragestellungen ergeben.
Nach Auffassung des Gerichts sei es richtig gewesen, die
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.
Februar 2014 zur Hauptverhandlung zuzulassen und das
Hauptverfahren zu eröffnen. Nun, nach 96
Hauptverhandlungstagen, dem Eingang des vollständigen
vorbereitenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen
Prof. Dr. Gerlach, der Vernehmung besonders wichtiger Zeugen
sowie der Erhebung zahlreicher sonstiger Beweise, erscheine
es vertretbar, das Verfahren gegen die zehn Angeklagten
einzustellen.
Es bestehe noch immer eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass den Angeklagten –
sowohl den Mitarbeitern des Amtes für Baurecht und
Bauberatung als auch den Mitarbeitern der Veranstalterin –
die ihnen in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
Duisburg vom 10. Februar 2014 vorgeworfene Tat in der
Hauptverhandlung nachgewiesen werden könnte. Insbesondere
dürfte nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten
jedenfalls auch die etwaige fehlerhafte Einschätzung der
Eignung des ausgewählten Veranstaltungsraumes für das
Veranstaltungs-konzept und die Besucherströme für den
Verlauf des Geschehens am 24. Juli 2010 und mithin auch für
den Tod von 21 Menschen sowie die Verletzungen einer
Vielzahl weiterer Personen ursächlich gewesen sein.
Das Gericht habe den Sachverhalt, so wie er sich im
derzeitigen Verfahrensstadium abzeichne, jedoch auch
daraufhin zu prüfen, wie groß das Ausmaß der Schuld wäre,
wenn die Feststellungen in einer Hauptverhandlung diesem
Bild entsprächen. Dabei dürfe es die strafrechtliche
Relevanz nicht nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit
und Schuld feststellen; es dürfe sie lediglich unterstellen
(vgl. BVerfG, Be-schluss vom 29.05.1990 – 2 BvR 254/88, 2
BvR 1343/88, Rn. 38). Dies sei Ausfluss der
Unschuldsvermutung.
Unter diesen Voraussetzungen so
der Vorsitzende – gelte hier Folgendes: Sicherlich wiege
besonders schwer, dass im Zusammenhang mit der Loveparade am
24. Juli 2010 in Duisburg 21 Menschen zu Tode ge-kommen und
jedenfalls zahlreiche weitere Personen verletzt worden
seien. Insgesamt habe dieses tragische Ereignis großes Leid
über eine Vielzahl von Personen gebracht. Die Folgen seien
außergewöhnlich schwer.
Wenn man unterstelle, dass
den Angeklagten die mit der Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10. Februar 2014
vorgeworfene Tat in der Hauptverhandlung nachgewiesen werden
könnte, dürfte die Schuld der Angeklagten gleichwohl im noch
geringen bis allenfalls mittleren Bereich liegen.
Das Maß einer etwaigen Vorwerfbarkeit bemesse sich nämlich
nicht al-lein nach dem Umfang der Schadensfolgen. Vielmehr
sei die Gesamtheit derjenigen schuldbezogenen Umstände, die
auch für die Strafzumessung, insbesondere nach § 46 Abs. 2
StGB, von Bedeutung wären, zu berücksichtigen (Beulke, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2008], § 153, Rn. 24).
Zudem dürfe nicht allein auf ein etwaiges Verschulden im
Zeitpunkt der Tatbegehung abgestellt werden. Es sei
viel-mehr zu prüfen, welche Strafe auch im Hinblick auf die
lange Verfahrensdauer und die Tatsache, dass die Angeklagten
jahrelang unter dem Druck des Verfahrens gestanden hätten,
bei Abschluss des Verfahrens einen gerechten Schuldausgleich
herbeiführen würde, sofern man unterstelle, dass ihnen die
Tat nachgewiesen werden könnte (BGH, Beschluss vom 3.
November 1989 – 2 StR 646/88, zitiert nach juris, vgl. BGH,
Beschluss vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 240/06, zitiert nach
juris).
Schuldmindernd wäre danach hier zu
berücksichtigen, dass das Geschehen bereits achteinhalb
Jahre zurückliege und nach dem derzeitigen Stand – wie
später näher ausgeführt werden würde – mit einer weiteren
erheblichen Verfahrensdauer zu rechnen sein dürfte. In
vergleich-barer Weise habe der Bundesgerichtshof mit
Beschluss vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 240/06 (zitiert nach
juris) befunden, dass die Einstellung des Verfahrens wegen
Untreue durch Verstoß gegen das Parteiengesetz nach § 153
Abs. 2 StPO angemessen erscheine, weil angesichts der mehr
als sieben Jahre zurückliegenden Tat, der zu erwartenden
weiteren erheblichen Verfahrensdauer sowie der für den
Angeklagten damit verbundenen Folgen dessen Schuld als
gering im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sei und ein
öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung nicht mehr
bestehe.
Zudem wäre vorliegend – so der Vorsitzende
weiter – schuldmildernd zu beachten, dass sämtliche
Angeklagten nach derzeitigen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der
ihnen vorgeworfenen Tat strafrechtlich nicht vorbelastet
gewesen und auch in der erheblichen Zeit nach dem Geschehen
strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sein dürften.
Für das Maß einer etwaigen Pflichtwidrigkeit wäre auch zu
berücksichtigen, dass die Angeklagten ein jeder für sich –
auch wenn man mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach
unterstelle, dass der Veranstaltungsraum für das
Veranstaltungskonzept und für die Besucherströme nicht
geeignet ge-wesen sein sollte – intensive Vorbereitungen
betrieben haben dürften, um die Veranstaltung aus ihrer
Sicht dennoch sicher zu gestalten.
Zugunsten der
Angeklagten E1, H1 und E2 könnte zudem zu berücksichtigen
sein, dass ihnen lediglich ein Unterlassen – namentlich die
nicht ordnungsgemäße Wahrnehmung der ihnen obliegenden
Aufsichts- und Überwachungspflichten gegenüber den
Mitangeklagten K, C und H2 – zur Last gelegt werde und somit
eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1
StGB in Betracht kommen könnte. Dabei verkenne das Gericht
nicht, dass bei Fahrlässigkeitstaten ein Unterlassen
vielfach nicht weniger strafwürdig sei als ein positives Tun
(Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage
[2014], § 13, Rn. 64; OLG Stuttgart, Urteil vom 5. April
2005 – 5 Ss 12/05, zitiert nach juris).
Des Weiteren
wäre zu Gunsten aller Angeklagten zu berücksichtigen, dass
die gesetzlichen und organisatorischen Regelungen für die
Planung und Durchführung von Großveranstaltungen nach den
bisherigen Erkenntnissen während der Planungs- und
Durchführungsphase der Loveparade 2010 in Duisburg
lückenhaft gewesen sein dürften. Insbesondere dürften
Maßnahmen und Nachweise zum Ausschluss von Stauungen und
Drucksituationen über einen längeren Zeitraum oder zur
Kompensation kurzzeitiger Überlastungen, vor allem
Betrachtungen und Nachweise von Engstellen,
Vereinzelungsanlagen oder abgegrenzten Wegen bis zur
Loveparade 2010 in Duisburg als feste Bestandteile von
Sicherheitskonzepten für Großveranstaltungen nicht üblich
gewesen sein. Jedenfalls hätten sich bisher – auch nach dem
umfassenden vorbereitenden schriftlichen Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach – keine entsprechenden
Hinweise ergeben. Vielmehr dürften nach den derzeitigen
Erkenntnissen erst die Geschehnisse bei der Loveparade 2010
in Duisburg das Ministerium für Inneres und Kommunales des
Landes NRW (MIK NRW) im Februar 2011 veranlasst haben, unter
Beteiligung des Bauministeriums eine Projektgruppe,
bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern
nordrhein-westfälischer Unternehmen und Kammern, Verbänden,
Hochschulen, Behörden sowie der kommunalen Spitzenverbände,
einzusetzen, um die Sicherheit bei Großveranstaltungen zu
verbessern.
Auch die in dieser Projektgruppe
vermeintlich gewonnenen Erkenntnisse – so der Vorsitzende –
dürften sich für die Angeklagten strafmildernd auswirken.
Die Projektgruppe habe nach den bisherigen Erkenntnissen
binnen zwei Jahren systematisch ausgewertet, welche
rechtlichen und organisatorischen Faktoren für die
Sicherheit von Großveranstaltungen relevant sein dürften, ob
sie in der Praxis ausreichten und welche Verbesserungen
erforderlich wären (Bericht der Projektgruppe „Sicherheit
bei Großveranstaltungen im Freien“, Stand Februar 2013, S.
7, abrufbar unter: www.mik.nrw.de). In diesem Zusammenhang
solle die Projekt-gruppe unter anderem ausgewählte Kommunen
nach Erfahrungen mit bestimmten Großveranstaltungen befragt
und dabei Folgendes festgestellt haben: Die Befragung habe
ergeben, dass die Praxis in Nordrhein-Westfalen im Hinblick
auf die Rechtsgrundlagen der Veranstaltungsgenehmigungen
selbst bei miteinander vergleichbaren Veranstaltungen sehr
heterogen gewesen sei (vgl. Bericht der Projektgruppe
„Sicherheit bei Großveranstaltungen im Freien“, Stand
Februar 2013, S. 18, abruf-bar unter: www.mik.nrw.de).
Weiter solle die Projektgruppe darauf hin-gewiesen haben,
dass sie Lücken in den gesetzlichen Grundlagen zur
Durchführung von Großveranstaltungen identifiziert habe, die
vor allem bei Veranstaltungen auf privaten Flächen und auf
Straßen im Einzelfall bestehen könnten (vgl. Bericht der
Projektgruppe „Sicherheit bei Groß-veranstaltungen im
Freien“, Stand Februar 2013, S. 52, abrufbar unter:
www.mik.nrw.de). Eine Koordinierung der zum Teil mehrfachen
Genehmigungsverfahren für eine Veranstaltung sei nicht
selbstverständlich gewesen, sondern nur erfolgt, wenn sich
die Genehmigungsbehörde oder die Genehmigungsbehörden für
ein koordiniertes Verfahren entschieden hätten (vgl. Bericht
der Projektgruppe „Sicherheit bei Großveranstaltungen im
Freien“, Stand Februar 2013, S. 52, abrufbar unter:
www.mik.nrw.de).
Vor diesem Hintergrund – so der
Vorsitzende weiter – müsste mithin zu Gunsten der
Angeklagten berücksichtigt werden, dass sie weitgehend
gezwungen gewesen sein dürften, eigene Mechanismen des
Zusammenwirkens zwischen den verschiedenen beteiligten
Institutionen zu erarbeiten. Zudem dürften sie nach dem
bisherigen Ermittlungsstand ein koordiniertes Verfahren
während der Planungsphase zur Loveparade 2010 jedenfalls
angestrebt haben. So dürfte der Arbeitsgruppe 4
„Sicherheit“, der neben der Veranstalterin und dem Amt für
Baurecht und Bauberatung jedenfalls auch das Ordnungsamt,
die Feuerwehr, die Bundes- und Landespolizei und die
Deutsche Bahn AG angehört haben dürften, grundsätzlich die
Aufgabe oblegen haben, alle sicherheitsrelevanten Themen zu
besprechen und die Veranstaltung in ihrer Gesamtheit zu
bewerten. Letzteres – und dies dürfte allen an der Planung
beteiligten, mit Sicherheitsfragen befassten Institutionen
gemein gewesen sein – dürfte nur unzureichend gelungen sein.
Der Blick auf das große Ganze dürfte oftmals zu kurz
gekommen sein.
Ferner wäre zu Gunsten der
Angeklagten im besonderen Maße zu berücksichtigen, dass nach
dem vorbereitenden schriftlichen Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach ein pflichtwidriges
schuldhaftes Verhalten Dritter als Mitursache vorgelegen
haben dürfte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 1999 – 2
StR 416/98, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom
3. Februar 1997 – 4 Ws 230/96, zitiert nach juris). Dass ein
etwaiges pflichtwidriges schuldhaftes Verhalten Dritter zu
berücksichtigen sei, habe der Bundesgerichtshof bereits im
Beschluss vom 10. Februar 1999 – 2 StR 416/98 entschieden
und ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung
gegen eine Narkoseärztin nach § 153 Abs. 2 Satz 1 StPO
eingestellt. Dabei habe der Bundesgerichtshof unterstellt,
die angeklagte Narkoseärztin habe bei einer Gaumenoperation
einem fünf Monate alten Kind statt einer Kochsalzlösung, die
sie zum Durchspülen des venösen Zugangs habe ein-setzen
wollen, aus einer auf ungeklärte Weise in die Nähe gelangten
Flasche irrtümlich Wasserstoffperoxid injiziert, wodurch das
Kind schwerste irreversible Hirnschädigungen erlitten habe.
Der Bundesgerichtshof habe zu Gunsten der angeklagten
Narkoseärztin berücksichtigt, dass es nach den
Feststellungen des landgerichtlichen Urteils naheliegend
sei, dass der folgenschwere Irrtum der Angeklagten durch
pflichtwidrig schuldhaftes Verhalten von Hilfskräften
mitverursacht worden sei.
Nach der bisherigen
Beweisaufnahme – so der Vorsitzende – liege na-he, dass an
der Planung und Durchführung der Loveparade 2010 in Duisburg
eine Vielzahl von Personen und Institutionen beteiligt
gewesen sein dürfte. Insbesondere dürften neben Vertretern
der Veranstalterin und des Amtes für Baurecht und
Bauberatung unter anderem auch Vertreter des Ordnungsamtes,
der Feuerwehr, der Deutschen Bahn AG, der Bundespolizei
sowie der Landespolizei intensiv in die Planung und
Durchführung der Veranstaltung eingebunden gewesen sein.
Jedenfalls punktuell dürften auch Sachverständige mit der
Planung befasst gewesen sein. Dennoch hätten sich bisher
keine Hinweise ergeben, dass am Ende der Planungsphase noch
von irgendeinem Beteiligten durchgreifende Bedenken geltend
gemacht worden wären, was ebenfalls für die Angeklagten
sprechen dürfte.
Maßgeblich dürfte zudem zu
berücksichtigen sein, dass nach dem vor-bereitenden
schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach jedenfalls nicht auszuschließen sein dürfte, dass
der fatale Geschehensablauf während der Loveparade am 24.
Juli 2010 in Duisburg auch auf ein kollektives Versagen in
der Durchführungsphase zurückzuführen sein könnte. So
dürften die den Angeklagten zur Last gelegten Handlungen und
Unterlassungen, unterstellt, selbige könnten nachgewiesen
werden, nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten
jedenfalls nicht die alleinigen Ursachen des tragischen
Geschehens bei der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg
gewesen sein. Vielmehr dürfte es sich danach um ein
multikausales Geschehen gehandelt haben.
So führe
der Sachverständige Prof. Dr. Gerlach in seinem
vorbereiten-den schriftlichen Gutachten resümierend aus,
dass es nach seinem der-zeitigen Kenntnisstand so gewesen
sein könnte, dass eine unkoordinierte Steuerung von
Personenströmen am Veranstaltungstag in einem
Veranstaltungsraum, der für das Veranstaltungskonzept und
für die er-warteten und tatsächlichen Besucherströme im Zu-
und Abfluss zur und von der Eventfläche nicht geeignet
gewesen sei und dessen Nichteignung im Vorfeld der
Veranstaltung nicht erkannt worden sei, die tragischen
Ereignisse verursacht habe.
Als unmittelbaren
Auslöser der Menschenverdichtung auf der Rampe Ost benenne
der Sachverständige nach vorläufiger Bewertung die gegen
16:01 Uhr erfolgte unpassende Anordnung der dritten
Polizeikette zwischen querschnittsverengenden Zaunelementen
auf der Rampe Ost. Infolge der Einrichtung der dritten
Polizeikette dürfte ein beidseitiger Rückstau südlich der
Polizeikette zufließender und nördlich der Polizei-kette
abfließender Besucherinnen und Besucher entstanden sein, der
auch nach Auflösung der dritten Polizeikette gegen 16:24 Uhr
zu einer Blockade der Personenströme geführt haben dürfte.
Südlich der querschnittsverengenden Zaunelemente dürfte das
Gedränge so dicht ge-wesen sein, dass Wellenbewegungen und
Gefahren für Leib und Leben der Besucherinnen und Besucher
entstanden sein dürften. Die drei dort befindlichen und gut
sichtbaren Anlagen der Treppe, des südlichen Lichtmastes und
des Containers dürften sodann zu Magnetpunkten und der Druck
in diese Richtungen so groß geworden sein, dass die
Bewegungsabläufe in den drei Menschentrauben und bei
ausgedehnten Wellenbewegungen vermutlich größtenteils
fremdbestimmt gewesen sein dürften. Nach den vorläufigen
Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach in
seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten dürfte weiter
anzunehmen sein, dass bei einer Wellenbewegung eine größere
Menge an Personen vermutlich in Richtung Tunnel zunächst in
Schräglage geraten, und dann zu Boden gegangen sein dürfte.
An-schließend dürften wahrscheinlich Personen unmittelbar
vor diesem „Menschenhaufen“ gestanden haben und bei weiteren
Wellenbewegungen aus allen Richtungen auf die bereits am
Boden liegenden Personen im „Menschenhaufen“ gefallen sein.
Die dritte Polizeikette dürfte – so der
Sachverständige Prof. Dr. Gerlach in seinem vorbereitenden
schriftlichen Gutachten – jedoch ebenfalls nicht
alleinursächlich gewesen sein. Vielmehr dürfte auch die
fehlerhafte Einschätzung der Eignung des
Veranstaltungsraumes nach der vorläufigen Bewertung des
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach ein Auslöser für die
tragischen Ereignisse gewesen sein. So seien sowohl die
Vereinzelungsanlagen als auch der Übergangsbereich zwischen
den Rampen West und Ost und der Eventfläche bereits nach der
Planung unterdimensioniert gewesen. Insbesondere im
Übergangsbereich zwischen der Rampe Ost und der Eventfläche
– der nach den bisherigen Erkenntnissen die einzige
Möglichkeit dargestellt haben dürfte, sämtliche Attraktionen
der Loveparade zu erreichen und über welchen deshalb
planmäßig zahlreiche Ver- und Entflechtungsvorgänge hätten
abgewickelt werden sollen – habe die Gefahr eines Rückstaus
bestanden. Ein solcher Rück-stau dürfte sich nach den
bisherigen Erkenntnissen auch kurz nach Beginn der
Floatparade eingestellt haben. Ohne den Rückstau, der sich
insbesondere zwischen der Rampe Ost und der Eventfläche
gebildet haben dürfte, wäre es wohl nicht zur Einrichtung
von Polizeiketten ge-kommen. Zudem dürften nach den
schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach auch nicht abgestimmte Öffnungen der
Vereinzelungsanlagen trotz angeordneter Schließung
mitursächlich gewesen sein. Letzteres dürfte nach dem
Sachverständigen sowohl auf den erheblichen Rückstau vor den
Vereinzelungsanlagen – und damit auf deren
Unterdimensionierung – als auch auf erhebliche Störungen in
der Kommunikation der beteiligten Institutionen
zurückzuführen sein. Bei einer fortwirkenden Schließung der
Vereinzelungsanlagen hätten sich sehr wahrscheinlich
deutlich weniger Menschen südlich der dritten Polizeikette
befunden, die das Eventgelände hätten erreichen wollen.
Darüber hinaus dürften nach derzeitigem Kenntnisstand
Entscheidungen am Veranstaltungstag größtenteils
lageabhängig, bisweilen entgegen vorheriger Absprachen, etwa
geschehen im Szenarienworkshop vom 8. Juli 2010, getroffen
worden sein, und zwar teilweise anhand der jeweiligen Lage
im unmittelbaren Umfeld der jeweiligen Steuerungseinheit und
nicht durchgängig anhand der Lage im Gesamtsystem. So dürfte
insbesondere keine gemeinsame Abstimmung mit Blick sowohl
auf die Rückstaus vor den Vereinzelungsanlagen als auch auf
den Rück-stau im Übergangsbereich zwischen der Rampe Ost und
der Eventfläche stattgefunden haben. Zudem bestünden
Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund von Kommunikationsmängeln
nicht alle Informationen über die jeweiligen
Steuerungsmaßnahmen an die anderen „Regler“ dieses sensiblen
Systems übermittelt worden sein könnten. Dies dürfte umso be-deutender
sein, als der Sachverständige Prof. Dr. Gerlach in seinem
vorbereitenden schriftlichen Gutachten ausgeführt habe, dass
aus seiner Sicht auch am Veranstaltungstag – gerade vor dem
Hintergrund der installierten umfassenden Kameraüberwachung
– noch Möglichkeiten für alle beteiligten Institutionen
bestanden hätten, die tragischen Ereignisse zu verhindern.
Ferner nenne der Sachverständige in seinem vorbereitenden
schriftlichen Gutachten weitere Tatsachen, für die nach
derzeitigem Kenntnis-stand jedenfalls nicht auszuschließen
sein dürfte, dass sie für die tragischen Ereignisse
mitursächlich gewesen sein könnten. So könne nach den
Ausführungen des Sachverständigen das vermeintlich späte
Ein-greifen von Ordnern der Veranstalterin und Kräften der
Landespolizei zur Auflösung der Menschenverdichtung
mitursächlich gewesen sein; gleichwohl nicht auszuschließen
sei, dass sich auch bei einem zeitigen Eingreifen ein
„Menschenhaufen“ gebildet hätte. Des Weiteren könne die
Durchfahrt eines Polizeifahrzeuges, welches gegen 16:42 Uhr
die Vereinzelungsanlage West passiert habe und gegen 16:51
Uhr in den unteren Bereich der Rampe Ost eingefahren sei, wo
es bis gegen 17:01 Uhr verblieben sei, infolge der
Flächeninanspruchnahme und/oder infolge des Verhaltens bei
Wahrnehmung des Alarmsignals zu abrupten Bewegungen der dort
befindlichen Menschen geführt haben, die wiederum
Wellenbewegungen verursacht und jedenfalls die ohnehin
bereits vorhandenen Wellenbewegungen verstärkt haben
könnten.
Insgesamt dürften – so der Vorsitzende
weiter – die tragischen Ereignisse auf der Loveparade in
Duisburg am 24. Juli 2010 damit – wie auch der
Sachverständige Prof. Dr. Gerlach in seinem vorbereitenden
schriftlichen Gutachten ausführe – nach derzeitigem
Kenntnisstand auf wo-möglich zahlreiche Ursachen
zurückzuführen sein, die gemeinsam ge-wirkt und deren
Ursachen und Wirkungen mehrfach miteinander korreliert haben
dürften. Unterstellt den Angeklagten könnte die ihnen
vorge-worfene Tat nachgewiesen werden, wären mithin zu ihren
Gunsten sehr wahrscheinlich zahlreiche weitere Ursachen zu
berücksichtigen, die dem pflichtwidrigen schuldhaften
Handeln einer Vielzahl an der Planung und Durchführung der
Loveparade 2010 in Duisburg Beteiligter zuzurechnen sein
dürften.
Unter Berücksichtigung aller Umstände,
insbesondere des wohl gemeinsamen Zusammenwirkens einer
Vielzahl miteinander korrelierender Ursachen, erscheine
damit nach derzeitigem Verfahrensstand die Bewertung
möglich, dass eine etwaige Schuld der Angeklagten trotz der
besonders schwerwiegenden Folgen im noch geringen bis
allenfalls mittleren Bereich liegen dürfte. Der
Anwendungsbereich der §§ 153, 153a StPO dürfte damit
grundsätzlich eröffnet sein.
Weiter maßgeblich für
eine etwaige Einstellung nach den §§ 153, 153a StPO sei die
Bewertung des öffentliches Interesses an der
Strafverfolgung. Dabei sei in einem ersten Schritt zu
prüfen, ob nach derzeitiger Bewertung noch ein öffentliches
Interesse an der Strafverfolgung bestehe. Sei dies nicht der
Fall und sei die Schuld als noch gering an-zusehen, so habe
eine Anwendung des § 153 StPO vor der des § 153a StPO
bereits nach der Systematik des Gesetzes Vorrang (vgl.
Beulke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2007], §
153a, Rn. 35). Könne das Fortbestehen eines öffentlichen
Interesses an der Strafverfolgung festgestellt werden, sei
im Rahmen einer etwaigen Anwendung des § 153a StPO zu
bewerten, ob selbiges durch die Erteilung und Erfüllung von
Auflagen und Weisungen beseitigt werden könne (Beulke, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2007], § 153a, Rn. 35).
Im hiesigen Fall erscheine die Annahme, dass noch
immer ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
bestehe, durchaus vertretbar, wenngleich nach dem
derzeitigen Verfahrensstand auch besondere Umstände gegeben
sein dürften, die gegen ein solches Fortbestehen sprechen
könnten.
Entscheidend für die Feststellung des
öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung sei, ob
entweder zur Einwirkung auf den (potenziellen) Täter oder
aus Gründen anerkannter Generalprävention auf eine
Verfahrensfortsetzung mit dem Ziel einer strafrechtlichen
Sanktion nicht verzichtet werden könne (vgl. Beulke, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2007], § 153, Rn. 29, §
153a, Rn. 34). Was hingegen als Sanktionszweck illegitim
wäre, könne auch kein öffentliches Interesse im Sinne der §§
153, 153a StPO rechtfertigen (Beulke, in: Löwe-Rosenberg,
StPO, 26. Auflage [2007], § 153, Rn. 28, § 153a, Rn. 34).
Die Strafverfolgung als solche sei kein die
Verfahrensfortführung recht-fertigender Selbstzweck (Beulke,
in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufla-ge [2008], § 153, Rn.
28). Das öffentliche Interesse müsse vielmehr auf die
„Bestrafung“ eines Beschuldigten bzw. auf den Schuldspruch
gerichtet sein (Beulke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26.
Auflage [2008], § 153, Rn. 28).
Dabei dürfte – so
der Vorsitzende weiter – im hiesigen Fall Folgendes zu
berücksichtigen sein: Die Angeklagten seien nach den
bisherigen Ermittlungen noch nie straf-rechtlich in
Erscheinung getreten. Zudem dürfte die Planung und
Durch-führung der Loveparade 2010 in Duisburg ein einmaliges
und nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach in seinem vorbe-reitenden schriftlichen Gutachten
auch ein besonderes, im Hinblick auf die Dynamik der
Besucherströme sogar ein einzigartiges Ereignis ge-wesen
sein. Darüber hinaus dürften sich die rechtlichen und
organisatorischen Rahmenbedingungen im Vergleich zur
Planungs- und Durchführungsphase für die Loveparade 2010 in
Duisburg heute deutlich verändert haben. Anhaltspunkte
dafür, dass die Angeklagten die heutigen Regelungen und
Empfehlungen bewusst nicht einhalten würden, habe die
bisherige Beweisaufnahme nicht ergeben. Aus
spezialpräventiven Gründen dürfte eine Fortführung der
Strafverfolgung nach dem derzeitigen Verfahrensstand daher
nicht erforderlich sein.
Besondere Bedeutung – so
betonte der Vorsitzende – dürften hier generalpräventive
Gesichtspunkte haben. Im Zusammenhang mit der Love-parade am
24. Juli 2010 in Duisburg seien 21 Menschen zu Tode
ge-kommen und jedenfalls zahlreiche weitere Personen
verletzt worden. Dies seien außergewöhnlich schwere Folgen,
die grundsätzlich geeignet seien, ein öffentliches Interesse
an der Strafverfolgung zu begründen (vgl. Beulke, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2007], § 153, Rn. 31).
Insoweit erscheine auch ein subjektives
Bestrafungsverlangen von Nebenklägern verständlich,
wenngleich ein generelles Genugtuungsinteresse von
Verletzten noch kein öffentliches Interesse an der
Strafverfolgung zu begründen vermöge. Letzteres bestände
vielmehr nur dann, wenn durch die Nichtverfolgung die
berechtigten Interessen der Verletz-ten beeinträchtigt wären
(vgl. Beulke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2007],
§ 153, Rn. 32). Unter Berücksichtigung der bisherigen
Beweisaufnahme erscheine dies nach der vorläufigen
Einschätzung des Gerichts fraglich.
Es liege nunmehr
das sehr ausführliche, mehr als 3800 Seiten umfassende
vorbereitende schriftliche Gutachten des Sachverständigen
Prof. Dr. Gerlach vor, in welchem dieser sich ausführlich
mit der Planung und Durchführung der Loveparade 2010 in
Duisburg auseinandergesetzt habe. Dieses Gutachten könne und
werde dem Gericht dabei helfen, die dringende Frage zu
beantworten, wie es zu der Loveparade-Tragödie gekommen sei,
warum dort 21 Menschen gestorben und viele weitere verletzt
worden seien. Zudem habe das Gericht an 96
Hauptverhandlungstagen besonders wichtige Zeugen vernommen
sowie zahlreiche sonstige Beweise erhoben, die bereits zur
Aufklärung der Geschehnisse beigetragen hätten.
Gleichwohl erscheine der Ausgang des Strafverfahrens – auch
und gerade mit Blick auf das noch ausstehende Beweisprogramm
– weiterhin offen. Eine Verurteilung der hier angeklagten
Personen würde voraus-setzen, dass zunächst die der
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 14.
Februar 2010 und dem vorbereitenden schriftlichen Gutachten
des Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach zugrunde liegenden
Tatsachen zur Überzeugung der Kammer im Rahmen der
Haupt-verhandlung festgestellt werden könnten. Insbesondere
wären auch Feststellungen dahingehend erforderlich, dass die
vermeintlich ursächlichen Planungs- und Durchführungsfehler
nicht nur einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung des
jeweiligen Angeklagten entsprochen haben müssten, sondern
der jeweilige Angeklagte selbige nach seinen subjektiven
Kenntnissen und Fähigkeiten auch hätte vorhersehen und
vermeiden können. Dazu dürfte die Erhebung zahlreicher
weiterer Beweise erforderlich sein, so dass es noch einer
ganz erheblichen Verfahrensdauer bedürfte. Durch den
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach sei-en in seinem
umfangreichen vorbereitenden schriftlichen Gutachten – neben
den bereits vernommenen 58 Zeugen – etwa 575 weitere Zeugen
benannt worden, von denen jedenfalls ein überwiegender Teil
auch aus Sicht des Gerichts vor einer etwaigen
Entscheidungsreife zu vernehmen sein dürfte. Darüber hinaus
dürften noch einige der Nebenkläger zu vernehmen sein,
sofern deren gesundheitlicher Zustand eine Vernehmung
nunmehr zulassen würde, und es dürften mitunter umfangreiche
psychiatrische Gutachten zu den von einigen Nebenklägern
dargestellten psychischen Verletzungen einzuholen sein.
Selbst bei der Anberaumung und tatsächlichen Durchführung
von mehreren Verhandlungstagen pro Woche und einer
kooperativen Durchführung der Beweisaufnahme – wie sie an
den seit dem 8. Dezember 2017 stattgefundenen 96
Verhandlungstagen erfolgt sei – dürfte danach mit einer
weiteren ganz erheblichen Verfahrensdauer zu rechnen sein.
Die zuvor genannten Umstände dürften sich auf das
öffentliche Interesse an der (weiteren) Strafverfolgung
mindernd auswirken. Insoweit dürften auch die schutzwürdigen
Belange der Angeklagten zu berücksichtigen sein, die sich
dem Verfahren seit nahezu achteinhalb Jahren stellen
müssten.
Weiter dürfte zu bedenken sein, dass im
Juli 2020 das Prozesshindernis der absoluten Verjährung
eintreten würde. Ein öffentliches Interesse an einer
Strafverfolgung dürfte bei Annahme einer geringen Schuld
nicht (mehr) bestehen, wenn wahrscheinlich wäre, dass das
Verfahren letztlich in der Feststellung eines
Prozesshindernisses – nämlich der absoluten
Verfolgungsverjährung – enden würde. So habe der
Bundesgerichtshof im Urteil vom 9. Dezember 1987 – 3 StR
104/87 (zitiert nach juris) sinngemäß ausgeführt, dass das
öffentliche Interesse an der Wahrnehmung einer nur geringen
Wahrscheinlichkeit, den Sachverhalt im Sinne einer
Verurteilungsreife aufklären zu können, weggefallen sei,
weil innerhalb zumutbarer Zeit ein rechtkräftiger Abschluss
des Verfahrens nicht zu erwarten und eine etwaige Schuld der
Angeklagten gering sei.
Nach alledem komme
das Gericht – so der Vorsitzende – zu folgendem
Zwischenergebnis: Bewertete man eine etwaige Schuld der
Angeklagten als noch gering, dürfte ein öffentliches
Interesse an der Strafverfolgung heute nicht mehr vorliegen,
was dann zur Folge hätte, dass das Verfahren gegen sie nach
§ 153 StPO einzustellen wäre.
Käme man hingegen zu
dem Ergebnis, eine etwaige Schuld der Angeklagten würde
schon im mittleren Bereich liegen, dürfte ein öffentliches
Interesse an der Strafverfolgung zwar vorliegen, aber durch
die Erteilung einer Auflage oder Weisung zu beseitigen sein,
was die Anwendung des § 153a StPO ermöglichte.
Nach einer kurzen Unterbrechung führte
Oberstaatsanwalt Mühlhoff für die Staatsanwaltschaft
Folgendes aus: Die Staatsanwaltschaft sehe nach dem
bisherigen Verfahrensstand die Vorwürfe der Anklage
hinsichtlich sämtlicher Angeklagter im Wesentlichen als
bestätigt an. Es seien ein falsches Gelände ausgewählt und
gravierende Fehler bei der Planung gemacht worden. So hätten
Kapazitätsberechnungen hinsichtlich der
Vereinzelungsanlagen, Tunnel und Rampen gefehlt. Es seien
keine oder unzureichende Lösungen für tatsächlich erkannte
Probleme gefunden worden. Auch die Probleme am Rampenkopf
und die Engstellen im Rampenbereich seien keine
Überraschungen gewesen. Richtig sei auch, dass andere Leute,
sogenannte Experten, in der Hauptverhandlung keinen guten
Eindruck gemacht hätten. Es hätten auch Mitarbeiter vom
Ordnungsamt, der Feuerwehr und der Polizei Fehler gemacht.
Zudem sei auch am Veranstaltungstag selbst einiges „schief
gelaufen“.
Oberstaatsanwalt Mühlhoff wies auf die
fehlerhafte Kommunikation der Polizei sowie die
Polizeiketten hin. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die
damaligen Regelungen, auch hin-sichtlich von
Zuständigkeiten, optimierungsbedürftig gewesen seien. Aus
Sicht der Staatsanwaltschaft stellten die Polizeiketten
jedoch keine die Kausalität oder Zurechnung unterbrechenden
Maßnahmen dar. Die Angeklagten hätten während der langen
Planungsphase auch ein Problembewusstsein gehabt, was sich
schon aus aktenkundigen Erklärungen der Angeklagten H1
ergäbe. Es handele sich allerdings nicht um ein
Augenblicksversagen. Er sehe auch kein bedingt vorsätzliches
Verhalten der Angeklagten. Es sei darauf vertraut worden,
dass alles gut gehen werde. Etwaige Totschlags- oder
Mordvorwürfe seien daher abwegig.
Der Strafprozess
habe seine Aufgabe insbesondere im Hinblick auf sei-ne
Informations- und Transparenzfunktion im Wesentlichen
erfüllt. Dies gelte auch für das sorgfältige und
ausführliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach. Oberstaatsanwalt Mühlhoff wies sodann nochmals
lobend auf den bisherigen Prozessverlauf und das
konstruktive Verhalten der Beteiligten hin.
Die
Staatsanwaltschaft – so Oberstaatsanwalt Mühlhoff weiter –
werde heute keine abschließende Stellungnahme abgeben, wolle
aber bereits auf einige Punkte hinweisen. Zunächst sei es
sehr wünschenswert, dass die Angeklagten sich zur Sache
einlassen würden. Dies könne zu erheblichem Erkenntnisgewinn
führen, da interne Entscheidungsprozesse bisher nicht
vollständig hätten aufgeklärt werden können. Eine Einlassung
stelle jedoch keine „conditio sine qua non“ für eine etwaige
Einstellung dar. Andernfalls würde wohl ein unangemessener
Druck auf die Angeklagten ausgeübt werden.
Eine
Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, wie von dem Gericht
angesprochen, habe die Staatsanwaltschaft wegen der Folgen
sowie dem Umstand, dass es sich nicht um ein
Augenblicksversagen gehandelt habe, bisher nicht in Betracht
gezogen, was auch heute noch gelte. Es erscheine kaum
vorstellbar, die Tat ohne jegliche Sanktion zu belassen.
Weiter führte Oberstaatsanwalt Mühlhoff aus, dass die
Staatsanwaltschaft nicht von einer nur geringen Schuld der
Angeklagten ausgehe. Sicher seien die Angeklagten durch die
Verfahrensdauer und die Öffentlichkeit einem erheblichen
Druck ausgesetzt gewesen. Sie hätten aber weder
Untersuchungshaft verbüßt noch habe es gravierende
Verfahrensfehler gegeben. Anders als in dem von dem Gericht
zitierten Fall betreffend die Narkoseärztin sei auch nicht
von einem Augenblicksversagen auszugehen. Es habe sich um
eine ureigene Aufgabe der behördlichen Mitarbeiter und der
Planer gehandelt zu prüfen, ob die Sicherheit auf der
Veranstaltung hinreichend gewährleistet sei. Man habe den
Eindruck gewinnen können, dass niemand für den Bereich
hinter der Vereinzelungsanlage zuständig gewesen sei. Dies
stelle einen gravierenden Fehler dar.
Er – so
Oberstaatsanwalt Mühlhoff weiter – verstehe die Ausführungen
des Gerichts so, dass ein etwaiger Einstellungsbeschluss
begründet würde, so dass die Öffentlichkeit informiert würde
und generalpräventive Ziele erreicht würden. Es sei
abzuwägen zwischen einer möglichen weiteren Aufklärung des
Geschehens bis zum Jahr 2020 und der Frage, ob eine
Verfahrensfortsetzung den Angeklagten zumutbar wäre. Aus
spezialpräventiven Aspekten sei die Fortführung des
Verfahrens – wie das Gericht zutreffend dargestellt habe –
nicht geboten.
Schließlich warf Oberstaatsanwalt
Mühlhoff einige Fragen auf, die sich bei einer etwaigen
Einstellung stellen könnten. So sei zunächst die
Differenzierung zwischen den Angeklagten ein Problem. Es
könne sachg-recht erscheinen, unterschiedliche Auflagen zu
erteilen. Derzeit seien jedoch die finanziellen Verhältnisse
der Angeklagten nicht bekannt und die internen Hierarchien
stünden nicht hinreichend fest. Insoweit seien
gegebenenfalls weitere Zeugen zu vernehmen. Darüber hinaus
würde die Staatsanwaltschaft eine „Paketlösung“ bevorzugen,
hielte aber auch das Ausscheiden einzelner Angeklagter für
denkbar.
Für den Fall, dass das Verfahren
fortgesetzt werden würde, müssten sicherlich weitere Zeugen
vernommen werden. Die Staatsanwaltschaft habe insoweit
bereits eine Liste mit 47 Namen zusammengestellt, die zur
Akte gereicht werden könne.
Weiter führte
Oberstaatsanwalt Mühlhoff aus, dass es im vorliegenden Fall
mit der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren sein dürfte,
den Angeklagten als Gesamtschuldnern die ganz erheblichen
notwendigen Auslagen der Nebenkläger aufzuerlegen. Dies
stellte sich auch als unverhältnismäßig dar. Eine
Schlechterstellung der Nebenkläger sei damit nicht
verbunden, da wohl auch bei einer etwaigen Einstellung nach
§ 153 StPO oder wegen des Eintritts der absoluten Verjährung
die not-wendigen Auslagen der Nebenkläger nicht von den
Angeklagten zu tragen seien.
Eine etwaige Auflage
dürfte nicht zu gering angesetzt werden, sondern müsste
„spürbar“ sein, wenngleich man über vernünftige und
angemessene Beträge sprechen müsse.
Die
Staatsanwaltschaft – so Oberstaatsanwalt Mühlhoff
abschließend – könne sich eine Einstellung nach § 153 StPO
nicht vorstellen. Was eine Einstellung nach § 153a StPO
betreffe, so müsse hierüber noch einmal gesprochen werden,
insbesondere hinsichtlich der Höhe einer etwaigen Auflage.
Der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Jürgensen
erklärte sodann, dass das bisherige Verfahren zur
Zufriedenheit seiner Mandanten verlaufen sei. Es habe einen
wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Umstände, wie es zu
dem Unglück gekommen sei, geleistet. Er sei – eben-so wie
die Staatsanwaltschaft – der Auffassung, dass das Verfahren
entweder durch Einstellung beendet oder in die
Verfolgungsverjährung laufen werde. Es bestünde ein so
großer weiterer Aufklärungsbedarf und es seien so viele
Zeugen vorhanden, dass es bis zum nächsten Jahr sicher nicht
zu einem Sachurteil kommen könne. Was die einzelnen
Angeklagten anbelange, sei er ebenfalls der Auffassung, dass
im Rahmen von Planung und Durchführung erhebliche Fehler
gemacht worden seien. Die AG 4 habe über Monate getagt,
jedoch habe keine vernünftige Kooperation stattgefunden. Er
meine damit, dass zwar Probleme angesprochen worden seien,
deren Umsetzung aber nicht über-prüft worden sei. Dies sei
aus Sicht seiner Mandanten katastrophal. Es könne
unterstellt werden, dass die Angeklagten davon ausgegangen
seien, dass schon alles gut gehen werde. Er teile zudem die
Auffassung des Gerichts, dass den Angeklagten wohl keine
gravierenden Fehler vorzuwerfen seien und gehe daher eher
von einer geringen Schuld aus. Das Verfahren sei sicherlich
für die Angeklagten belastend. Dies gelte aber auch für die
Nebenkläger, insbesondere für die Hinterbliebenen.
Das heutige Medieninteresse zeige, dass noch ein
öffentliches Interesse gegeben sei. Bei einer Fortführung
des Verfahrens werde er auch noch Beweisanregungen
einreichen. Insgesamt sei dieses Verfahren für alle
Beteiligte – unabhängig wie es ende – etwas unbefriedigend.
Der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Brink
schloss sich zunächst den Ausführungen des Rechtsanwaltes
Jürgensen an. Er regte an, zwischen den Angeklagten zu
differenzieren. Nach dem bisherigen Stand hätten aus seiner
Sicht einige Angeklagte, insbesondere der Angeklagte C, mit
einem Freispruch zu rechnen. Diesen sei mit einer
Einstellung nur ein-schränkend gedient. Bei anderen
Angeklagten sehe er hingegen eine weitergehende
Verantwortung. Daher käme aus seiner Sicht für manche
Angeklagte eine Einstellung nach § 153 StPO oder § 153a StPO
in Betracht. Gegen andere Angeklagte müsse weiter verhandelt
werden, um einen Freispruch oder eine Verurteilung zu
erzielen.
Sodann führte der Nebenklägervertreter
Rechtsanwalt Mohammed – auch im Namen der
Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Reiger, Rechtsanwalt
Schulz und Rechtsanwalt Goldbach – aus, dass das Verfahren
in seiner Gesamtheit bewertet werden müsse, nicht nur
hinsichtlich der bisherigen Hauptverhandlungstage. Es sei
eine lange Zeit vergangen bis zur Anklage und sodann auch
bis zur Eröffnung und zu dem Verfahren. Dafür könne keines
der Opfer etwas. Dies gelte auch für die Angeklagten, die
dafür jedoch auch nicht belohnt werden sollten. Er habe das
Gefühl, bei dem Rechtsgespräch gehe es nur um die Angst vor
einer drohenden Verjährung. Die Problematik der Verjährung
sei aber bereits vor einem Jahr bekannt gewesen, trotzdem
habe man mit der Hauptverhandlung begonnen und deshalb solle
sie auch fortgeführt werden. Aus seiner Sicht dürfe
angesichts der Vielzahl von Toten keine geringe Schuld
angenommen werden. Im Übrigen sei es nicht vorderstes Ziel
des Strafprozesses, Aufklärung zu leisten, sondern
Feststellungen zur Straf- und Schuldfrage hinsichtlich der
Angeklagten zu treffen. Eine Aufklärung sei auch später
möglich und könne Gegenstand eines Untersuchungsausschusses
sein. Weiter führte Rechtsanwalt Mohammed aus, dass die
Kosten der Nebenklage nur ausnahmsweise nicht den
Angeklagten aufzuerlegen seien und eine solche Ausnahme hier
nicht eingreifen dürfe. Im Übrigen komme eine Einstellung
aus seiner Sicht auch nicht in Betracht, solange die
Angeklagten sich nicht zur Sa-che einließen. Die
Geschädigten hätten einen Anspruch darauf zu erfahren, wie
sich die Abläufe dargestellt hätten.
Der
Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Paul erklärte sodann, dass
es sich aufgrund des Erfolgsunrechts nach seiner
Einschätzung um eine eher mittlere Fahrlässigkeitsschuld
handeln dürfe. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass der
Anteil des Einzelnen gering gewesen sei. Es liege die
Konstellation der fahrlässigen Nebentäterschaft vor und
viele seien an dem tatbestandlichen Erfolg beteiligt
gewesen, so dass auch weitere oder teilweise andere Personen
hätten angeklagt werden kön-nen. Bei der Feststellung eines
öffentlichen Interesses habe im vorliegenden Fall aus seiner
Sicht die Generalprävention – anders als die
Spezialprävention – besondere Bedeutung. Er sei sich sicher,
dass Veranstalter und Sicherheitsbehörden aus ganz
Deutschland den Prozess verfolgen würden. Zudem halte er es
für eine Kernaufgabe des Gerichts, sich einem komplexen
Sachverhalt zu stellen, auch wenn wenig Zeit zur Verfügung
stünde. Im Übrigen halte er eine Einstellung nach den §§
153, 153a StPO im Hinblick auf die drohende Verjährung nicht
für sach-gerecht. Ein Prozess sei vielmehr erst dann
einzustellen, wenn das Prozesshindernis auch tatsächlich
eingetreten sei. Er plädiere dafür, dass Verfahren nicht
nach den §§ 153, 153a StPO einzustellen, sondern es
fortzusetzen und schließe sich dem Appell der
Staatsanwaltschaft an, dass die Angeklagten sich zur Sache
einlassen mögen.
Rechtsanwalt Jürgensen erklärte
daraufhin, dass er sich bezogen auf mögliche Freisprüche
einzelner Angeklagter den Ausführungen von Rechtsanwalt
Brink anschließe. Anders als Rechtsanwalt Mohammed dargetan
habe, sei es aus seiner Sicht aber immer auch Sinn eines
Strafprozesses, Aufklärung zu betreiben. Zudem sei er –
ebenso wie die Staatsanwaltschaft – der Ansicht, dass im
Fall einer Einstellung nach § 153a StPO die notwendigen
Auslagen der Neben-kläger nicht den Angeklagten auferlegt
werden sollten.
Sodann führte der
Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Prof. Dr. Reiter aus, dass
auch er sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft und
einiger seiner Kollegen anschließe. Für seine Mandanten
stehe die Auf-klärung im Vordergrund und der Prozess habe
auch tatsächlich zu einem Erkenntnisgewinn geführt. Bei
einer etwaigen Einstellung wegen geringer Schuld müsse man
berücksichtigen, dass es sich – mit Ausnahme der
Geschehnisse am Veranstaltungstag – nicht um eine
Anei-nanderreihung unglücklicher Umstände gehandelt habe.
Vielmehr hätten die Angeklagten in der Planungsphase
gewusst, was sie getan hätten und dass es sich um eine
gefahrgeneigte Veranstaltung gehandelt habe. Eine
Einstellung wegen geringer Schuld sei daher schwer zu
vermitteln. Bei einer Einstellung gegen Auflagen müsse
berücksichtigt werden, dass die Opfer mit den Folgen leben
müssten. Ziel des Straf-prozesses müsse es auch sein, die
Opfer nicht alleine zu lassen. Sie müssten eine Grundlage
für Schmerzensgeldansprüche erhalten. Auch wenn keine
Verurteilung einzelner Personen erfolgen könne, sei es für
die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche hilfreich, wenn
weitere Verantwortliche, etwa die Polizei, festgestellt
werden könnten.
Der Nebenklägervertreter
Rechtsanwalt Reiger nahm sodann Bezug auf die Ankündigung
des Vorsitzenden, am Ende des Verfahrens die Ursachen des
Unglücks benennen zu können. Er sei der Meinung, man sei
diesem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Es habe sich
gezeigt, dass die Anklage durchaus berechtigt gewesen sei.
Das vorbereitende schriftliche Gutachten habe erhebliche
Fehlleistungen auch der Ange-klagten aufgezeigt. Vor diesem
Hintergrund halte er es für falsch, bei allen Angeklagten
ohne Differenzierung von geringer Schuld auszugehen. Wenn
die Angeklagten zur Einlassung bereit wären und Fragen
zuließen, wäre eine weitere Aufklärung möglich. Dann stünde
nach seiner Ansicht auch einer Einstellung nach § 153a StPO
nichts entgegen, wobei er es für unbillig halte, wenn die
Nebenkläger ihre Kosten tragen müssten.
Auf
Nachfrage des Nebenklägervertreters Rechtsanwalt Pipping
stellte der Vorsitzende sodann klar, dass aus Sicht des
Gerichts – ebenso wie von der Staatsanwaltschaft ausgeführt
– auch die Einstellung hinsichtlich einzelner Angeklagter in
Betracht komme. Zudem würde die Haupt-verhandlung zum Zwecke
der Erfüllung einer etwaigen Auflage nicht ausgesetzt,
sondern lediglich unterbrochen werden.
Rechtsanwalt
Brink erklärte, dass es aus seiner Sicht nicht sein könne,
dass die von den Nebenklägern zu tragenden Kosten höher
wären als eine etwaige Geldauflage der Angeklagten.
Der Vorsitzende machte sodann folgende Ausführungen zu einer
etwaigen Kostenentscheidung im Falle einer
Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO: Die Kosten des
Verfahrens fielen bei einer Einstellung nach § 153a StPO –
wie bei einer Einstellung nach § 153 StPO – gemäß § 464 Abs.
1 in Verbindung mit § 467 Abs. 1 StPO grundsätzlich der
Staatskasse zur Last. Anhaltspunkte für das Eingreifen eines
Ausnahmetatbestandes (vgl. § 467 Abs. 2 StPO) dürften hier
nicht vorliegen.
Die notwendigen Auslagen der
Angeklagten dürften von diesen selbst zu tragen sein. Die
Entscheidung über die Kostentragung bei endgültiger
Einstellung (nach vorangegangener vorläufiger Einstellung)
gemäß § 153a StPO sei nicht Gegenstand von
Ermessenserwägungen nach § 467 Abs. 4 StPO, das Gericht sei
vielmehr bei seiner Entscheidung gebunden (BVerfG, Beschluss
vom 19. April 2007 – 2 BvR 90/07, Rn. 5, zitiert nach juris;
vgl. auch OLG Zweibrücken, NZV 2003, 436). Der
An-geschuldigte bzw. Angeklagte trage in diesen Fällen seine
notwendigen Auslagen selbst (BVerfG, Beschluss vom 19. April
2007 – 2 BvR 90/07, Rn. 5, zitiert nach juris; vgl. auch
Niesler, in BeckOK StPO, 31. Edition [Stand: 15. Oktober
2018], § 467, Rn. 15; Meier, in: Dölling/Duttge/König/Rössner,
Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage [2017], § 467 StPO, Rn. 11;
Gieg, Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage [2013], §
467, Rn. 12; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage
[2010], § 467, Rn. 72 f.).
Die Auslagen der
Nebenkläger dürften hingegen nach § 472 Abs. 2 Satz 2 StPO
in Verbindung mit § 472 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht von den
An-geklagten zu tragen sein, da es nach dem bisherigen
Verfahrensstand im konkreten Fall unbillig sein dürfte, die
Angeklagten mit den Auslagen der Nebenkläger zu belasten.
Das Gericht verkenne nicht, dass bei einer
endgültigen Einstellung nach § 153a StPO die Kosten der
Nebenkläger regelmäßig den Angeklagten aufzuerlegen seien (§
472 Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 472 Abs. 1 Satz 1
StPO) und nur ausnahmsweise (§ 472 Abs. 1 Satz 3 StPO) von
einer Auferlegung aus Billigkeitsgründen abgesehen werden
könne (vgl. Weiner, in BeckOK StPO, 31. Edition [Stand: 15.
Oktober 2018], § 472, Rn. 12). Der Gesetzgeber habe dies für
sach-gerecht gehalten, weil der Angeklagte der Einstellung
in jedem Fall zustimmen müsse und deshalb die ihn treffende
Kostenlast mit in seine Überlegungen einbeziehen könne.
Außerdem könne das Gericht die Auslagenregelung bei der
Bemessung der Auflagen nach § 153a berücksichtigen (vgl.
Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2010], § 472,
Rn. 20).
Nach dem Wortlaut des § 472 Abs. 1 Satz 3
StPO könne aber von einer Auferlegung der notwendigen
Auslagen eines Nebenklägers schon dann ganz oder teilweise
abgesehen werden, wenn es unbillig wäre, den An-geklagten
damit zu belasten. Dabei dürften die Umstände des
Einzelfalles umfassend gegeneinander abzuwägen sein,
insbesondere auch die finanzielle Lage der Beteiligten (vgl.
BGH, Beschluss vom 15. Dezember 1998 – 4 StR 629/98, zitiert
nach juris; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage
[2010], § 472, Rn. 15). Besondere Gründe der Billigkeit, wie
sie in § 472 Abs. 2 Satz 1 StPO gefordert würden, dürften
hin-gegen nicht erforderlich sein (vgl. insoweit auch Hilger
in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2010], § 472, Rn. 19,
21).
Darüber hinaus dürfte die Belastung eines
Angeklagten mit den Kosten der Nebenklage eine Ausnahme von
dem allgemeinen Grundsatz des Kostenrechts darstellen, nach
welchem ein Angeklagter bei einer Ein-stellung mit den
Gerichtskosten nicht belastet werden dürfe. Es könnte sich
insoweit gebieten, die Sonderregelung des § 472 Abs. 2 Satz
2 StPO von vornherein restriktiv auszulegen (vgl. Meier, in:
Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4.
Auflage [2017], § 472 StPO, Rn. 4). Jedenfalls dürfte zu
berücksichtigen sein, dass eine etwaige Zustimmung eines
Angeklagten zur Einstellung des Verfahrens weder als
Schuldeingeständnis noch als Einverständnis mit der
Feststellung strafrechtlicher Schuld in den Gründen des
Einstellungsbeschlusses oder der damit verbundenen
Kostenentscheidung gewertet werden könne (BVerfG, Beschluss
vom 29. Mai 1990 – 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88, Rn. 52,
zitiert nach juris). Weiter dürfte gelten, dass
Entscheidungen über Kosten und Auslagen vor
Schuldspruchreife in keinem Fall ausdrücklich oder sinngemäß
auf Erwägungen zur Schuld gestützt werden dürfen (BerlVerfGH,
NJW 2014, 3358, 3359). Selbst bei der Versagung der
Erstattung eigener Auslagen des Angeklagten dürfte es nur
zulässig sein, auf die Stärke des Tatverdachts abzustellen
(vgl. m.w.N. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage [2017],
§ 467, Rn. 19). Die Unschuldsvermutung dürfte hingegen
verletzt sein, wenn das Gericht dem Angeklagten in den
Gründen eines Einstellungsbeschlusses oder der damit
verbundenen Auslagenentscheidung – über Ver-dachtserwägungen
hinaus – strafrechtliche Schuld zuwiese, ohne dass diese
zuvor prozessordnungsgemäß festgestellt worden wäre (BVerfG,
Beschluss vom 29. Mai 1990 – 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88, Rn.
51, zitiert nach juris). Dabei dürfte bei der Versagung der
Erstattung eigener Auslagen des Angeklagten gelten, dass
Erwägungen zu einem nicht ausgeräumten Tatverdacht
grundsätzlich nicht mit dem für eine Strafe typischen
sozialethischen Unwerturteil verbunden seien und daher die
Unschuldsvermutung nicht berühren dürften (vgl. BerlVerfGH,
NJW 2014, 3358, 3359). Für die Überbürdung von
Verfahrenskosten oder anderer als eigener Auslagen des
Strafverfahrens dürfte dies indes nicht in gleicher Weise
gelten. Die mit Verdachtserwägungen begründete Auferlegung
von Kosten oder Auslagen dürfte vielmehr regelmäßig ei-nen
sanktions- und strafähnlichen Charakter haben, weil sie den
Schluss nahelegen könnte, die Kostenfolge trete an die
Stelle einer Be-strafung (m.w.N. BerlVerfGH, NJW 2014, 3358,
3359). Verdachtserwägungen dürften deshalb grundsätzlich
nicht geeignet sein, die Auferlegung von Kosten und anderer
als eigener Auslagen zu rechtfertigen (BerlVerfGH, NJW 2014,
3358, 3359; vgl. auch zu § 472 Abs. 2 Satz 1 StPO: Maier, in
MüKo StPO, 1. Auflage [2019], § 472, Rn. 51; Gieg,
Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage [2013], § 472, Rn.
6; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage [2010], §
472, Rn. 19).
Gleiches dürfte für Umstände des
Sachverhaltes gelten, die zum Zeit-punkt der Entscheidung
noch weiterer Aufklärung bedürften (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 26. März 1987 – 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85; Weiner, in
BeckOK StPO, 31. Edition [Stand: 15. Oktober 2018], § 472,
Rn. 12).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze –
so der Vorsitzende weiter – dürfte es im vorliegenden Fall
ausnahmsweise unbillig sein, den Ange-klagten die Auslagen
der Nebenkläger aufzuerlegen. Das Gericht verkenne nicht,
dass die Nebenkläger ausgeführt haben, erhebliche
Verletzungen und gar den Tod naher Angehöriger erlitten zu
haben, und ihnen durch das Verfahren jedenfalls zum Teil
erhebliche Kosten entstanden sein dürften. Wie oben bereits
dargelegt, wären, um eine etwaige Entscheidungsreife
herbeiführen zu können, jedoch noch zahlreiche weitere
Beweise zu erheben. Insbesondere dürften die Vernehmung
eines überwiegenden Teils der von dem Sachverständigen Prof.
Dr. Gerlach in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten
genannten weiteren etwa 575 Zeugen ausstehen sowie die
Vernehmung einiger Nebenkläger und die Einholung von
mitunter umfangreichen psychiatrischen Gut-achten zu den von
einigen Nebenklägern dargestellten psychischen Verletzungen
erforderlich sein. Aufgrund des umfangreichen ausstehenden
Beweisprogrammes erscheine der Ausgang des Verfahrens nach
dem derzeitigen Verfahrensstand offen. Zudem vermöge das
Gericht auch noch keine Feststellungen dazu zu treffen, ob
es billig wäre oder nicht, den Angeklagten die Kosten der
Nebenkläger aufzuerlegen. Eine ähnliche Ungewissheit dürfte
aufgrund der außerordentlichen Komplexität des hier
vorliegenden Falles und des noch ausstehenden
Beweisprogrammes auch bei den Angeklagten selbst bestehen.
Die grundsätzliche Erwägung, dass es bei einer endgültigen
Einstellung nach § 153a StPO zulässig sei, einem Angeklagten
die Kosten eines Nebenklägers aufzuerlegen, weil er der
Einstellung in jedem Fall zu-stimmen müsse und die ihn
treffende Kostenlast mit in seine Überle-gungen einbeziehen
könne (vgl. Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage
[2010], § 472, Rn. 20), dürfte daher im vorliegenden Fall
jeden-falls nicht vollständig durchgreifen.
Auch die
weitere Begründung für die grundsätzliche Angemessenheit der
Regelung des § 472 Abs. 2 Satz 3 StPO, dass das Gericht die
Auslagenregelung bei der Bemessung der Auflagen nach § 153a
StPO berücksichtigen könne (vgl. Hilger in: Löwe-Rosenberg,
StPO, 26. Auflage [2010], § 472, Rn. 20), dürfte vorliegend
nicht eingreifen. Im hiesigen Fall dürfte nach dem
derzeitigen Verfahrensstand eine etwaige Schuld der
Angeklagten – unterstellt ihnen könnte die ihnen in der der
Anklage-schrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.
Februar 2014 vorgeworfene Tat nachgewiesen werden – im noch
geringen bis allenfalls mittleren Bereich liegen. Zudem
dürften – wie oben dargelegt – auch einige (weitere)
gewichtige Umstände gegen das Fortbestehen eines
öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bestehen.
Eine etwaig zu erteilende Auflage dürfte sich daher von
vorherein in einem Umfang bewegen, der deutlich geringer
sein dürfte als die bei sämtlichen Neben-klägern bisher
angefallenen Auslagen. Damit wäre es nicht nur nicht
möglich, die Auslagenregelung bei der Bemessung einer
etwaigen Auf-lage angemessen zu berücksichtigen. Vielmehr
dürfte auch bereits fest-stehen, dass eine Übernahme der
Auslagen der Nebenkläger durch die Angeklagten im konkreten
Fall aufgrund des erheblichen Umfangs der Auslagen einen
ganz erheblichen sanktions- und strafähnlichen Charakter
haben würde. Ein solcher dürfte jedoch mit der – auch im
Rahmen einer Einstellung nach § 153a StPO geltenden –
Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren sein.
Im Übrigen dürfte zumindest zweifelhaft sein, ob die
Angeklagten nach ihren finanziellen Verhältnissen überhaupt
in der Lage wären, die entstandenen Auslagen der Nebenkläger
zu tragen. Bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände dürfte
es daher – wie auch die Staatsanwaltschaft zutreffend
ausgeführt habe – ausnahmsweise unbillig sein, die
Angeklagten mit den Auslagen der Nebenkläger zu belasten.
Auf Nachfrage von Oberstaatsanwalt Mühlhoff erklärte
der Vorsitzende, dass bisher keine konkrete Summe für eine
etwaige Auflage angedacht sei. Auch aus Sicht des Gerichts
müsse es sich um eine angemessene Summe handeln.
Der
Verteidiger Rechtsanwalt Albert erklärte, dass er es als
befremdlich empfinde, wenn von den Angeklagten der Verzicht
auf ihr Schweigerecht verlangt werde. Aus seiner Sicht
hätten sich auch nach intensiver Aufklärung die Vorwürfe
gegen seinen Mandanten keinesfalls bestätigt. Vielmehr habe
die Beweisaufnahme gezeigt, dass der strafrechtlich
relevante Sachverhalt sich nicht nur als komplex darstelle,
sondern auch zahlreiche weitere Fragen aufwerfe. Das
Ordnungsamt, die Polizei und die Feuerwehr seien nicht nur
am Veranstaltungstag, sondern auch im Rahmen der Planung
tätig gewesen. Das Bauamt plane hingegen nicht, sondern
genehmige nur. Er prognostiziere, dass auch die Vernehmung
weiterer Zeugen keine Erkenntnis bringen werde, die die
Verurteilung seines Mandanten rechtfertigen werde. Die
Verteidigung sehe aber auch, dass vieles dafür spreche, dass
ein Freispruch aus prozessualen und zeitlichen Gründen nicht
zu erzielen sein dürfte. Insbesondere habe der Gang der
bisherigen Verhandlung auch eine Vielzahl rechtlicher Fragen
aufgeworfen, die bisher nicht grundsätzlich hätten geklärt
wer-den können. Eine Einstellung nach § 153a StPO verbiete
sich aus Sicht der Verteidigung mangels eines hinreichenden
Tatverdachts. Insoweit habe sich auch durch das Gutachten
nichts verändert, zumal insoweit auch erhebliche Bedenken
gegen die angewandte Methode und einen Großteil der
Ergebnisse bestünden. Aufgrund der aufgezeigten
Beson-derheiten erscheine eine Einstellung nach § 153 StPO
derzeit als einziger Weg, das Verfahren zu beenden.
Nach einer kurzen Pause erklärte der Verteidiger
Rechtsanwalt Dr. Eggers, dass aus seiner Sicht allein die
Annahme, dass es sich nicht um ein Augenblicksversagen
gehandelt habe, nicht zwingend gegen eine geringe Schuld
spreche. Es seien insoweit – wie das Gericht auch ausgeführt
habe – eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen. Es
habe sich um ein multikausales Geschehen gehandelt, bei dem
es schwierig sei, einen einzelnen Schuldigen festzustellen.
Große Katastrophen sei-en atypisch. Aus seiner Sicht hätten
sich die gegen seine Mandantin in der Anklageschrift
erhobenen Vorwürfe – auch unter Berücksichtigung des
vorbereitenden schriftlichen Gutachtens – nicht bestätigt.
Am Veranstaltungstag sei das Geschehen noch verhinderbar
gewesen, man habe bei den Entscheidungen die
Gesamtzusammenhänge aber nicht berücksichtigt und sich nicht
an vorgeplante Abläufe gehalten. Obwohl es ihm wichtig wäre,
die Unschuld seiner Mandantin feststellen zu las-sen, halte
er eine Fortführung des Verfahrens im Hinblick auf die
zeitlichen Aspekte nicht für sinnvoll. Ihm als Verteidiger
erscheine eine Ein-stellung nach § 153 StPO als gangbarer
Weg. Eine Einstellung nach § 153a StPO halte er hingegen für
abwegig.
Die Verteidigerin Rechtsanwältin Fischer
gab zu Bedenken, dass die bisherigen Ausführungen des
Gerichts sich in weiten Teilen auf das vor-bereitende
schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
Ger-lach stützten. Das Gericht habe zutreffend ausgeführt,
dass die dort zu-grunde liegenden Tatsachen noch nicht
festgestellt worden seien.
Selbst wenn dies gelänge,
müssten aus ihrer Sicht jedoch noch zahlreiche weitere
Tatsachen in die Betrachtung einbezogen werden. Die
Veranstaltung müsse in ihrer Komplexität betrachtet werden,
was auch die Bereiche um den Hauptbahnhof und auf den
Zuwegen, insbesondere etwaige Vorsperren und mögliche
Öffnungen von Stichstraßen, umfasse. Diese Erwägungen seien
in dem vorbereitenden schriftlichen Gut-achten nicht
hinreichend berücksichtigt worden. Zudem habe sich der
Sachverständige in seinem vorbereitenden schriftlichen
Gutachten zum Großteil auf die Inhalte der Akte gestützt,
welche hinsichtlich der Verantwortlichkeit anderer Personen
ebenfalls lückenhaft seien. Diese „Schieflage“ habe sich
auch in der Anklageschrift fortgesetzt. Im Übrigen sei die
Loveparade eine „Gemeinschaftsaktion einer Vielzahl von
Akteuren“ gewesen, so dass fraglich sei, wie schwer die
Schuld eines Einzelnen wiege. Für sie sei dies ein
maßgebliches Kriterium. Man sei von der Planung überzeugt
gewesen, was insbesondere die Vernehmung des Zeugen Schalk
eindrücklich gezeigt habe, der als einer der
verantwortlichen Personen auch seinen eigenen Sohn an der
Loveparade habe teilnehmen lassen. Die aufgezeigte
„Schieflage“ sei aufgrund der Entscheidung zu einer
konsensualen Verhandlung bisher nicht beseitigt worden. Bei
einer anderen Strukturierung des Verfahrens sei dies aber
durchaus denkbar, so dass dann gegebenenfalls auch der
Sachver-ständige zu einem anderen Ergebnis kommen könne.
Eine Einstellung nach § 153 StPO erscheine ihr als einzig
gangbarer Weg, wobei sie dies noch mit ihrem Mandanten
besprechen müsse.
Der Verteidiger Rechtanwalt Kaps
merkte an, dass – auch wenn das Gericht sich bisher nicht
festgelegt habe – es überwiegend Argumente genannt habe, die
für eine geringe Schuld der Angeklagten sprächen. Er wolle
klarstellen, dass die Verteidigung E2 keine Schuld ihres
Mandanten erkennen könne und auch nach dem bisherigen
Ergebnis der Beweisaufnahme die in der Anklageschrift
enthaltenen Vorwürfe nicht als bestätigt ansehe. Ziel der
Verteidigung sei ein Freispruch, weshalb er nicht dazu
neige, einer etwaigen Auflage zuzustimmen. Es gäbe jedoch
für seinen Mandanten – wenngleich er von der Unschuld
überzeugt sei – opportune Gründe für die Beendigung des
Verfahrens. Deshalb werde man erwägen, einer Einstellung
nach § 153 StPO zuzustimmen.
Die Verteidigerin
Rechtsanwältin Kolbe führte aus, dass sich aus ihrer Sicht
die Vorwürfe gegen ihren Mandanten sowie dessen etwaige
Schuld ebenfalls nicht bestätigt hätten. Aufgrund der
Belastung ihres Mandanten sowie dessen Familie durch das
laufende Verfahren sowie der bereits dargestellten
verfahrensrechtlichen Probleme halte jedoch auch sie eine
Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO für opportun.
Sachliche Gründe für eine Einstellung nach § 153a StPO
bestünden aus ihrer Sicht hingegen nicht.
Der
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Bott erklärte, dass auch er
weder die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe gegen
seinen Mandanten noch dessen Schuld als erwiesen ansehe.
Sowohl bau- als auch kommunalrechtliche Fragen seien nicht
beantwortet. Für eine Einstellung nach § 153a StPO sehe die
Verteidigung E1 gar keinen Spielraum.
Die
Verteidigerin Rechtsanwältin Dr. Stirner betonte, dass sie
davon überzeugt sei, dass ihr Mandant nach Erhebung aller
Beweise freigesprochen werden müsse. Angesichts der
verfahrensrechtlichen Situation und der zeitlichen
Komponente sei aber auch ein Freispruch unwahrscheinlich.
Aus ihrer Sicht könne das Verfahren nur durch eine
Einstellung oder die Verjährung beendet werden. Im Anschluss
an ihre Vorredner dürfte eine etwaige Schuld der Angeklagten
allenfalls gering sein. In Bezug auf das öffentliche
Interesse sei zu berücksichtigen, dass die Strafverfolgung
kein Selbstzweck sein dürfe. Ein öffentliches Interesse
könne nur bestehen, wenn mit einer Bestrafung zu rechnen
sei, was bei dem aufgezeigten ausstehenden Beweisprogramm
von niemandem realistisch angenommen werden könne. Insoweit
sei auch zu beachten, dass die bisherigen Zeugen
einvernehmlich nur summarisch vernommen worden seien. Zudem
könne ein mediales Interesse nicht als Argument für ein
öffentliches Interesse angeführt werden. Aus ihrer Sicht
bestehe im Ergebnis daher kein öffentliches Interesse mehr
an der Strafverfolgung. Es komme daher allenfalls eine
Einstellung nach § 153 StPO in Betracht.
Der
Verteidiger Rechtsanwalt Püschel kündigte an, zunächst mit
seinem Mandanten Rücksprache halten zu wollen. Aus Sicht der
Verteidigung C seien die Ausführungen der Rechtsanwältin
Kolbe zutreffend. Es be-stünden keine in der Sache liegenden
Umstände, einer Einstellung nach § 153a StPO zuzustimmen.
Der Verteidiger Rechtanwalt Schmitt gab zu bedenken,
dass sein Mandant sich auch deshalb dazu entschlossen habe,
sich nicht zur Sache einzulassen, da aus seiner Sicht seine
umfangreichen Antworten auf die Fragen des Sachverständigen
Prof. Dr. Still nur wenig Einfluss auf das weitere Verfahren
gehabt hätten. Es könne ihm nicht nachteilig ausgelegt
werden, wenn er diese Position weiterhin einnehme. Auch das
Ziel der Verteidigung T1 sei ein Freispruch, mit welchem
sein Mandant weiterhin rechne. Jedoch sei seinem Mandaten
auch bewusst, dass ein solches Ergebnis in der verbleibenden
Zeit kaum möglich sei und ein etwaiges späteres
Einstellungsurteil ebenfalls keine Feststellungen zu einer
etwaigen Schuld oder Unschuld enthalten würde. An der
grundsätzlichen Einschätzung habe auch das vorbereitende
schriftliche Gut-achten des Sachverständigen Prof. Dr.
Gerlach nichts geändert. Dieses könne entscheidende Fragen
nicht beantworten, insbesondere sei auch offen, welche
Verhinderungsmöglichkeiten am Veranstaltungstag bestanden
hätten und weshalb das „Menschenknäuel“ sich letztlich recht
schnell habe auflösen lassen. Rechtsanwalt Schmitt
betonte, dass es vor einer Entscheidungsreife noch einer
umfassenden Aufklärung des multikausalen Entstehens dieses
Unglücks bedürfte, wenngleich schon einige Erkenntnisse
gewonnen worden seien. Weiter führte er aus, dass die Frage,
ob eine etwaige Schuld der Angeklagten noch gering sei oder
schon im mittleren Bereich liege, schwierig sei. Auch er sei
aber der An-sicht, dass allein das Argument, dass es sich
nicht um ein Augenblicks-versagen gehandelt habe, zur
Begründung einer mittleren Schuld nicht ausreiche. Zudem
könnten auch etwaige Fehler des Gutachtens, die durch die
Verteidigung noch aufgezeigt werden würden, die Bewertung
verändern. Schließlich sei hinsichtlich seines Mandanten zu
berücksichtigen, dass er nach der bisherigen Beweisaufnahme
durch die Zeugen stets als sachverständig und kompetent
beschrieben worden sei. Dies mache es seinem Mandanten
schwer, einer Einstellung zuzustimmen. Allerdings teile er,
Rechtsanwalt Schmitt, auch die Ansicht von Rechts-anwältin
Dr. Stirner, dass das Verfahren alternativ nur mit einem
Einstellungsurteil enden könne, so dass es sehr
wahrscheinlich sei, dass sein Mandant nach einer nochmaligen
Besprechung mit ihm einer Einstellung nach § 153 StPO
zustimmen könnte.
Der Verteidiger Rechtsanwalt
Zaimis kündigte an, zunächst mit seinem Mandanten
Rücksprache nehmen zu wollen. Er bat das Gericht, um ei-ne
Einschätzung, inwieweit bei den jeweiligen Angeklagten eine
Einstellung nach § 153 StPO oder § 153a StPO in Betracht
komme. Aus seiner Sicht scheide eine Einstellung nach § 153a
StPO für seinen Mandanten aus, eine Einstellung nach § 153
StPO müsse er zunächst besprechen. Er teile die Ansicht,
dass die Akte eine „Schieflage“ habe und der
Sach-verständige mit vielen Tatsachen konfrontiert werden
müsse, auf die er in seinem vorbereitenden schriftlichen
Gutachten noch nicht eingegangen sei. Soweit die
Ausgangslage des Sachverständigen falsch sei, entständen
problematische Lücken. Rechtsanwalt Zaimis stellte dar, dass
es sich bei einer Einstellung nicht um ein Geschenk handele,
es sei vielmehr der Verzicht auf einen Freispruch, wozu sein
Mandant bisher nicht bereit gewesen sei. Sicherlich seien
die Folgen für Überlebende des Unglücks schlimm. Jedoch
müsse berücksichtigt werden, dass auch die Angeklagten damit
leben müssten, dass man ihnen vorwerfe, für den Tod von 21
Personen verantwortlich zu sein. Aus seiner Sicht sei diese
Belastung allein zugunsten einer weiteren Aufklärung nicht
hinnehmbar. Er werde seinem Mandanten daher empfehlen, einer
Einstellung nach § 153 StPO zuzustimmen.
Nach der
Mittagspause führte der Vorsitzende unter Berücksichtigung
der heutigen Ausführungen von Staatsanwaltschaft, Nebenklage
und Verteidigung Folgendes aus: Da die genaue Abgrenzung, ob
eine etwaige Schuld der Angeklagten im noch geringen oder
schon mittleren Bereich läge, aufgrund der
außer-gewöhnlichen Komplexität der Sache durchaus schwierig
erscheine, dürften beide Lösungen rechtlich zumindest
vertretbar sein. Möglicherweise böte sich im Hinblick
darauf, dass nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme
die etwaigen Tatbeiträge der Angeklagten durchaus von
unterschiedlichem Gewicht gewesen sein könnten, worauf
einige Nebenklägervertreter heute zutreffend hingewiesen
hätten, auch eine differenzierte Betrachtung an. So könnte
eine etwaige Schuld der Angeklagten E1, H1, E2, K, H2, C und
T3 jeweils noch gering gewesen sein, während eine etwaige
Schuld der Angeklagten T1, T2 und X schon im mittleren
Bereich gelegen haben könnte. Nach dem derzeitigen
Verfahrensstand dürfte den Angeklagten E1, H1, E2, K, H2, C
und T3 im Wesentlichen ein Tun bzw. Unterlassen vor
Veranstaltungsbeginn vor-geworfen werden. Jedenfalls den
Angeklagten E1, H1, E2, K, H2 und C sollten nach dem
derzeitigen Kenntnisstand bei der eigentlichen Durch-führung
der Veranstaltung plangemäß keine Aufgaben mehr zukommen.
Der Angeklagte T3 dürfte am Veranstaltungstag
planmäßig mit repräsentativen Aufgaben beschäftigt gewesen
sein. Die Angeklagten T1, T2 und X hingegen dürften – was
der vorherigen Planung entsprochen haben dürfte – auch
während der Veranstaltung in operativen Positionen tätig
gewesen sein, die es ihnen ermöglicht haben dürften, auf den
Ablauf der Veranstaltung einzuwirken. Folgte man dem
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach, der in seinem
vorbereitenden schriftlichen Gutachten ausgeführt habe, dass
aus seiner Sicht auch am Veranstaltungstag – gerade vor dem
Hintergrund der installierten umfassenden Kameraüberwachung
– noch Möglichkeiten bestanden hätten, die tragischen
Ereignisse zu verhindern, so könnte dies – unterstellt, es
würden entsprechende Feststellungen getroffen – auch auf die
Angeklagten T1, T2 und X zutreffen.
Abschließend sei
– so der Vorsitzende weiter – Folgendes festzuhalten: Die
Staatsanwaltschaft könnte sich grundsätzlich vorstellen, das
Verfahren gegen sämtliche Angeklagte nach § 153a StPO
einzustellen. Die Verteidigung halte hingegen allenfalls
eine Einstellung des Verfahrens ohne Auflage nach § 153 StPO
für denkbar. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hätten ihre
Standpunkte nachvollziehbar dargelegt und begründet. Beide
Lösungen erschienen rechtlich vertretbar. Einige
Nebenklägervertreter hätten sich offen für die Ausführungen
der Staatsanwaltschaft gezeigt, andere hätten ihre Bedenken
gegen jedwede Einstellung des Verfahrens zum Ausdruck
gebracht. Die Verfahrensbeteiligten würden nun in den
kommenden Tagen Gelegenheit dazu haben, sowohl ihren eigenen
Standpunkt als auch den Standpunkt der anderen kritisch zu
überprüfen. Im Grundsatz schienen das Gericht, die
Staatsanwaltschaft, die Verteidigung und Teile der
Nebenklage sich einig zu sein, dass mit Blick auf das Ausmaß
einer etwaigen Schuld der Angeklagten und unter
Berücksichtigung der besonderen Verfahrenssituation eine
Einstellung des Verfahrens gegen sämtliche Angeklagte in
Betracht kommen könnte. Im Hinblick darauf, dass es
schwierig sein dürfte, eine scharfe Abgrenzung vorzunehmen,
ob eine etwaige Schuld der Ange-klagten noch gering wäre
oder schon im mittleren Bereich läge, sollte es jedenfalls
möglich sein, eine gemeinsame Lösung zu finden. Es dürfte
schwer zu vermitteln sein, dass eine Beendigung dieses
außerordentlichen Großverfahrens daran scheitern könnte,
dass man sich nicht auf die Anwendung einer der beiden in
Betracht kommenden Einstellungs-normen einigen könne, obwohl
beide Lösungen – jedenfalls nach Auf-fassung des Gerichts –
rechtlich vertretbar sein dürften.
Rechtsanwalt Dr.
Bott stellte sodann klar, dass er vorhin erklärt habe, eine
Einstellung des Verfahrens gegen seinen Mandanten nach §
153a StPO komme nicht in Betracht. Ob eine
Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO in Frage komme, müsse
er zunächst mit seinem Mandanten besprechen.
Rechtsanwältin Fischer führte sodann aus, dass der
Vorsitzende gerade gesagt habe, bestimmte Angeklagte hätten
nach dem vorbereitenden schriftlichen Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach am Veranstaltungstag
operative Aufgaben wahrgenommen. Sie fragte nach, ob die
Schuld ihres Mandanten dann noch gering wäre, wenn sich
her-ausstellte, dass er solche Aufgaben nicht wahrgenommen
habe.
Der Vorsitzende erklärte hierauf, dass dies
nichts mit dem Sachverständigen zu tun habe. Die etwaige
operative Einbindung am Veranstaltungstag könne ein
Kriterium sein. Derzeit habe das Gericht insgesamt den
Eindruck, dass bei den Angeklagten T1, T2 und X eher die
Anwendung des § 153a StPO angezeigt erscheine, während bei
den anderen Angeklagten durchaus eine Einstellung des
Verfahrens nach § 153 StPO in Betracht kommen könne. Dabei
handle es sich um eine Momentaufnahme, die sich natürlich
ändern könne. Die Einschätzungen der Verfahrensbeteiligten
seien insoweit unterschiedlich. Jeder müsse sich nun
Gedanken machen, ob eine Einstellung des Verfahrens wirklich
an der Frage einer etwaigen Auflage scheitern solle.
Rechtsanwältin Fischer erklärte, dass es ein Fakt sei,
ob jemand operative Aufgaben wahrgenommen habe. Wenn dies
ein Kriterium für die Bemessung der Schuldschwere sein
könne, müsse man dies überprüfen, was nicht besonders
schwierig sein dürfte.
Anschließend kamen die
Verfahrensbeteiligten überein, dass Stellungnahmen zu
etwaigen Verfahrenseinstellungen spätestens bis zum 5.
Februar 2019 erfolgen sollen, und zwar innerhalb oder
außerhalb der Hauptverhandlung.
Der Vorsitzende
erklärte, dass die Beweisaufnahme unabhängig davon – wie
geplant – fortgesetzt werde. Zudem würden vorsorglich
zeitnah weitere Zeugen geladen werden.
Sodann wurde
das Rechtsgespräch beendet.“
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