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Archiv 2016

 
 
Dezember 2016

Finanzgericht Köln setzt Wirkung eines Haftbefehls zur Erzwingung einer Vermögensauskunft aus

Köln/Duisburg, 01. Dezember 2016 - Das Finanzgericht kann auch dann noch vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Antrag des Finanzamtes auf Anordnung von Erzwingungshaft gewähren, wenn das Amtsgericht bereits einen Haftbefehl erlassen hat. Dies hat der 3. Senat des Finanzgerichts Köln mit seinem Beschluss vom 12.10.2016 (3 V 593/16) entschieden.

Das Finanzamt forderte den Antragsteller wegen Steuerrückständen in Höhe von 7.377 Euro zur Abgabe einer eidesstattlich versicherten Vermögensauskunft auf. Am Tag vor dem Termin teilte der Antragsteller dem Finanzamt unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) eines Orthopäden mit, dass er nicht in der Lage sei die Vermögensauskunft zu erteilen.
Das Finanzamt ließ den Termin bestehen, da sich aus der AU nicht ergebe, dass der Antragsteller vernehmungsunfähig gewesen sei. Nachfolgend beantragte das Finanzamt beim Amtsgericht die Anordnung von Erzwingungshaft gegen den Antragsteller. Der Antragsteller legte dagegen Einspruch ein und beantragte beim Finanzgericht den Antrag von der Vollziehung auszusetzen.
Das Amtsgericht ordnete die Erzwingungshaft gegen den Antragsteller an. Mit seinem Beschluss hat der 3. Senat dem Antragsteller Recht gegeben und den Antrag auf Erzwingungshaft von der Vollziehung ausgesetzt. Damit ist das Finanzamt an der Vollstreckung des Haftbefehls gehindert. Der Senat verwies darauf, dass auch nach Erlass des Haftbefehls ein Rechtschutzbedürfnis an der Aussetzung des hierauf gerichteten Antrags bestehe.
Die Entscheidung des Finanzamts, den Haftbefehl zu beantragten, werde nämlich nur vom Finanzgericht auf Ermessensfehler überprüft. Im Streitfall habe das Finanzamt das ihm insoweit eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt. Hierzu hätte es dem Antragsteller Gelegenheit geben müssen, seine Vernehmungsunfähigkeit durch ein spezifiziertes ärztliches Attest nachzuweisen. Dies gebiete auch die Abwägung der relativ geringen Höhe der beizutreibenden Forderung zum vom Haftbefehl betroffenen Rechtsgut der Freiheit der Person.
Der Senat hat gegen seine Entscheidung die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Die Beschwerde wurde jedoch nicht eingelegt.

 

Zuzahlungsverzicht bei medizinischen Hilfsmitteln erlaubt
Urteil vom 1. Dezember 2016 – I ZR 143/15 –

Bundesgerichtshof, 01. Dezember 2016 - Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln Der unter anderem für das Lauterkeitsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die Werbung mit einem Verzicht auf die gesetzliche Zuzahlung bei medizinischen Hilfsmitteln zulässig ist.
Die Beklagte handelt im Internet mit medizinischen Hilfsmitteln, insbesondere zur Behandlung von Diabetes. Sie warb damit, dass ihre Kunden keine gesetzliche Zuzahlung entrichten müssen, weil sie diese übernehme. Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, beanstandet diese Werbung, weil sie gegen die Regelungen zur Zuzahlung in § 33 Abs. 8 SGB V* und § 43c Abs. 1 SGB V** sowie gegen das Verbot von Werbegaben in § 7 Abs. 1 HWG*** verstoße. Sie begehrt von der Beklagten Unterlassung und Ersatz von Abmahnkosten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Verzicht auf die Zuzahlung widerspreche der gesetzlichen Pflicht, die Zuzahlungen für Hilfsmittel einzuziehen, und stelle deshalb eine im Gesundheitswesen verbotene Werbegabe dar. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die die Klage abweisende Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt.
Die gesetzlichen Zuzahlungsregelungen dienen der Kostendämpfung im Gesundheitswesen und nicht dem Schutz der dort tätigen Mitbewerber. Die Einhaltung dieser Regeln kann daher von vornherein nicht mit Mitteln des Lauterkeitsrechts durchgesetzt werden. Der Zuzahlungsverzicht ist auch keine verbotene Heilmittelwerbung.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a HWG*** sind bestimmte oder auf bestimmte Art zu berechnende Rabatte jeder Art für nicht preisgebundene Arzneimittel, Medizinprodukte und andere Heilmittel erlaubt. In § 33 Abs. 8 Satz 3 SGB V* und § 61 Satz 1 SGB V**** sind die Zuzahlungen an die Höhe des Abgabepreises gekoppelt und lassen sich ohne weiteres errechnen. Die gesetzlichen Regelungen zur Zuzahlung stehen einem solchen Rabatt bei Hilfsmitteln nicht entgegen. Gemäß § 33 Abs. 8 SGB V* wird bei Hilfsmitteln der Verkäufer und nicht – wie etwa bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln - die Krankenkasse Inhaber der Zuzahlungsforderung gegen die Versicherten. Der Vergütungsanspruch des Hilfsmittellieferanten gegen die Krankenkasse verringert sich automatisch um die Zuzahlung. Der Verkäufer der Hilfsmittel kann über die Zuzahlungsforderung frei verfügen, also darauf auch verzichten. § 43c Abs. 1 SGB V** gilt nicht beim Vertrieb von Hilfsmitteln. Vorinstanzen: LG Ulm - Urteil vom 23. Juni 2014 - 3 O 4/14, GRUR-RR 2014, 511 OLG Stuttgart - Urteil vom 9. Juli 2015 - 2 U 83/14, GRUR-RR 2015, 449 Karlsruhe, den 1. Dezember 2016 *§ 33 Abs. 8 SGB V lautet: Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. (…) Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf. **§ 43c Abs. 1 SGB V lautet: Leistungserbringer haben Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. (…) ***§ 7 Abs. 1 HWG lautet: Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren …, es sei denn, dass 1. … 2.die Zuwendungen oder Werbegaben in a) einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag … b) … gewährt werden; … ****§ 61 Satz 1 SGB V lautet: Zuzahlungen, die Versicherte zu leisten haben, betragen 10 vom Hundert des Abgabepreises, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 10 Euro; allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels.

November 2016

Befreiungsfestigkeit des besonderen Stilleschutzes am Karfreitag ist mit den Grundrechten unvereinbar 
Bundesverfassungsgericht, 30. November 2016 - Urteil vom 27. Oktober 2016 

Die Regelungen des Bayerischen Gesetzes über den Schutz der Sonn- und Feiertage (FTG), die den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag anerkennen und mit einem qualifizierten Ruhe- und Stillerahmen ausstatten, sind grundsätzlich verfassungsgemäß.
Die Befreiungsfestigkeit dieses Tages, die eine Befreiung von den damit verbundenen Handlungsverboten selbst aus wichtigen Gründen von vornherein ausschließt (Art. 5 Halbsatz 2 FTG), erweist sich jedoch als unverhältnismäßig. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden.

Damit hat er der Verfassungsbeschwerde einer Weltanschauungsgemeinschaft gegen die teilweise Untersagung einer am Karfreitag geplanten öffentlichen Veranstaltung stattgegeben. Sachverhalt: Der Beschwerdeführer ist eine als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannte Körperschaft des öffentlichen Rechts. Nach seinem Grundsatzprogramm versteht er sich als Gemeinschaft, die die Interessen und Rechte von Konfessionslosen auf der Basis der Aufklärung und des weltlichen Humanismus vertritt. Er tritt unter anderem für eine strikte Trennung von Kirche und Staat ein.
Der Beschwerdeführer rief für den Karfreitag zu einer eintrittspflichtigen Veranstaltung in einem Münchener Theater auf. Diese stand unter dem Motto „Religionsfreie Zone München 2007“ und umfasste neben dem untersagten Veranstaltungsteil Filmvorführungen („Atheistische Filmnacht“/„Freigeister-Kino“), ein Pralinenbuffet sowie Erläuterungen der Anliegen und die Vorstellung der Ziele der Weltanschauungsgemeinschaft. Untersagt wurde die zum Abschluss der Veranstaltung vorgesehene „Heidenspaß-Party“, die der Beschwerdeführer als „Freigeister-Tanz“ mit einer Rockband angekündigt hatte.
Nach Ansicht der Ordnungsbehörde hätte der letzte Veranstaltungsteil gegen die Vorschriften des FTG verstoßen. Das FTG bestimmt den Karfreitag als „stillen Tag“, an dem über den allgemeinen Sonn- und Feiertagsschutz hinaus öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen, die den ernsten Charakter des Tages nicht wahren, sowie musikalische Darbietungen jeder Art in Räumen mit Schankbetrieb verboten sind.
Anders als für die übrigen stille Tage schließt es die Möglichkeit einer Befreiung von diesen Handlungsverboten für den Karfreitag aus (Art. 5 Halbsatz 2 FTG). Die vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsbehelfe gegen die Untersagung blieben erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seiner Weltanschauungsfreiheit sowie der Versammlungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 8 GG).
Wesentliche Erwägungen des Senats: Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. 1. Die Anerkennung des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag und seine Ausgestaltung als stiller Tag einschließlich des Verbots bestimmter öffentlicher Unterhaltungsveranstaltungen und musikalischer Darbietungen in Räumen mit Schankbetrieb greifen in die allgemeine Handlungsfreiheit sowie gegebenenfalls auch in die Berufsfreiheit und in die Kunstfreiheit ein. In besonders gelagerten Fällen kann sie auch die grundrechtlich geschützte Weltanschauungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit berühren.
2. a) Diese Eingriffe rechtfertigen sich dem Grunde nach aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Sonn- und Feiertagsschutzes sowie der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen verliehenen Befugnis, Feiertage anzuerkennen und die Art und das Ausmaß ihres Schutzes zu regeln (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV).
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. An diesen Tagen soll grundsätzlich die Geschäftigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann.
Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes im weltlichen Bereich resultiert wesentlich aus der synchronen Taktung des sozialen Lebens. Dabei verfolgt die Regelung zunächst die weltlich-sozialen Ziele der persönlichen Ruhe, Erholung und Zerstreuung. Daneben kommt der Vorschrift auch eine religiöse Bedeutung zu, indem sie auch auf die Möglichkeit der Religionsausübung sowie darauf abzielt, dass Gläubige diesen Tagen ein Gesamtgepräge geben können, wie es ihrem Glauben entspricht.
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Auswahl des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie lässt sich auf die gesetzgeberische Regelungsbefugnis stützen und ist weder neutralitäts- noch gleichheitswidrig. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit als Feiertage auch solche auszuwählen, die aufgrund von Traditionen, kultureller oder weltanschaulich-religiöser Prägung für große Bevölkerungsteile wichtig sind.
Die Möglichkeit der Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen, ihre Feiertage angemessen zu begehen, wird hierdurch nicht eingeschränkt.
c) Die Ausgestaltung des Karfreitags als ein besonderen Regelungen unterliegender stiller Tag und damit die Schaffung eines qualifizierten Ruheschutzes ist dem Grunde nach ebenfalls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber kann das Ausmaß des Feiertagsschutzes gesetzlich ausgestalten. Insoweit steht es ihm frei, für bestimmte Tage einen über die bloße Arbeitsruhe hinausgehenden äußeren Ruhe- und Stilleschutz zu schaffen.
Wie umfassend er diesen Schutz im Einzelnen fassen darf, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Regelung. Auch die Schaffung eines besonderen Schutzes, der der gefestigten Bedeutung des Karfreitags nach christlicher Überlieferung entspricht, begegnet im Grundsatz keinen durchgreifenden Bedenken mit Blick auf das grundgesetzliche Neutralitätsverständnis, solange sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, einen geschützten Rahmen zur Verfügung zu stellen, der eine in religiöser oder anderer Weise qualifizierte Begehung solcher Tage nur ermöglicht.
Die inhaltliche Ausfüllung dieses Freiraums obliegt hingegen den Einzelnen allein oder in Gemeinschaft. Es ist dabei Teil der demokratisch legitimierten Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, über die Auswahl solcher Tage zu entscheiden, die nur für Teile der Bevölkerung eine spezifisch geprägte Rolle spielen. Auf die Frage, wie viele der Kirchenangehörigen den Karfreitag in seiner religiösen Bedeutung in Gemeinschaft oder zurückgezogen in Privatheit begehen, kommt es daher nicht an.
3. Die konkrete Ausgestaltung des Karfreitagsschutzes erweist sich jedoch als unverhältnismäßig. Der Ausschluss einer Befreiungsmöglichkeit lässt sich in dieser Strenge für Fallgestaltungen, bei denen der Schutz des Feiertages mit den Gewährleistungen der Versammlungsfreiheit oder der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit anderer zusammentreffen, nicht mehr als angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlichen Positionen begreifen. Der strikte Befreiungsausschluss des Art. 5 Halbsatz 2 FTG ist deshalb mit der Weltanschauungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit unvereinbar und nichtig.
Zwar sind Unterhaltungsveranstaltungen und musikalische Darbietungen in Räumen mit Schankbetrieb in der Regel nicht als Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG oder als Ausübung der Bekenntnisfreiheit zu qualifizieren, ebenso wie umgekehrt Versammlungen normalerweise nicht als Unterhaltungsveranstaltungen aufzufassen sind. Ist dies jedoch ausnahmsweise der Fall, kann dies zu einer vom Regelfall abweichenden Beurteilung der Angemessenheit von Verboten zum Schutz des stillen Charakters führen.
Das Verbot stößt hier nicht allein auf ein schlichtes wirtschaftliches Erwerbsinteresse oder allein auf ein Vergnügungs- und Erholungsinteresse von Veranstaltern, Künstlern und potenziellen Besuchern, sondern betrifft wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit als wesentliches Element „demokratischer Offenheit“ die Teilhabe am öffentlichen Meinungsbildungsprozess und damit eine ihrerseits für das Gemeinwesen gewichtige grundrechtliche Gewährleistung. Entsprechendes gilt für Veranstaltungen, die dem Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, insbesondere auch in der Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit, unterfallen.
Die Durchführung solcher Veranstaltungen stellt den grundsätzlichen Ruhe- und Stilleschutz am Karfreitag nicht gleichermaßen in Frage und hat ein anderes Gewicht, so dass sich der besondere Schutz der stillen Tage gegenüber den betroffenen Grundrechten in diesen Fällen nur nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall durchsetzen kann. Werden solche Veranstaltungen von den Verbotsregeln des FTG erfasst, muss der Gesetzgeber daher einen Ausnahmetatbestand vorsehen, der es ermöglicht, Befreiungen von diesen Verboten zu erteilen.
Der Erteilung von Befreiungen für Veranstaltungen bei derartigen Grundrechtskonflikten steht auch nicht etwa die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der christlichen Teile der Bevölkerung entgegen. Aus dieser lässt sich keine verfassungsrechtliche Position ableiten, die den strikten Befreiungsausschluss rechtfertigen könnte.
Insbesondere schützt sie nicht vor der Konfrontation mit Bekundungen eines nicht geteilten Glaubens oder einer nicht geteilten Weltanschauung.

4. Die angegriffenen Entscheidungen der Behörden und tatsacheninstanzlichen Gerichte werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht und konnten diesen angesichts der Gesetzeslage auch nicht genügen. Sie verletzen den Beschwerdeführer in seiner Weltanschauungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Der untersagte Veranstaltungsteil ist dem Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in ihrer Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit zuzuordnen und als Ausübung der Weltanschauungsfreiheit zu beurteilen. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer für die untersagte Veranstaltung auch den Schutz der Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen.
Die Gesamtschau aller Umstände, die wegen ihrer unmittelbaren Grundrechtsrelevanz vom Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich überprüfbar ist, führt hier zu dem Ergebnis, dass auch der untersagte Veranstaltungsteil dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zuzuordnen ist. Fällt die Veranstaltung des Beschwerdeführers unter den Schutz der Weltanschauungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit, so durfte nach den dargelegten Maßstäben dem Feiertagsschutz nicht der unbedingte Vorrang gegeben werden.
Vielmehr bedurfte es einer Abwägung im Einzelfall. Im Ergebnis dieser Abwägung wäre eine Befreiung im Sinne des Art. 5 FTG zu erteilen gewesen. Das Gewicht der Grundrechte des Beschwerdeführers und der nach den Umständen des Einzelfalls vergleichsweise geringere Einfluss auf den besonderen äußeren Ruheschutz des Karfreitags führen hier dazu, dass bei verfassungskonformem Verständnis vom Vorliegen wichtiger Gründe für eine Befreiung ausgegangen werden musste.
Die Veranstaltung fand in einem geschlossenen Raum mit überschaubarer Teilnehmerzahl statt und sollte auch in ihrem zweiten Teil dort abgehalten werden. An dem konkreten Veranstaltungsort hatte sie vergleichsweise geringe Auswirkungen auf den öffentlichen Ruhe- und Stillecharakter des Tages.
Angesichts ihres thematischen Bezuges zum Karfreitag kam es auch maßgeblich darauf an, die Veranstaltung gerade an diesem Tag abzuhalten. Schließlich hätte die Möglichkeit bestanden, dem Ruhe- und Stilleschutz durch Auflagen gerecht zu werden, welche die Auswirkungen für den Ruherahmen in seiner Bedeutung für den allgemein wahrnehmbaren Charakter des Tages als Ganzes gegebenenfalls weiter begrenzt hätten.

 

Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Streit um Betriebsrat bei NRW-Landtagsfraktion

Duisburg, 30. November 2016 - In dem heute vor der 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf verhandelten einstweiligen Verfügungsverfahren haben sich die Fraktion und der Betriebsrat zur gütlichen Beilegung dieses Verfahrens verständigt.
Die Fraktion wird dem Betriebsrat binnen einer Woche wieder ein E-Mailpostfach nebst Kalender zur Verfügung stellen, das der Betriebsrat für Betriebsratsarbeit nutzen darf. Arbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 19.08.2016 – 4 BVGa 11/16 – Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 7 TaBVGa 7/16

 

Bundesgerichtshof verneint Störerhaftung für passwortgesichertes WLAN Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 220/15 - WLAN-Schlüssel
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat hat sich im Zusammenhang mit der Haftung für Urheberrechtsverletzungen mit den Anforderungen an die Sicherung eines Internetanschlusses mit WLAN-Funktion befasst. Die Klägerin ist Inhaberin von Verwertungsrechten an dem Film "The Expendables 2".
Sie nimmt die Beklagte wegen des öffentlichen Zugänglichmachens dieses Filmwerks im Wege des "Filesharing" auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Der Film ist im November und Dezember 2012 zu verschiedenen Zeitpunkten über den Internetanschluss der Beklagten durch einen unbekannten Dritten öffentlich zugänglich gemacht worden, der sich unberechtigten Zugang zum WLAN der Beklagten verschafft hatte.

Die Beklagte hatte ihren Internet-Router Anfang 2012 in Betrieb genommen. Der Router war mit einem vom Hersteller vergebenen, auf der Rückseite des Routers aufgedruckten WPA2-Schlüssel gesichert, der aus 16 Ziffern bestand. Diesen Schlüssel hatte die Beklagte bei der Einrichtung des Routers nicht geändert. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Er hat angenommen, dass die Beklagte nicht als Störerin haftet, weil sie keine Prüfungspflichten verletzt hat. Der Inhaber eines Internetanschlusses mit WLAN-Funktion ist zur Prüfung verpflichtet, ob der eingesetzte Router über die im Zeitpunkt seines Kaufs für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen, also einen aktuellen Verschlüsselungsstandard sowie ein individuelles, ausreichend langes und sicheres Passwort, verfügt.

Die Beibehaltung eines vom Hersteller voreingestellten WLAN-Passworts kann eine Verletzung der Prüfungspflicht darstellen, wenn es sich nicht um ein für jedes Gerät individuell, sondern für eine Mehrzahl von Geräten verwendetes Passwort handelt. Im Streitfall hat die Klägerin keinen Beweis dafür angetreten, dass es sich um ein Passwort gehandelt hat, das vom Hersteller für eine Mehrzahl von Geräten vergeben worden war.
Die Beklagte hatte durch Benennung des Routertyps und des Passworts sowie durch die Angabe, es habe sich um ein nur einmal vergebenes Passwort gehandelt, der ihr insoweit obliegenden sekundären Darlegungslast genügt.
Da der Standard WPA2 als hinreichend sicher anerkannt ist und es an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass im Zeitpunkt des Kaufs der voreingestellte 16-stellige Zifferncode nicht marktüblichen Standards entsprach oder Dritte ihn entschlüsseln konnten, hat die Beklagte ihre Prüfungspflichten nicht verletzt. Sie haftet deshalb nicht als Störerin für die über ihren Internetanschluss von einem unbekannten Dritten begangenen Urheberrechtsverletzungen.
Eine bei dem Routertyp bestehende Sicherheitslücke ist in der Öffentlichkeit erst im Jahr 2014 bekannt geworden. Vorinstanzen: AG Hamburg - Urteil vom 9. Januar 2015 - 36a C 40/14 LG Hamburg - Urteil vom 29. September 2015 - 310 S 3/15 Karlsruhe, den 24. November 2016

 

 

Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst ist im Verhältnis „1 zu 1“ durch Freizeit auszugleichen
Die Mehrarbeit eines Beamten in Form von Bereitschaftsdienst ist im Verhältnis „1 zu 1“ durch Freizeit auszugleichen. Hingegen besteht kein Anspruch auf Freizeitausgleich für eine reine Rufbereitschaft oder bloße Anwesenheitszeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme in dieser Zeit. Bei Freizeitausgleich für im Ausland geleisteten Dienst besteht außerdem kein Anspruch auf Auslandsbesoldung, wenn der Freizeitausgleich im Inland genommen wird. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Ein Teil der Kläger sind Bundespolizisten und war in den vergangenen Jahren mehrfach für jeweils einige Monate bei den deutschen Botschaften in Kabul und in Bagdad tätig. Dort nahmen sie Aufgaben des Personen- und Objektschutzes wahr.
Während ihres Dienstes im Ausland erhielten sie Auslandsbesoldung. Ein weiterer Kläger ist Polizeibeamter des Landes Berlin und wurde mehrfach für mehrere Tage bei polizeilichen Unterstützungseinsätzen in anderen Bundesländern eingesetzt.
Die Vorinstanzen haben die Beklagten verurteilt, den Klägern für Zeiten des Bereitschaftsdienstes Freizeitausgleich im Verhältnis „1 zu 1“ zu gewähren. Hingegen haben sie die Klagen abgewiesen, soweit die Kläger (vollen) Freizeitausgleich auch für Zeiten der Rufbereitschaft und für bloße Anwesenheitszeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme in dieser Zeit begehrt haben.
Außerdem haben sie die Klagen der Bundespolizisten abgewiesen, soweit diese Auslandsbesoldung für die Zeit der Inanspruchnahme von Freizeitausgleich im Inland beansprucht haben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sowohl die Revisionen der Kläger als auch die der Beklagten zurückgewiesen.
Es hat zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der Wortlaut der maßgeblichen Normen (§ 88 Satz 2 BBG, § 53 Absatz 2 LBG Berlin: „entsprechende“ Dienstbefreiung) legt eine Differenzierung nach Mehrarbeit in Volldienst oder Bereitschaftsdienst oder qualitativ nach der Intensität der geleisteten Mehrarbeit nicht nahe. Vor allem aber dient der Freizeitausgleich nicht nur dazu, eine Regeneration
des Beamten zu ermöglichen, sondern hat in erster Linie den Zweck, die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit jedenfalls im Gesamtergebnis zu gewährleisten.
Dies erfordert einen vollen Ausgleich.
Hingegen sind Zeiten reiner Rufbereitschaft oder bloße Anwesenheitszeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme keine als Mehrarbeit ausgleichspflichtigen Dienstzeiten.
Ebensowenig gibt es eine Rechtsgrundlage für das Begehren auf Fortzahlung der Auslandsbesoldung, wenn der Freizeitausgleich für Auslandsdienste im Inland genommen wird. Auslandsbesoldung bezweckt einen Ausgleich für Erschwernisse des Dienstes im Ausland, setzt also einen Aufenthalt im Ausland voraus.
BVerwG 2 C 21.15 - Urteil vom 17. November 2016
Vorinstanzen: OVG Münster, 1 A 419/14 - Urteil vom 24. August 2015 VG Köln, 15 K 3/13 - Urteil vom 16. Januar 2014
BVerwG 2 C 22.15 - Urteil vom 17. November 2016
Vorinstanzen: OVG Münster, 1 A 2545/13 - Urteil vom 24. August 2015 VG Köln, 15 K 7111/12 - Urteil vom 26. September 2013
BVerwG 2 C 23.15 - Urteil vom 17. November 2016
Vorinstanzen: OVG Münster, 1 A 421/14 - Urteil vom 24. August 2015 VG Köln, 15 K 6/13 - Urteil vom 16. Januar 2014
BVerwG 2 C 24.15 - Urteil vom 17. November 2016
Vorinstanzen: OVG Münster, 1 A 418/14 - Urteil vom 24. August 2015 VG Köln, 15 K 3583/12 - Urteil vom 16. Januar 2014
BVerwG 2 C 3.16 - Urteil vom 17. November 2016
Vorinstanz: VG Berlin, 26 K 58.14 - Urteil vom 02. Dezember 2015
BVerwG 2 C 28.15 - Urteil vom 17. November 2016
Vorinstanzen: VGH Mannheim, 4 S 169/12 - Urteil vom 17. Juni 2014

VG Stuttgart, 3 K 1353/13 - Urteil vom 05. Dezember 2012

 

 

Rechtsmittel gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf betreffend die Ministererlaubnis für die geplante Fusion Edeka – Tengelmann: Bundesgerichtshof hebt Beratungstermin auf
Karlsruhe, den 11. November 2016 - Beim Kartellsenat des Bundesgerichtshofs sind derzeit Rechtsmittel des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, der EDEKA Zentrale AG & Co. KG (im Folgenden: EDEKA) sowie der Tengelmann Warenhandelsgesellschaft KG und der Kaiser"s Tengelmann GmbH (im Folgenden: KT) gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Juli 2016 anhängig (Aktenzeichen KVR 38/16).
Mit diesem Beschluss hat das Oberlandesgericht die aufschiebende Wirkung der von anderen Unternehmen, insbesondere von REWE, erhobenen Beschwerden gegen die Ministererlaubnis angeordnet.
Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen.
Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf haben der Bundeswirtschaftsminister sowie EDEKA und KT Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Der Bundeswirtschaftsminister und EDEKA haben darüber hinaus zulassungsfreie Rechtsbeschwerde erhoben. Inzwischen haben die Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf das laufende Schlichtungsverfahren den Bundesgerichtshof übereinstimmend darum gebeten, derzeit nicht über diese Rechtsmittel zu entscheiden. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat entsprechend dieser Bitte den auf den 15. November 2016 anberaumten Beratungstermin aufgehoben.

 

Bundesgerichtshof: Gerichte müssen schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters auch bei fristloser Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB* berücksichtigen  

Urteil vom 9. November 2016 - VIII ZR 73/16 Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters im Einzelfall zur Folge haben können, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB* trotz einer erheblichen Pflichtverletzung des Mieters nicht gegeben ist.

Sachverhalt und Prozessverlauf
Die 97-jährige Beklagte zu 1 hat - zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann – im Jahr 1955 von den Rechtsvorgängern der Klägerin eine Dreizimmerwohnung in München und im Jahr 1963 zusätzlich eine in demselben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzimmerwohnung angemietet. Die (bettlägerige) Beklagte zu 1 bewohnt die Dreizimmerwohnung und steht seit einigen Jahren aufgrund einer Demenzerkrankung unter Betreuung.
Der Beklagte zu 2 bewohnt seit dem Jahr 2000 die Einzimmerwohnung. Seit dem Jahr 2007 ist er Betreuer der Beklagten zu 1 und pflegt sie ganztägig. Im Jahr 2015 äußerte der Beklagte zu 2 in mehreren Schreiben an die Hausverwaltung grobe Beleidigungen gegenüber der Klägerin. Die Klägerin sprach daraufhin die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB* aus.
Das Amtsgericht hat die Räumungsklage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht ihr allerdings stattgegeben. Bei derart groben Beleidigungen liege die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietvertrages für die Klägerin auf der Hand. Die von der Beklagten zu 1 vorgebrachten persönlichen Härtegründe könnten erst im Rahmen einer späteren Zwangsvollstreckung im Wege eines Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a ZPO** geprüft werden.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner heutigen Entscheidung unterstrichen, dass zu den bei der Gesamtabwägung einer nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB* erklärten fristlosen Kündigung zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls ohne weiteres auch schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters gehören.
Denn § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB* schreibt ausdrücklich eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vor. Die Abwägung auf bestimmte Gesichtspunkte zu beschränken und deren Berücksichtigung - wie das Berufungsgericht - auf das Vollstreckungsverfahren zu verschieben, verbietet sich mithin bereits aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung. Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte zudem verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.

Das kann bei der Gesamtabwägung nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB* zur Folge haben - was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist -, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe auf Seiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt.
Das Berufungsgericht hätte insoweit dem Vortrag der Beklagten nachgehen müssen, wonach die Beklagte zu 1 auf die Betreuung durch den Beklagten zu 2 in ihrer bisherigen häuslichen Umgebung angewiesen und bei einem Wechsel der Betreuungsperson oder einem Umzug schwerstwiegende Gesundheitsschäden zu besorgen seien.
Der Senat hat deshalb Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. *§ 543 BGB Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund (1) 1Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen.
2Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
 […] **§ 765a ZPO Vollstreckungsschutz
(1) 1 Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. […] Vorinstanzen: Amtsgericht München - Urteil vom 14. August 2015 - 417 C 11029/15
Landgericht München I - Urteil vom 20. Januar 2016 - 14 S 16950/15 

 

Bundesgerichtshof entscheidet zu Formularklauseln über Darlehensgebühren in Bausparverträgen
Urteil vom 8. November 2016
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine vorformulierte Bestimmung über eine "Darlehensgebühr" in Höhe von 2 Prozent der Darlehenssumme in Bausparverträgen zwischen Verbrauchern und Unternehmern unwirksam ist. Sachverhalt: Von den ursprünglich terminierten drei Verfahren zur Zulässigkeit von Darlehensgebühren in Bausparverträgen (vgl. dazu die Pressemitteilung Nr. 155/16) war nach Rücknahme von zwei Revisionen noch das Verfahren XI ZR 552/15 zu entscheiden.
In dieser Sache klagt ein Verbraucherschutzverband, der als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist. Er wendet sich mit der Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG gegen eine in den Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (ABB) der beklagten Bausparkasse enthaltene Klausel, wonach mit Beginn der Auszahlung des Bauspardarlehens eine "Darlehensgebühr" in Höhe von 2 Prozent des Bauspardarlehens fällig und dem Bauspardarlehen zugeschlagen wird (§ 10 ABB)*.
Der Kläger ist der Ansicht, die angegriffene Klausel verstoße gegen § 307 BGB**, und nimmt die Beklagte darauf in Anspruch, die Verwendung der Klausel gegenüber Verbrauchern zu unterlassen. Prozessverlauf: Die Klage ist in beiden Vorinstanzen abgewiesen worden. Die von dem Oberlandesgericht zugelassene Revision des Klägers hatte Erfolg. Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Bei der "Darlehensgebühr" handelt es sich um eine gerichtlicher Klauselkontrolle unterliegende sogenannte Preisnebenabrede.
Die Klausel ist dahingehend zu verstehen, dass mit der Gebühr keine konkrete vertragliche Gegenleistung bepreist wird. Vielmehr dient die Gebühr der Abgeltung von Verwaltungsaufwand, der für Tätigkeiten der Beklagten im Zusammenhang mit den Bauspardarlehen anfällt. Damit weicht die Klausel von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab. Denn zum einen wird mit dieser Gebühr ein Entgelt erhoben, das abweichend vom gesetzlichen Leitbild für Darlehensverträge, das nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB*** einen laufzeitabhängigen Zins vorsieht, nicht laufzeitabhängig ausgestaltet ist.
Dieses Leitbild ist entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts auch für Bauspardarlehensverträge maßgeblich. Zum anderen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Entgeltklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann mit wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung unvereinbar, wenn Aufwand für Tätigkeiten auf den Kunden abgewälzt wird, zu denen der Verwender gesetzlich oder nebenvertraglich verpflichtet ist oder die er überwiegend im eigenen Interesse erbringt. Das aber sieht die angegriffene Klausel vor.
Diese Abweichungen der Klausel von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligen die Vertragspartner der Bausparkasse unangemessen. Insbesondere wird die Gebühr nicht im kollektiven Gesamtinteresse der Bauspargemeinschaft erhoben, da sie keinen Beitrag zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Bausparwesens leistet. Die Darlehensgebühr wird auch nicht durch Individualvorteile für Bausparkunden, wie z.B. günstige Darlehenszinsen, ausgeglichen, da diesen bereits nicht unerhebliche Nachteile, etwa eine Abschlussgebühr, gegenüberstehen.
* § 10 Darlehensgebühr
Mit Beginn der Darlehensauszahlung wird eine Darlehensgebühr in Höhe von 2 % des Bauspardarlehens - bei der Wahl gemäß § 9 Abs. 3 vor Abzug des Disagios - fällig und dem Bauspardarlehen zugeschlagen (Darlehensschuld).
** § 307 BGB Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.
Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein. *** § 488 Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag (1) Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen.
Vorinstanzen: LG Heilbronn - Urteil vom 21. Mai 2015 - Bi 6 O 50/15 OLG Stuttgart - Urteil vom 19. November 2015 - 2 U 75/15
Karlsruhe, den 8. November 2016

 

Bundesgerichtshof, 03. November 2016 - Erste Entscheidung des BGH zum Umgangsrecht des biologischen Vaters nach der gesetzlichen Neuregelung Beschluss vom 5. Oktober 2016 - XII ZB 280/15 Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat hat entschieden, dass die beharrliche Weigerung der rechtlichen Eltern, einen Umgang ihres Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen, allein nicht genügt, um ein Umgangsrecht abzulehnen.

Aus der Beziehung des aus Nigeria stammenden Antragstellers mit einer verheirateten Frau sind die Ende 2005 geborenen Zwillinge hervorgegangen. Die Mutter lebt bereits seit August 2005 wieder mit ihrem Ehemann und den Kindern zusammen, darunter auch die im Jahr 1996, 1998 und 2000 geborenen, gemeinsamen Kinder der Eheleute.
Der mittlerweile in Spanien lebende Antragsteller begehrte seit der Geburt der Zwillinge Umgang mit ihnen, was die Mutter und ihr Ehemann wiederholt abgelehnt haben. Im Januar 2006 leitete der Antragsteller das erste Umgangsrechtsverfahren ein. Nachdem das Familiengericht Umgangskontakte angeordnet hatte, hob das Oberlandesgericht diese Entscheidung auf, weil ein Umgangsrecht des biologischen Vaters, der nicht in einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind stehe oder gestanden habe, nicht vorgesehen sei.

Die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Schließlich stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 21. Dezember 2010 (FamRZ 2011, 269) fest, dass die Versagung jeglichen Umgangs ohne eine Prüfung der Frage, ob ein solcher Umgang dem Kindeswohl dienlich wäre, eine Verletzung von Art. 8 EMRK* darstelle. Daraufhin hat der Antragsteller im März 2011 erneut eine Umgangsregelung beantragt.
Während das Amtsgericht wiederum einen monatlichen, begleiteten Umgang angeordnet hatte, hat das Oberlandesgericht auf die Beschwerde der rechtlichen Eltern den Umgangsrechtsantrag zurückgewiesen. Der Senat hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers aufgehoben. Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht – hier des Ehemanns, der die rechtliche Vaterschaft gemäß § 1592 Nr. 1 BGB** erlangt hat, weil er zum Zeitpunkt der Geburt der Zwillinge mit der Mutter verheiratet war – hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, gemäß § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB*** ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient.

Diese Neuregelung ist mit Wirkung vom 13. Juli 2013 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. Grund hierfür war die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuvor u.a. auch in dem den Antragsteller betreffenden Verfahren festgestellte Verletzung von Art. 8 EMRK. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf unzureichenden Ermittlungen.
Das folgt bereits daraus, dass die Eltern sich geweigert haben, die Kinder über ihre wahre Abstammung zu unterrichten, die Sachverständigen den Kindern deshalb vorgetäuscht haben, das Gutachten im Rahmen der Zwillingsforschung zu erstellen und die Gerichte die zum Zeitpunkt der Begutachtung bereits neun Jahre alten Kinder nicht angehört haben. Der Senat hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass nicht nur das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG****, sondern auch das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG***** geschützte Elternrecht, über die Information des Kindes hinsichtlich seiner wahren Abstammung zu bestimmen, grundsätzlich in den Fällen eingeschränkt ist, in denen der leibliche Vater ein Umgangsrecht nach § 1686 a BGB begehrt.

Das Kind ist vor einer Anhörung bzw. einer etwaigen Begutachtung bei entsprechender Reife über seine wahre Abstammung zu unterrichten, sofern ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffenden Gründen ausscheidet. Weigern sich die rechtlichen Eltern, dies selbst zu tun, steht es im Ermessen des Tatrichters, in welcher Art und Weise er für eine entsprechende Information des Kindes Sorge trägt.
Ist einziger Grund für das Scheitern des Umgangs die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern und die damit einhergehende Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch überfordert wären und dadurch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre, sind zudem strenge Anforderungen an die entsprechenden Feststellungen zu stellen.

Vorinstanzen: AG Baden-Baden – Beschluss vom 8. März 2013 – 6 F 80/11 OLG Karlsruhe – Beschluss vom 1. Juni 2015 – 20 UF 63/13 *Art. 8 EMRK
(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. ** § 1592 Nr. 1 BGB

Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, *** § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient (…). Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG ****
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. *****
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Karlsruhe, den 03. November 2016

 

Oktober 2016

 

Abwarten bei sporadisch auftretendem sicherheitsrelevantem Mangel für Käufer unzumutbar ("Vorführeffekt")
Urteil vom 26. Oktober 2016 - VIII ZR 240/15
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob es einem Käufer nach § 440 Satz 1 BGB* zumutbar ist, dass der Verkäufer die geschuldete Nachbesserung bei einem nur sporadisch auftretenden, aber für die Verkehrssicherheit relevanten Mangel eine aufwendige Untersuchung zunächst unterlässt und den Käufer darauf verweist, das Fahrzeug bei erneutem Auftreten der Mangelsymptome wieder vorzuführen.
Der Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der beklagten Kraftfahrzeughändlerin einen gebrauchten Volvo V 50 zum Preis von 12.300 €. Kurze Zeit nach der Übergabe des Fahrzeugs bemängelte der Kläger (u.a.), das Kupplungspedal sei nach Betätigung am Fahrzeugboden hängengeblieben, so dass es in die Ausgangsposition habe zurückgezogen werden müssen.
Bei einer daraufhin von der Beklagten durchgeführten Untersuchungsfahrt trat der vom Kläger gerügte Mangel am Kupplungspedal allerdings auch bei mehrmaliger Betätigung der Kupplung nicht auf. Während der Kläger geltend macht, er habe gleichwohl, allerdings vergeblich, auf einer umgehenden Mangelbehebung bestanden, will die Beklagte ihm lediglich mitgeteilt haben, dass derzeit kein Grund zur Annahme einer Mangelhaftigkeit und somit für ein Tätigwerden bestehe und der Kläger das Fahrzeug bei erneutem Hängenbleiben des Kupplungspedals wieder bei ihr vorstellen solle.
Nachdem der Kläger in den folgenden Tagen unter Hinweis auf ein erneutes Hängenbleiben des Kupplungspedals vergeblich versucht hatte, die Beklagte zu einer Äußerung über ihre Reparaturbereitschaft zu bewegen, trat er vom Kaufvertrag zurück. Die auf Rückabwicklung des Kaufvertrages und den Ersatz weiterer Schäden gerichtete Klage ist in zweiter Instanz erfolgreich gewesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf vollständige Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Kläger auch ohne Fristsetzung zur Nachbesserung wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten konnte, weil es ihm trotz des nur sporadischen Auftreten des Mangels aufgrund dessen Relevanz für die Verkehrssicherheit des Kraftfahrzeugs nicht im Sinne von § 440 Satz 1 BGB* zumutbar war, ein weiteres Auftreten der Mangelsymptome abzuwarten.
Der Kläger hat den Anforderungen an ein hinreichendes Nacherfüllungsverlangen bereits dadurch genügt, dass er der Beklagten neben der Einräumung einer Untersuchungsmöglichkeit die Mangelsymptome hinreichend genau bezeichnet hatte.

Bei dem durch Sachverständigengutachten bestätigten und bereits bei Gefahrübergang vorhandenen sporadischen Hängenbleiben des Kupplungspedals handelte es sich nicht um einen bloßen "Komfortmangel" , sondern um einen sicherheitsrelevanten Mangel. Denn eine solche Fehlfunktion kann, selbst wenn sie nur das Kupplungspedal selbst betrifft, unter anderem wegen des beim Fahrer hervorgerufenen Aufmerksamkeitsverlusts die Unfallgefahr signifikant erhöhen. Mit ihrer Erklärung anlässlich der Vorführung des Fahrzeugs, es bestünde kein Grund für die Annahme einer Mangelhaftigkeit und damit ein Tätigwerden, solange der behauptete Mangel nicht (erneut) auftrete und der Kläger damit nochmals vorstellig werde, ist die Beklagte dem Nacherfüllungsverlangen nicht gerecht geworden.
Denn eine verantwortungsvolle Benutzbarkeit des Fahrzeugs war ohne Abklärung des Mangels weitgehend aufgehoben, da der verkehrsunsichere Zustand fortbestand und es dem Kläger - der das Fahrzeug insofern auch tatsächlich noch im Juli 2013 stilllegte - nicht zugemutet werden konnte, das Risiko der Benutzung im öffentlichen Straßenverkehr auf sich zu nehmen. Ein Rücktritt war im vorliegenden Fall auch nicht wegen Unerheblichkeit des Mangels (§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB***) ausgeschlossen, auch wenn dieser letzten Endes (nachdem der Kläger den Rücktritt bereits erklärt hatte) mit geringen Kosten (433,49 €) beseitigt werden konnte.
Denn solange die Ursache eines aufgetretenen Mangelsymptoms unklar ist, kann die Erheblichkeit des Mangels regelmäßig nur an der hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung gemessen werden, die vorliegend aufgrund der Gefahren für Verkehrssicherheit des Fahrzeugs jedenfalls als erheblich anzusehen war.
*§ 440 BGB Besondere Bestimmungen für Rücktritt und Schadensersatz 1[…] bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht, wenn der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung […] verweigert oder wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. […]
 **§ 439 BGB Nacherfüllung […] (2) Der Verkäufer hat die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. […]
***§ 323 BGB Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung […] (5) […] 2Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

Vorinstanzen: Landgericht Kiel - Urteil vom 18. Mai 2015 - 12 O 259/13 Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht - Urteil vom 2. Oktober 2015 - 17 U 43/15

 

 

Bundesgerichtshof entscheidet über Zulässigkeit eines pauschalen Entgelts für geduldete Überziehungen  - Urteil vom 25. Oktober 2016 – XI ZR 9/15 und XI ZR 387/15
Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in zwei im wesentlichen Punkt parallel gelagerten Revisionsverfahren entschieden, dass vorformulierte Bestimmungen über ein pauschales "Mindestentgelt" für geduldete Überziehungen (§ 505 BGB*) zwischen einem Kreditinstitut und einem Verbraucher unwirksam sind.

In dem Verfahren XI ZR 9/15  heißt es in den von der beklagten Bank verwendeten "Bedingungen für geduldete Überziehungen" auszugsweise wie folgt: "5. Die Höhe des Sollzinssatzes für geduldete Überziehungen, der ab dem Zeitpunkt der Überziehung anfällt, beträgt 16,50 % p. a. (Stand August 2012). Die Sollzinsen für geduldete Überziehungen fallen nicht an, soweit diese die Kosten der geduldeten Überziehung (siehe Nr. 8) nicht übersteigen. (…)

8. Die Kosten für geduldete Überziehungen, die ab dem Zeitpunkt der Überziehung anfallen, betragen 6,90 Euro (Stand August 2012) und werden im Falle einer geduldeten Überziehung einmal pro Rechnungsabschluss berechnet. Die Kosten für geduldete Überziehung fallen jedoch nicht an, soweit die angefallenen Sollzinsen für geduldete Überziehungen diese Kosten übersteigen."  
Der Kläger, ein Verbraucherschutzverein, ist der Ansicht, dass die Regelung unter Ziffer 8 Satz 1 der Bedingungen Verbraucher unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB** benachteiligt, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Verwendung dieser Klausel in Anspruch.

Während die Klage in erster Instanz keinen Erfolg hatte, hat ihr das Berufungsgericht stattgegeben. In dem Verfahren XI ZR 387/15 begehrt der klagende Verbraucherschutzverein von der Beklagten, einer Geschäftsbank, die Unterlassung der Verwendung folgender Klausel: "[Die Bank] berechnet für jeden Monat, in welchem es auf dem Konto zu einer geduldeten Überziehung kommt, ein Entgelt von 2,95 €, es sei denn, die angefallenen Sollzinsen für geduldete Überziehungen übersteigen im Berechnungsmonat den Entgeltbetrag von 2,95 €. Die angefallenen Sollzinsen für geduldete Überziehungen werden nicht in Rechnung gestellt, wenn sie im Berechnungsmonat den Entgeltbetrag von 2,95 € unterschreiten."  

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Klausel wegen einer unangemessenen Benachteiligung von Verbrauchern unwirksam sei. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in dem Verfahren XI ZR 9/15 die Revision der beklagten Bank zurückgewiesen. In dem Verfahren XI ZR 387/15 hat er auf die Revision des Klägers der Klage stattgegeben. Die jeweils in Streit stehenden Bestimmungen über das pauschale "Mindestentgelt" für eine geduldete Überziehung unterliegen als Allgemeine Geschäftsbedingungen der gerichtlichen Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und halten dieser nicht stand, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen und die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Die Klauseln sind nicht als sogenannte Preishauptrede einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB** entzogen. Vielmehr handelt es sich um Preisnebenabreden, die einer Inhaltskontrolle unterliegen. Denn in den Fällen, in denen das Mindestentgelt erhoben wird, wird mit diesem unabhängig von der Laufzeit des Darlehens ein Bearbeitungsaufwand der Bank auf den Kunden abgewälzt.
Die angegriffenen Klauseln weichen damit von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab. Denn der Preis für eine geduldete Überziehung, bei der es sich um ein Verbraucherdarlehen handelt, ist dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB*** folgend ein Zins und damit allein eine laufzeitabhängige Vergütung der Kapitalüberlassung, in die der Aufwand für die Bearbeitung einzupreisen ist. Die Klauseln benachteiligen die Kunden der Beklagten auch in unangemessener Weise, zumal sie gerade bei niedrigen Überziehungsbeträgen und kurzen Laufzeiten zu unverhältnismäßigen Belastungen führen.
Denn bei einer geduldeten Überziehung von 10 € für einen Tag und dem hierfür in Rechnung zu stellenden Betrag von 6,90 € in dem Verfahren XI ZR 9/15 bzw. von 2,95 € in dem Verfahren XI ZR 387/15 wäre ein Zinssatz von 25.185% p.a. bzw. von 10.767,5% p.a. zwischen den Parteien zu vereinbaren.
Urteil vom 25. Oktober 2016 – XI ZR 9/15 LG Frankfurt am Main –
Urteil vom 21. Juni 2013 – 12 O 345/12 OLG Frankfurt am Main –
Urteil vom 4. Dezember 2014 – 1 U 170/13 und
Urteil vom 25. Oktober 2016 – XI ZR 387/15 LG Düsseldorf –
Urteil vom 9. April 2014 – 12 O 71/13 OLG Düsseldorf –
Urteil vom 16. Juli 2015 – 6 U 94/14 * § 505 BGB Geduldete Überziehung (1)

Vereinbart ein Unternehmer in einem Vertrag mit einem Verbraucher über ein laufendes Konto ohne eingeräumte Überziehungsmöglichkeit ein Entgelt für den Fall, dass er eine Überziehung des Kontos duldet, müssen in diesem Vertrag die Angaben nach Artikel 247 § 17 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche auf einem dauerhaften Datenträger enthalten sein und dem Verbraucher in regelmäßigen Zeitabständen auf einem dauerhaften Datenträger mitgeteilt werden.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn ein Darlehensgeber mit einem Darlehensnehmer in einem Vertrag über ein laufendes Konto mit eingeräumter Überziehungsmöglichkeit ein Entgelt für den Fall vereinbart, dass er eine Überziehung des Kontos über die vertraglich bestimmte Höhe hinaus duldet.
 (2) Kommt es im Fall des Absatzes 1 zu einer erheblichen Überziehung von mehr als einem Monat, unterrichtet der Darlehensgeber den Darlehensnehmer unverzüglich auf einem dauerhaften Datenträger über die sich aus Artikel 247 § 17 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ergebenden Einzelheiten. Wenn es im Fall des Absatzes 1 zu einer ununterbrochenen Überziehung von mehr als drei Monaten gekommen ist und der durchschnittliche Überziehungsbetrag die Hälfte des durchschnittlichen monatlichen Geldeingangs innerhalb der letzten drei Monate auf diesem Konto übersteigt, so gilt § 504a entsprechend. Wenn der Rechnungsabschluss für das laufende Konto vierteljährlich erfolgt, ist der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 der jeweilige Rechnungsabschluss.

(3) Verstößt der Unternehmer gegen Absatz 1 oder Absatz 2, kann der Darlehensgeber über die Rückzahlung des Darlehens hinaus Kosten und Zinsen nicht verlangen.
 (4) Die §§ 491a bis 496 und 499 bis 502 sind auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge, die unter den in Absatz 1 genannten Voraussetzungen zustande kommen, nicht anzuwenden. **§ 307 BGB Inhaltskontrolle (1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein. *** § 488 Abs. 1 BGB Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag (1)
Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen. (2) (…) (3) (…) Karlsruhe, den 25. Oktober 2016

 

Bundesgerichtshof bejaht mögliche Amtshaftungsansprüche von Eltern wegen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze – Verschulden der beklagten Kommune muss aber noch geprüft werden Urteile vom 20. Oktober 2016 – III ZR 278/15, 302/15 und 303/15

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in mehreren Entscheidungen mit der Frage befasst, ob Eltern im Wege der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB* in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG**) den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens verlangen können, wenn ihren Kindern entgegen § 24 Abs. 2 SGB VIII*** ab Vollendung des ersten Lebensjahres vom zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird und sie deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.
Der Sachverhalt: Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.
Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls (unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten belaufen sich die Forderungen auf 4.463,12 €, 2.182,20 € bzw. 7.332,93 €).

Prozessverlauf: Das Landgericht Leipzig hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Dresden die Klagen abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die beklagte Stadt zwar ihre aus § 24 Abs. 2 SGB VIII*** folgende Amtspflicht verletzt habe; die Erwerbsinteressen der Klägerinnen seien von dieser Amtspflicht aber nicht geschützt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerinnen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten wegen Schadensersatzansprüchen aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB* in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG**) zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Urteile des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Er hat im Einklang mit beiden Vorinstanzen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt bejaht. Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII*** anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt.
Die betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts bezweckt diese Amtspflicht auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder entgegen § 24 Abs., 2 SGB VIII*** keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern.
Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich des Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII***.
Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII***, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm - auch - um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen.
Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII**** bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie verbinden. Demnach kommt ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus Amtshaftung in Betracht, so dass die Berufungsurteile aufgehoben worden sind. Wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die drei Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
In diesem Zusammenhang hat er auf Folgendes hingewiesen: Wird der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann die Beklagte sich zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg berufen, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt - insbesondere: ohne "Kapazitätsvorbehalt" - einstehen muss. * § 839 BGB: (1) 1

Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 2… … ** Artikel 34 Grundgesetz: 1Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. 2… *** § 24 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII): (1) …

(2) 1Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. … … **** § 22 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII): (1) … (2) Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen
1.die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,
2.die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen, 3.den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können.
(3) … Vorinstanzen: III ZR 278/15 Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 1928/14
Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 320/15 und III ZR 302/15
Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 1455/14 Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 319/15 Und III ZR 303/15
Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 2439/14 Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 321/15 Karlsruhe, den 20. Oktober 2016

 

 

Europäischer Gerichtshof - 19.10.2016 in der Rechtssache C-148/15
Die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen das Unionsrecht
Die „Deutsche Parkinson Vereinigung“ ist eine Selbsthilfeorganisation, die die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und deren Familien verbessern möchte. Sie hat mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem ausgehandelt, das ihre Mitglieder in Anspruch nehmen können, wenn sie bei dieser Apotheke verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente kaufen. Der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist in Deutschland nicht mehr verboten.
Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs ist der Auffassung, dass dieses Bonussystem gegen die deutsche Regelung verstößt, die einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel vorsieht1.
Auf Antrag dieses Vereins untersagte das Landgericht Düsseldorf der Deutschen Parkinson Vereinigung, das Bonussystem bei ihren Mitgliedern zu bewerben2. Diese wandte sich daraufhin an das Oberlandesgericht Düsseldorf, das seinerseits den Gerichtshof mit der Frage befasst hat, ob die Festlegung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mit dem freien Warenverkehr vereinbar ist.
Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass die betreffende Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt.
Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise wirkt sich nämlich auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker aus, so dass der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse. Hierzu führt der Gerichtshof erstens aus, dass der Versandhandel für ausländische Apotheken ein wichtigeres bzw. eventuell sogar das einzige Mittel darstellt, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Zweitens kann der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein als für traditionelle Apotheken, die besser in der Lage sind, Patienten durch Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen.
Grundsätzlich kann zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden, doch ist die betreffende Regelung zur Erreichung dieser Ziele nicht geeignet.
Es wurde insbesondere nicht nachgewiesen, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann.

Im Gegenteil legen einige eingereichte Unterlagen nahe, dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern

1. Der Hersteller hat für sein Arzneimittel einen Preis festzusetzen, auf den ein Großhandelszuschlag und ein Apothekenzuschlag aufgeschlagen werden.
2. Konkret hat es ihr untersagt, dieses Bonussystem zu empfehlen, wenn dies in einer Art und Weise wie im Juli 2009 geschieht, nämlich mit einem an ihre Mitglieder versandten Anschreiben.


da Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.
Zudem liegen dem Gerichtshof keine Belege dafür vor, dass sich die Versandapotheken ohne die betreffende Regelung einen Preiswettbewerb liefern könnten, so dass wichtige Leistungen wie die Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären, weil sich die Zahl der Präsenzapotheken in der Folge verringern würde.
Andere Wettbewerbsfaktoren wie die individuelle Beratung der Patienten durch Personal vor Ort könnten den traditionellen Apotheken nämlich eventuell dabei helfen, konkurrenzfähig zu bleiben.
Es könnte sich auch herausstellen, dass für die traditionellen Apotheken, wenn sie sich einem Preiswettbewerb der Versandapotheken gegenübersehen, sogar ein Anreiz dazu bestünde, mehr Leistungen im Allgemeininteresse wie die Herstellung von Rezepturarzneimitteln anzubieten.
Ein Preiswettbewerb könnte auch den Patienten Vorteile bringen, da er es gegebenenfalls ermöglichen würde, verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland zu günstigeren Preisen anzubieten als sie derzeit festgelegt werden.

 


Bundesverfassungsgericht: Eilanträge in Sachen „CETA“ erfolglos

Karlsruhe, 13. Oktober 2016- Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement - CETA) richteten, über die der Rat der Europäischen Union voraussichtlich am 18. Oktober 2016 entscheiden wird.
Die Bundesregierung muss allerdings sicherstellen,

-        dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen,

-        dass bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist, und

-        dass die Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland ermöglicht.

Bei Einhaltung dieser Maßgaben bestehen für die Rechte der Beschwerdeführer sowie für die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages keine schweren Nachteile, die im Rahmen einer Folgenabwägung den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten erscheinen ließen.

 

 

Bundesgerichtshof erweitert den Anwendungsbereich der Beweislastumkehr nach § 476 BGB* zugunsten des Verbrauchers
Urteil vom 12. Oktober 2016 - VIII ZR 103/15
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Reichweite der Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB* beim Verbrauchsgüterkauf beschäftigt.
Der Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen gebrauchten BMW 525d Touring zum Preis von 16.200 €. Nach knapp fünf Monaten und einer vom Kläger absolvierten Laufleistung von rund 13.000 Kilometern schaltete die im Fahrzeug eingebaute Automatikschaltung in der Einstellung "D" nicht mehr selbständig in den Leerlauf; stattdessen starb der Motor ab. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich.

Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mangelbeseitigung trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz geltend gemachter Schäden. Prozessverlauf: Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat im Einklang mit dem Landgericht die Auffassung vertreten, der Kläger habe nicht den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass das Fahrzeug bereits bei seiner Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe.
Zwar seien die aufgetretenen Symptome nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen auf eine zwischenzeitlich eingetretene Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers zurückzuführen. Auch sei es grundsätzlich möglich, dass der Freilauf schon bei der Übergabe des Fahrzeugs mechanische Veränderungen aufgewiesen habe, die im weiteren Verlauf zu dem eingetretenen Schaden geführt haben könnten. Nachgewiesen sei dies jedoch nicht. Vielmehr komme als Ursache auch eine Überlastung des Freilaufs, mithin ein Bedienungsfehler des Klägers nach Übergabe in Betracht.
Bei einer solchen Fallgestaltung könne sich der Kläger nicht auf die zugunsten eines Verbrauchers eingreifende Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB* berufen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründe diese Vorschrift lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dahin, dass ein innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe.
Sie gelte dagegen nicht für die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorliege. Wenn daher - wie hier - bereits nicht aufklärbar sei, dass der eingetretene Schaden auf eine vertragswidrige Beschaffenheit des Kaufgegenstands zurückzuführen sei, gehe dies zu Lasten des Käufers.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine bislang zu § 476 BGB* entwickelten Grundsätze zugunsten des Käufers angepasst, um sie mit den Erwägungen in dem zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juni 2015 (C-497/13, NJW 2015, 2237 - Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV) in Einklang zu bringen.
Die mit diesem Urteil durch den Gerichtshof erfolgte Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie**, der durch § 476 BGB* in nationales Recht umgesetzt wurde, gebietet es, im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB* den Anwendungsbereich dieser Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in zweifacher Hinsicht zu erweitern.
Dies betrifft zunächst die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des - die Voraussetzung für das Einsetzen der Vermutungswirkung des § 476 BGB bildenden - Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang. Anders als dies der bisherigen Senatsrechtsprechung zu § 476 BGB entspricht, muss der Käufer nach Auffassung des Gerichtshofs im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchgüterkaufrichtlinie** weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist.
Vielmehr hat er lediglich darzulegen und nachzuweisen, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte. In richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB* lässt der Senat nunmehr die dort vorgesehene Vermutungswirkung bereits dann eingreifen, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine "Mangelerscheinung") gezeigt hat, der - unterstellt er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde.

Dagegen muss der Käufer fortan weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt. Außerdem ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB* die Reichweite der dort geregelten Vermutung um eine sachliche Komponente zu erweitern. Danach kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB* fortan auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat.
Damit wird der Käufer - anders als bisher von der Senatsrechtsprechung gefordert - des Nachweises enthoben, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.
Folge dieser geänderten Auslegung des § 476 BGB* ist eine im größeren Maß als bisher angenommene Verschiebung der Beweislast vom Käufer auf den Verkäufer beim Verbrauchsgüterkauf. Der Verkäufer hat den Nachweis zu erbringen, dass die aufgrund eines binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetretenen mangelhaften Zustands eingreifende gesetzliche Vermutung, bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs habe - zumindest ein in der Entstehung begriffener - Sachmangel vorgelegen, nicht zutrifft.
Er hat also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil sie ihren Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und ihm damit nicht zuzurechnen ist. Gelingt ihm diese Beweisführung - also der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen - nicht hinreichend, greift zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB* auch dann ein, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben ist, also letztlich ungeklärt geblieben ist, ob überhaupt ein vom Verkäufer zu verantwortender Sachmangel vorlag.
Daneben verbleibt dem Verkäufer die Möglichkeit, sich darauf zu berufen und nachzuweisen, dass das Eingreifen der Beweislastumkehr des § 476 BGB* ausnahmsweise bereits deswegen ausgeschlossen sei, weil die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag, mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar sei (§ 476 BGB am Ende*).
Auch kann der Käufer im Einzelfall gehalten sein, Vortrag zu seinem Umgang mit der Sache nach Gefahrübergang zu halten. Der Senat hat nach alledem das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Insbesondere wird dieses unter Anwendung der sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB* ergebenden neuen Grundsätze zur Beweislastverteilung zu prüfen haben, ob der Beklagten der Nachweis gelungen ist, dass der akut aufgetretene Schaden am Freilauf des Drehmomentwandlers zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs auch nicht im Ansatz vorlag, sondern auf eine nachträgliche Ursache (Bedienungsfehler) zurückzuführen ist.

* § 476 BGB Beweislastumkehr
Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.
** Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter Art. 5 Fristen […] (3)

Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, dass Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar.
Vorinstanzen: Landgericht Frankfurt am Main - Urteil vom 27. Mai 2013 - 2/18 O 443/10 Oberlandesgericht Frankfurt am Main - Urteil vom 14. April 2015 - 10 U 133/13 Karlsruhe, den 12. Oktober 2016

 

September

 

Mieterin darf Rollator im Hausflur parken Mietrecht  
27. September 2016 - Eine nach einer Operation gehbehinderte Mieterin darf ihren Rollator im Hausflur neben der Eingangstür abstellen. Wenn es keine Beeinträchtigung der anderen Hausbewohner gibt, kann der Vermieter dagegen nichts einwenden. Dies entschied laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Amtsgericht Recklinghausen. AG Recklinghausen, Az. 56 C 98/13  
Hintergrundinformation: In Treppenhaus und Hausflur abgestellte Gegenstände wie Fahrräder, Kinderwagen oder Rollatoren sorgen immer wieder für Streit unter den Bewohnern von Mehrfamilienhäusern. Wenn auch die Rechtsprechung nicht ganz einheitlich ist, eine Faustregel gibt es: Die Sicherheit darf nicht beeinträchtigt werden.
Fluchtwege – insbesondere für den Brandfall – müssen frei sein. Der Fall: Eine Mieterin in einem Mehrfamilienhaus war nach einer Operation gehbehindert und auf einen Rollator angewiesen. Sie stellte diesen regelmäßig zusammengeklappt rechts hinter der Hauseingangstür im Hausflur ab, da sie nicht in der Lage war, ihn in den ersten Stock in ihre Wohnung zu tragen.
Es kam nun zum Streit mit dem im gleichen Haus wohnenden und ebenfalls gehbehinderten Vermieterpaar. Denn diese wandten ein, dass der Rollator im Weg sei, wenn sie mit Wasserkästen oder Wäschekörben die Kellertreppe benutzen wollten.
Das Urteil: Das Amtsgericht Recklinghausen besichtigte das Haus und entschied, dass die Mieterin ihren Rollator im Hausflur abstellen dürfe. Es sei eine Nebenpflicht des Vermieters aus dem Mietvertrag, solche Notwendigkeiten des Mieters zu dulden, soweit dieser dadurch das Mietobjekt nicht über das normale Maß hinaus nutze.
Die Mieterin habe keine anderen Möglichkeiten. Insbesondere sei sie nicht in der Lage, den Rollator im 20 Meter entfernten Schuppen hinter dem Haus abzustellen, da sie diese Strecke nicht ohne Rollator gehen könne. Es sei ihr auch nicht zuzumuten, jedes Mal wie angeboten den Vermieter um Hilfe zu bitten, um ihren Rollator in ihre Wohnung oder nach unten zu tragen.
Das Gericht erkannte an, dass ein Begehen der Kellertreppe bei daneben geparktem Rollator mit Wasserkästen und Wäschekörben kaum möglich sei. Dieses Problem könne aber gelöst werden, wenn der Rollator auf der anderen Innenseite der Haustür unter den Briefkästen stehe – dort sei genug Platz und niemand werde behindert. Amtsgericht Recklinghausen, Urteil vom 27. Januar 2014, Az. 56 C 98/13  

 

Bundesgerichtshof bejaht Schadensersatzpflicht eines Zuschauers gegenüber dem Verein für das Zünden eines Knallkörpers im Fußballstadion Urteil vom 22. September 2016 - VII ZR 14/16
Der VII. Zivilsenat hat die Pflicht des Zuschauers eines Fußballspiels bejaht, dem veranstaltenden Verein die von diesem gezahlte Verbandsstrafe wegen des Zündens eines Knallköpers durch den Zuschauer als Schadensersatz zu erstatten.
Sachverhalt: Die Klägerin betreibt den Profifußballbereich des 1. FC Köln. Sie verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen des Zündens eines Knallkörpers bei einem Heimspiel im RheinEnergieStadion in der 2. Bundesliga gegen den SC Paderborn 07 am 9. Februar 2014. Der Beklagte zündete in der zweiten Halbzeit einen Knallkörper, der aufgrund seiner Sprengenergie dem Sprengstoffgesetz unterfällt, und warf ihn vom Oberrang der Nordtribüne auf den Unterrang, wo er detonierte und sieben Zuschauer verletzte.
Wegen dieses Vorfalls und vier weiterer vorangegangener Vorfälle bei anderen Spielen der Lizenzspielermannschaft der Klägerin verhängte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) eine Verbandsstrafe gegen die Klägerin, u.a. bestehend aus einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 € sowie der Bewährungsauflage, weitere 30.000 € für Projekte und Maßnahmen zu verwenden, die der Gewaltprävention sowie der Ermittlung von konkreten Tätern bei den Fußballspielen der Klägerin dienen. Die Klägerin bezahlte die Geldstrafe. Sie verlangt vom Beklagten Ersatz in Höhe von 30.000 €.
Prozessverlauf: Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, dass der Beklagte zwar durch das Zünden und den Wurf des Knallkörpers seine Verhaltenspflichten aus dem Zuschauervertrag verletzt habe. Das habe auch die Verhängung der Verbandsstrafe durch den DFB nach sich gezogen. Es fehle jedoch an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Denn die Verhängung der Verbandsstrafe unterfalle nicht mehr dem Schutzzweck der vom Beklagten verletzten Pflichten.
Das Verbot des Zündens von Knallkörpern im Stadion diene dem Schutz der menschlichen Gesundheit. Hinsichtlich des hier geltend gemachten Schadens habe sich jedoch das durch die Unterwerfung der Klägerin unter die Regeln des DFB geschaffene Risiko, dass der Verein für sportliche Vergehen seiner Anhänger die Verantwortung zu übernehmen habe und dementsprechend im Rahmen des Verbandes mit Strafen belegt werden könne, verwirklicht.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Berufungsurteils. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass jeden Zuschauer die Verhaltenspflicht trifft, die Durchführung des Fußballspiels nicht zu stören. Verstößt er hiergegen durch das Zünden und den Wurf eines Knallkörpers, hat er für die daraus folgenden Schäden zu haften und sie zu ersetzen.
Das gilt auch für eine dem Verein wegen des Vorfalls auferlegte Geldstrafe des DFB. Sie ist kein nur zufällig durch das Verhalten verursachter, hiermit nicht mehr in einem inneren Zusammenhang stehender Schaden. Vielmehr wird sie gerade wegen der Störung durch den Zuschauer verhängt. Auch die Regeln des Verbandes dienten wie die Pflichten des Zuschauervertrags der Verhinderung von Spielstörungen.
Der Bundesgerichtshof hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, damit dieses die weiteren Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs prüft. Vorinstanzen: LG Köln - Urteil vom 8. April 2015 - 7 O 231/14 OLG Köln - Urteil vom 17. Dezember 2015 - 7 U 54/15

 

David gegen Goliath
Bundesgerichtshof entscheidet über den vom Norddeutschen Fußballverband e.V. verhängten Zwangsabstieg des SV Wilhelmshaven e.V. aus der Regionalliga Nord Urteil vom 20. September 2016 – II ZR 25/15

20. September 2016 - Der u.a. für das Vereinsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute der Klage des SV Wilhelmshaven e.V. gegen den Norddeutschen Fußballverband e.V. wegen der Anordnung eines Zwangsabstiegs stattgegeben und dabei über die Grenzen der Disziplinarbefugnis eines Vereins entschieden. Sachverhalt: Der Kläger, der SV Wilhelmshaven e.V., begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit eines Beschlusses des Beklagten, des Norddeutschen Fußballverbands e.V., mit dem dieser den Zwangsabstieg der 1. Fußballmannschaft (Herren) des Klägers zum Ende der Spielzeit 2013/14 aus der Regionalliga Nord verfügt hat.
Der Beklagte ist Mitglied des Deutschen Fußballbunds e.V. (DFB), der wiederum Mitglied der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) ist. Nach dem Reglement der FIFA "bezüglich Status und Transfer von Spielern" ist von einem Verein, der einen Spieler eines anderen Vereins übernimmt, im Rahmen bestimmter Altersgrenzen eine Entschädigung für die Ausbildung des Spielers zu zahlen.
Der Kläger hatte vom 29. Januar bis zum 30. Juni 2007 für seine damalige Regionalligamannschaft einen 1987 geborenen Fußballspieler mit (jedenfalls auch) italienischer Staatsangehörigkeit verpflichtet, der zuvor bei zwei argentinischen Fußballvereinen gespielt hatte. Auf Antrag der beiden argentinischen Vereine setzte die zuständige Kammer der FIFA im Dezember 2008 Ausbildungsentschädigungen in Höhe von insgesamt 157.500 € gegen den Kläger fest.
Dagegen rief der Kläger den Court of Arbitration for Sports (CAS) an. Dieser bestätigte die Ausbildungsentschädigungen. Da der Kläger die Entschädigungen trotz Verhängung einer Geldstrafe, Gewährung einer letzten Zahlungsfrist und Abzugs von Punkten in der Ligameisterschaft nicht an die beiden argentinischen Vereine zahlte, sprach die Disziplinarkommission der FIFA am 5. Oktober 2012 den Zwangsabstieg der 1. Fußballmannschaft (Herren) des Klägers aus. Nach der Bestätigung dieser Maßnahme durch den wiederum vom Kläger angerufenen CAS forderte die FIFA den DFB auf, den Zwangsabstieg umzusetzen.
Der DFB reichte diese Bitte an den Beklagten weiter. Dessen Präsidium beschloss sodann den Zwangsabstieg. Eine dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das Verbandsgericht des Beklagten zurück. Prozessverlauf: Die gegen den Zwangsabstieg zum Ende der Spielzeit 2013/14 gerichtete Klage ist beim Landgericht ohne Erfolg geblieben.
Das Berufungsgericht hat dagegen die Unwirksamkeit des Beschlusses des Beklagten, mit dem der Zwangsabstieg verfügt wurde, festgestellt. Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil im Ergebnis bestätigt. Dabei hat er offen gelassen, ob - wie das Oberlandesgericht gemeint hat - der Abstiegsbeschuss gegen das Recht der Fußballspieler auf Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV verstößt.
Denn jedenfalls ist der Beschluss deshalb nichtig, weil er in das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers zum Beklagten eingreift, ohne dass dafür eine ausreichende Grundlage vorhanden ist. Eine vereinsrechtliche Disziplinarstrafe darf verhängt werden, wenn sie in der Satzung des Vereins vorgesehen ist. Dabei muss die Regelung eindeutig sein, damit die Mitglieder des Vereins die ihnen eventuell drohenden Rechtsnachteile erkennen und entscheiden können, ob sie diese hinnehmen oder ihr Verhalten entsprechend einrichten wollen.
Eine derartige Grundlage fehlt in der Satzung des Beklagten, soweit es um Disziplinarstrafen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen geht. Ob sich aus den Satzungen des DFB oder der FIFA entsprechende Bestimmungen ergeben, ist ohne Belang. Maßgebend ist allein die Satzung des Beklagten. Denn der Kläger ist nur Mitglied des Beklagten, nicht auch des DFB oder gar der FIFA. Regeln eines übergeordneten Verbands - wie hier der FIFA - gelten grundsätzlich nur für dessen Mitglieder. Sie erstrecken sich nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft eines nachgeordneten Vereins - hier des Beklagten - in dem übergeordneten Verband auf die Mitglieder des nachgeordneten Vereins - hier den Kläger.

Damit ist der Beschluss über den Zwangsabstieg allein an der Satzung des Beklagten zu messen. Diese Satzung verweist hinsichtlich von Disziplinarmaßnahmen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen auch nicht auf die Bestimmungen in den Regelwerken des DFB oder der FIFA. Damit hat der Beklagte nicht, wie die Revision anführt, ähnlich einem Gerichtsvollzieher nur die Entscheidung des DFB und der FIFA vollzogen, ohne sie selbst zu verantworten.
Er hat vielmehr eine eigene vereinsrechtliche Disziplinarstrafe auf der Grundlage des Mitgliedschaftsverhältnisses zwischen ihm und dem Kläger verhängt. Dass damit die Anordnung der FIFA-Disziplinarkommission umgesetzt werden sollte, ist unerheblich. Der Kläger hat sich auch nicht auf andere Weise einer Sanktion in Form des Zwangsabstiegs wegen der Nichtzahlung der nach dem FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern angefallenen Ausbildungsentschädigungen unterworfen.
Er hat zwar mit dem DFB einen "Zulassungsvertrag Regionalliga" über die Teilnahme an der Regionalliga geschlossen.
Ob er damit das Reglement der FIFA bezüglich Status und Transfer von Spielern anerkannt hat, konnte aber offen bleiben. Denn es ging in dem vorliegenden Verfahren nicht darum zu entscheiden, ob der Kläger die Ausbildungsentschädigung aufgrund der Festsetzung der FIFA und des ersten Schiedsspruchs des CAS zahlen muss, was ggf. in einem auf Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche gerichteten Verfahrens zu klären wäre.
Allein entscheidend war hier vielmehr die Frage, ob der Kläger bei Nichtzahlung mit einem Zwangsabstieg bestraft werden kann. Dafür hätte es einer ausreichend deutlichen Ermächtigung bedurft, die auch in dem Zulassungsvertrag nicht enthalten war. Ebenso wenig genügt die bloße Teilnahme an der Regionalliga, um eine Unterwerfung unter eine Zwangsabstiegsentscheidung des Beklagten wegen Nichtzahlung der von der FIFA festgesetzten Ausbildungsentschädigungen an-nehmen zu können.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 28. November 1994 - II ZR 11/94, BGHZ 128, 93) gelten die von dem veranstaltenden Sportverband aufgestellten Wettkampfregeln ohne weiteres für alle Wettkampfteilnehmer, weil anders ein geordneter Wettkampfbetrieb nicht möglich wäre.
Die Regeln über die Ausbildungsentschädigung sind aber keine Wettkampfregeln in diesem Sinne. Der argentinische Spieler durfte vielmehr antreten, obwohl für ihn die Ausbildungsentschädigung nicht gezahlt worden war.
Vorinstanzen: LG Bremen – Urteil vom 25. April 2014 – 12 O 129/13 OLG Bremen – Urteil vom 30. Dezember 2014 – 2 U 67/14 Karlsruhe, den 20. September 2016

August 2016

 

Frisch gewischt: Kein Schmerzensgeld nach Sturz
Zivilrecht: Ein Reinigungsbetrieb muss kein Schmerzensgeld an eine Frau zahlen, die an ihrer Arbeitsstelle auf einer feuchten, frisch gewischten Treppe gestürzt ist. Warnschilder sind bei einer offensichtlichen Gefahr nicht erforderlich.
Dies entschied laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Oberlandesgericht Bamberg. OLG Bamberg, Az. 6 U 5/13   Hintergrundinformation: Wer eine mögliche Gefahr für andere schafft, hat eine sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Auf der Verletzung dieser Pflicht beruhen zum Beispiel die Ansprüche von Fußgängern, die im Winter auf ungestreuten Wegen stürzen. Aber die Verkehrssicherungspflicht hat auch Grenzen: Niemand kann gegen jedes auch nur entfernt denkbare Risiko Vorsichtsmaßnahmen treffen. Und wer sich selbst allzu unvorsichtig verhält, bleibt womöglich auf seinem Schaden sitzen.
Der Fall: Eine Frau war an ihrer Arbeitsstelle auf einer frisch gewischten Treppe gestürzt. Dabei hatte sie sich einen Trümmerbruch des linken Handgelenks und ein ganzes Sortiment von Prellungen zugezogen. Die Frau machte das Reinigungsunternehmen verantwortlich, das kurz zuvor gründlich geputzt hatte. Sie sei nur deshalb gestürzt, weil die Gebäudereiniger keine Warnschilder aufgestellt hätten. Sie habe erst nach dem Sturz realisiert, dass die Treppe noch feucht war. Nun verlangte sie 10.000 Euro Schmerzensgeld.
Das Reinigungsunternehmen war der Meinung, dass die Frau selbst schuld gewesen sei: Jeder habe sehen können, dass die Treppe feucht sei – und obendrein verwende das Reinigungsunternehmen besonders schnell trocknende Reinigungsmittel.
Das Urteil: Das Landgericht Coburg entschied nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice in erster Instanz zugunsten des Reinigungsunternehmens. Vor Gefahren müsse nur dann gewarnt werden, wenn diese nicht ohne Weiteres durch einen aufmerksamen Treppenbenutzer erkennbar seien. Zwar sei es denkbar, dass auf bestimmten Fußbodenbelägen Feuchtigkeit nicht gleich erkennbar ist.
Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen. Das Gericht bezog sich dabei auch auf die Zeugenaussage eines Sanitäters, der angab, die feuchte Treppe sofort bei seinem Eintreffen bemerkt zu haben. Obendrein habe das Unternehmen die Treppe jeden Tag zur gleichen Zeit geputzt, ohne Warnschilder aufzustellen. Dies habe die Klägerin gewusst. Dass an diesem Tag die Reinigung ein paar Minuten später stattgefunden habe, sei nicht entscheidend.
Sei eine Gefahr für jeden erkennbar, müsse nicht extra davor gewarnt werden. Dieser Ansicht schloss sich das Oberlandesgericht Bamberg in zweiter Instanz an. Die Schmerzensgeldklage war damit erfolglos. Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 20.03.2013, Az. 6 U 5/13  

 

Diese Woche: Unfall auf der Jagd nach Pokémon?  
Leonie Z. aus Münster: Ich spiele gerne Pokémon-Go. Wie bin ich eigentlich geschützt, wenn ich dabei stolpere und einen Unfall habe?  
Rudolf Kayser, Unfallexperte von ERGO: Tatsächlich kam es in den USA schon zu einigen Unfällen, weil Spieler auf der Jagd nach den virtuellen Monstern ihre Umgebung nur noch eingeschränkt wahrnehmen. In Deutschland gab es bislang zwar noch keine größeren Unfälle, unachtsames Verhalten im Straßenverkehr kann aber durchaus gefährlich werden: Denn die Spieler sammeln sich nicht nur in Parks, sondern überqueren bei ihrer Pokémon-Suche auch Straßen.
Die Krankenversicherung kommt bei einem Unfall lediglich für die medizinische Grundversorgung auf. Bei Unfällen in der Freizeit hilft darüber hinaus nur eine private Unfallversicherung weiter. Denn die gesetzliche Unfallversicherung greift nicht bei Freizeitunfällen. Eine private Unfallversicherung deckt auch Pokémon-Unfälle ab.

 

 Bundesgerichtshof - Karlsruhe, den 4. August 2016
Fristlose Kündigung nach Beleidigung durch Betreuer des Mieters

Verhandlungstermin am 9. November 2016, 10.00 Uhr - VIII ZR 73/16 (Fristlose Kündigung nach Beleidigung durch Betreuer des Mieters) In diesem Verfahren streiten die Parteien um die Räumung von Wohnraum im Anschluss an eine fristlose Kündigung, die darauf gestützt ist, dass der Betreuer und Pfleger der hochbetagten Mieterin die Vermieterin und deren Hausverwaltung wiederholt unerträglich beleidigt habe.

Der Sachverhalt: Die im Jahr 1919 geborene Beklagte zu 1 hat - zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann – im Jahr 1955 von den Rechtsvorgängern der Klägerin eine Dreizimmerwohnung in München und im Jahr 1963 zusätzlich eine in demselben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzimmerwohnung angemietet. Die (bettlägerige) Beklagte zu 1 bewohnt die Dreizimmerwohnung und steht seit einigen Jahren aufgrund einer Demenzerkrankung unter Betreuung.

Der Beklagte zu 2 bewohnt seit dem Jahr 2000 die Einzimmerwohnung. Seit dem Jahr 2007 ist er Betreuer der Beklagten zu 1 und pflegt sie ganztägig. Im Jahr 2015 äußerte der Beklagte zu 2 in mehreren Schreiben an die Hausverwaltung grobe Beleidigungen gegenüber der Klägerin (u.a. "terroristen nazi ähnliche braune mist haufen auf eigener Art").
Die Klägerin sprach daraufhin die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB* aus. Die Entscheidung der Vorinstanzen: Das Amtsgericht hat die Räumungsklage abgewiesen, das Landgericht hat ihr gegenüber beiden Beklagten stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das Amtsgericht hat in den beleidigenden Äußerungen des Beklagten zu 2 eine gewichtige Pflichtverletzung des Beklagten gesehen, die der - schuldlosen - Beklagten zu 1 nach § 540 Abs. 2 BGB* zuzurechnen sei, weil sie ihn für längere Zeit in ihren Haushalt aufgenommen habe. Im Hinblick auf die Schuldlosigkeit der Beklagten zu 1 sei die Zumutbarkeitsgrenze des § 543 Abs. 1 BGB** aber verschoben. Im Rahmen der nach § 543 Abs.1 BGB gebotenen Abwägung seien das hohe Alter der Beklagten zu 1, ihre Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit und die lange Dauer des Mietverhältnisses zu berücksichtigen.
Es liege insoweit eine Ausnahmesituation vor, in der die Vermieterinteressen trotz der Beleidigungen, die üblicherweise einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellten, hinter dem Bestandsinteresse der Mieterin zurückstehen müssten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass das Betreuungsgericht den Beklagten zu 2 als Betreuer und Pfleger bestellt und die Betreuung in Kenntnis des Verhaltens des Beklagten zu 2 aufrechterhalten habe.
Der Beklagten zu 1 sei ein Umzug nicht zuzumuten, zumal davon auszugehen sei, dass ein Ortswechsel oder ein Wechsel der Pflegeperson bei ihr zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen würde. Das Berufungsgericht hat seine gegenteilige Entscheidung auf die Erwägung gestützt, dass eine vom Amtsgericht angenommene "Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenze" nicht in Betracht komme. Denn die Klägerin habe sich nicht einer erkennbar schuldunfähigen Person gegenüber gesehen, sondern einem mit Bedacht und offen zur Schau getragenen Verachtung handelnden Betreuer.
Die von der Beklagten zu 1 vorgebrachten persönlichen Härtegründe könnten nach der Konzeption des Gesetzes nur im Rahmen der sogenannten Sozialklausel (§ 574 BGB) berücksichtigt werden, die aber nur für die ordentliche Kündigung gelte. In einem Zwangsräumungsverfahren bleibe es der Beklagten zu 2 allerdings unbenommen, mit einem Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO*** die Zwangsräumung auf ihre Vereinbarkeit mit den guten Sitten überprüfen zu lassen. Die Zwangsvollstreckung aus dem Berufungsurteil wurde vom Senat bis zur Entscheidung über die Revision der Beklagten eingestellt.

Vorinstanzen: Amtsgericht München vom 14. August 2015 – 417 C 11029/15 Landgericht München I vom 20. Januar 2016 - 14 S 16950/15


Bundesgerichtshof, 4. August 2016:  Frau oder Mann - nach geltenden Recht kann nichts anderes eingetragen werden!?
Keine Eintragung eines Intersexuellen im Geburtenregister als "inter" oder "divers" XII ZB 52/15 – Beschluss vom 22. Juni 2016 Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat hat entschieden, dass das Personenstandsgesetz eine Eintragung wie "inter" oder "divers" als Angabe des Geschlechts eines Intersexuellen im Geburtenregister nicht zulässt.

Die antragstellende Person begehrt die Änderung ihres Geburtseintrags dahin, dass ihr Geschlecht als "inter" oder "divers" angegeben wird. Zur Begründung hat die 1989 geborene und als Mädchen in das Geburtenregister eingetragene Betroffene eine Chromosomenanalyse vorgelegt, wonach sie über einen numerisch auffälligen Chromosomensatz mit einem X-Chromosom und einem fehlenden zweiten Gonosom verfügt. Sie sei weder Frau noch Mann. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
Eine Änderung der Eintragung im Geburtenregister in "inter" bzw. "divers" ist nach geltendem Recht nicht möglich. Das folgt bereits aus dem Wortlaut der § 21 Abs. 1 Nr. 3* iVm § 22 Abs. 3 PStG. Es ist auch keine verfassungskonforme Auslegung der Norm im Sinne des Begehrens der antragstellenden Person geboten. Eintragungen in Personenstandsregistern haben lediglich eine dienende Funktion; sie enthalten Angaben, die insbesondere nach den Regeln des Familienrechts grundlegende Bedeutung für die persönliche Rechtsstellung besitzen.

Das Familienrecht geht von einem binären Geschlechtersystem aus (Mann oder Frau). Der Gesetzgeber hat zwar mit der Neuregelung des § 22 Abs. 3 PStG** für intersexuelle Menschen, die sich den bekannten Geschlechtern nicht zuordnen lassen, die Möglichkeit geschaffen, von einer Eintragung des Geschlechts im Geburtenregister abzusehen. Er hat damit jedoch kein weiteres Geschlecht geschaffen. Der Senat hat auch keine Veranlassung gesehen, die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG*** vorzulegen.

Die Frage, ob die früher bestehende Notwendigkeit, entweder als männlich oder als weiblich im Geburtenregister eingetragen zu werden, Intersexuelle in ihren Grundrechten verletzt, stellt sich nicht mehr. Denn die Betroffene kann seit der Änderung des Personenstandsrechts zum 1. November 2013 erreichen, dass die Angabe des Geschlechts ("Mädchen") nachträglich aus dem Geburtenregister gelöscht wird, was von ihr aber ersichtlich nicht gewünscht wird.
Schließlich macht es für die Betroffene im Ergebnis keinen - verfassungsrechtlich bedeutsamen - Unterschied, ob ein geschlechtszuordnender Eintrag unterbleibt oder - wie von ihr begehrt - ein Eintrag erfolgt, der keinem bestehenden "Geschlecht" zugeordnet werden kann, also rein deklaratorischer Natur ist.

Die Frage, in welcher Weise der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, der Situation der intersexuellen Menschen durch eine Änderung des Familienrechts Rechnung zu tragen, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil es der Betroffenen allein um die Eintragung ihres Geschlechts als "inter" oder "divers" im Geburtenregister geht. Deshalb musste der Senat auch nicht entscheiden, ob sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Transsexualität auf Fälle der Intersexualität übertragen lässt.
Zu bedenken ist dabei allerdings, dass anders als bei der Zuordnung zu einem schon bestehenden Geschlecht (wie im Falle der Transsexualität) durch die Schaffung eines weiteren Geschlechts staatliche Ordnungsinteressen in weitaus erheblicherem Umfang betroffen wären.

Vorinstanzen: AG Hannover – Beschluss vom 13. Oktober 2014 – 85 III 105/14 OLG Celle – Beschluss vom 21. Januar 2015 – 17 W 28/14 Karlsruhe, den 4. August 2016 *§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG Im Geburtenregister werden beurkundet 1. … 2. … 3. das Geschlecht des Kindes, **§ 22 Abs. 3 PStG
 Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen. ***Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG
Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Juli 2016

 

Pokémon Go – Gefahren im Straßenverkehr  
Duisburg, 28. Juli 2016 - Teresa L. aus Hannover: Immer mehr Fußgänger sind von ihrem Smartphone so abgelenkt, dass sie nicht auf den Straßenverkehr achten. Seitdem Pokémon Go-Spieler virtuelle Monster jagen, hat sich diese Entwicklung noch verstärkt. Gibt es für Fußgänger nicht auch Regeln zur Handynutzung, so wie für Autofahrer?  

Michaela Rassat, Juristin der D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice): Ein Handyverbot für Fußgänger gibt es nicht. Fachleute diskutieren allerdings darüber – unter anderem, weil die Handynutzung ein Grund ist, warum Verkehrsunfälle mit Fußgängern zunehmen. Aber auch nach der aktuellen Rechtslage können Fußgänger eine erhebliche Mitschuld an einem Verkehrsunfall tragen. Gerichte prüfen sehr genau, wer in welchem Maße zum Unfall beigetragen hat.
Hier haftet also nicht automatisch pauschal der Autofahrer. Überquert ein Fußgänger fernab vom Zebrastreifen oder bei roter Fußgängerampel die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten, können ihm die Richter unter Umständen grobe Fahrlässigkeit zur Last legen. Daher: Wer Monster jagen will, sollte dies lieber in Parks und Grünanlagen tun – und nicht im Umfeld befahrener Straßen.

 

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung des „Bestellerprinzips“ bei Maklerprovisionen für Wohnraummietverträge
21. Juli 2016 - Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht. Die mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vorgenommene Normierung des Bestellerprinzips für Wohnungsvermittlungen, das Maklern den Erhalt einer Provision von Mietinteressierten weitgehend verstellt, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Der Gesetzgeber bringt die sich gegenüberstehenden Interessen von Wohnungssuchenden und Wohnungsvermittlern in einen Ausgleich, der Verhältnismäßigkeitsanforderungen gerecht wird. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Mietrechtsnovellierungsgesetz hatten zwei Immobilienmakler die Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz und ein Wohnungsmieter die Verletzung seines Rechts auf Vertragsfreiheit gerügt.

 

Wer haftet für Schäden am Mobiliar im Ferienhaus?  
21. Juli 2016 - Tanja S. aus Oschersleben: Für die Sommerferien haben meine Familie und ich ein Ferienhaus an der Ostsee angemietet. Müssen wir für Schäden am Mobiliar aufkommen, wenn wir aus Versehen etwas kaputtmachen?  

Rolf Mertens, Versicherungsexperte von ERGO: Grundsätzlich gilt: Wer einen Schaden verursacht, haftet dafür. Mietverträge von Ferienimmobilien enthalten meist auch einen entsprechenden Passus. Haben aber Kinder einen Schaden angerichtet, ist die Frage der Haftung von der jeweiligen Situation abhängig. Unter 7-Jährige beispielsweise gelten als deliktunfähig. Dann haften die Eltern nur, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Welches Maß an Betreuung erforderlich ist, lässt sich nicht pauschal beantworten.
Entscheidend sind neben dem Alter auch Entwicklung und Charakter des Kindes. Die Gerichte urteilen im Einzelfall. Gut beraten ist in jedem Fall, wer eine Privat-Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Wichtig ist, dass der Tarif auch Schäden an Einrichtungsgegenständen in Ferienhäusern und Hotels einschließt. Einige Tarife enthalten auch eine Kinderschadenklausel.  

 

BGH verneint Anwendbarkeit des § 314 Abs. 3 BGB im Wohnraummietrecht (Kündigung wegen älterer Mietrückstände) Urteil vom 13. Juli 2016 - VIII ZR 296/15
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob eine auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB* gestützte fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses gemäß § 314 Abs. 3 BGB** unwirksam ist, wenn sie aufgrund älterer Mietrückstände erfolgt. Sachverhalt: Die Klägerin, eine katholische Kirchengemeinde, hatte der Beklagten seit dem Jahr 2006 eine Wohnung in Düsseldorf vermietet.
Die Beklagte blieb die Mieten für die Monate Februar und April 2013 schuldig. Nach einer erfolglosen Mahnung vom 14. August 2013 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit Schreiben vom 15. November 2013 wegen der weiterhin offenen Mietrückstände fristlos.
Bisheriger Prozessverlauf: Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts war die Kündigung der Klägerin gemäß § 314 Abs. 3 BGB unwirksam, weil sie erst mehr als sieben Monate nach Entstehen des Kündigungsgrundes und damit nicht mehr in angemessener Zeit erfolgt sei.
Die Beklagte sei schutzwürdig, weil sie angesichts des Zeitablaufs davon habe ausgehen dürfen, dass die Klägerin von ihrem Kündigungsrecht keinen Gebrauch mehr machen werde. Für die Beklagte als ehemalige Küsterin der Klägerin habe es durchaus nahe gelegen, dass diese aus sozialen und ethischen Erwägungen nach derart langer Zeit keine Kündigung mehr erklären werde. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass § 314 Abs. 3 BGB neben den speziell geregelten Vorschriften zur fristlosen außerordentlichen Kündigung im Wohnraummietrecht (§§ 543, 569 BGB) keine Anwendung findet. Diese vom Senat bislang offen gelassene Frage ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstritten.
Bereits der Wortlaut der §§ 543 und 569 BGB spricht gegen eine zeitliche Schranke für den Ausspruch der Kündigung. Diese Vorschriften, die im Einzelnen die Modalitäten der fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses regeln, sehen weder eine Zeitspanne, innerhalb derer die Kündigung auszusprechen ist, noch einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB vor. Das entspricht auch der Zielsetzung des Gesetzgebers.
Dieser hat ausweislich der Materialien zum Mietrechtsreformgesetz von 2001 bewusst davon abgesehen festzulegen, dass die außerordentliche Kündigung nach §§ 543, 569 BGB innerhalb einer "angemessenen Zeit" ab Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat.
Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Kündigungsrecht verwirkt werden könne und deshalb ein Bedürfnis für eine solche Festlegung nicht bestehe - zumal eine einheitliche konkrete Ausschlussfrist angesichts der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse ohnehin nicht festgelegt werden könne.
Hieran hat sich durch die Einführung der allgemein für Dauerschuldverhältnisse geltenden Vorschrift des § 314 BGB durch das kurze Zeit später eingeführte Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nichts geändert, da ausweislich der Gesetzesbegründung die spezialgesetzlichen Einzelbestimmungen weder aufgehoben noch geändert werden sollten.
Da die fristlose Kündigung von Mietverhältnissen in §§ 543, 569 BGB abschließend geregelt ist, war bereits die Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB durch das Landgericht rechtsfehlerhaft. Überdies war seine Annahme, die Kündigung sei nicht in angemessener Frist ausgesprochen worden, als solche nicht berechtigt. Denn das Landgericht hat weder berücksichtigt, dass die Zahlungsrückstände trotz Mahnung fortbestanden, noch dass die Klägerin durch das Zuwarten mit der Kündigung vielmehr Rücksicht auf die Belange der Beklagten genommen hat (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 2 BGB*).
Die vom Landgericht beanstandete "Verzögerung" der Kündigung führte überdies auch nicht zur Verwirkung des Kündigungsrechts, denn tragfähige Anhaltspunkte für ein berechtigtes Vertrauen der Beklagten, dass die Klägerin von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung wegen Verzugs mit zwei Monatsmieten keinen Gebrauch machen werde, sind nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich (sog. Umstandsmoment).
Sie liegen insbesondere nicht schon darin, dass es sich bei der Klägerin um eine Kirchengemeinde handelt und die Beklagte früher bei ihr als Küsterin beschäftigt gewesen ist. Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und das amtsgerichtliche Urteil wiederhergestellt, da die fristlose Kündigung aufgrund des Zahlungsverzugs berechtigt und wirksam war.
*§ 543 BGB Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund kündigen.
 […]
(2) 1Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn […]
3. der Mieter […] b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.
2 Im Falle des Satzes 1 Nr. 3 ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. […]
** § 314 BGB Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund
(1) 1Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. […] […]
(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. […]
Vorinstanzen: LG Düsseldorf - Urteil vom 16. Dezember 2015 - 5 S 40/15 AG Düsseldorf - Urteil vom 6. Mai 2015 - 23 C 626/14 Karlsruhe, den 13. Juli 2016

 

 

Änderungen bei Hartz-IV-Verfahren und Insolvenzrecht

08. Juli 2016 - Nach der heutigen Sitzung des  Bundesrates gab es auch Änderungen bei der Bearbeitung von Hartz-IV-Anträgen. Hartz-IV-Leistungsempfänger sollen nun können schneller und einfacher Klarheit über ihre Ansprüche bekommen. Das Gesetz hat die doch sehr komplizierten und umfangreichen Vorschriften und -abläufe für die Mitarbeiter in den Jobcentern sozusagen gerafft.
Dies gilt für das Sozialgesetzbuchs II und Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen, zu den Anspruchsvoraussetzungen sowie für  Unterkunft und Heizung.
Personen, die neben Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld auch Arbeitslosengeld II beziehen, erhalten künftig Leistungen der aktiven Arbeitsförderung von den Agenturen für Arbeit. Über 30-jährige Berufsschüler bekommen künftig ausnahmsweise Zuschüsse zum Lebensunterhalt, wenn die Fortsetzung der Ausbildung für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zwingend erforderlich ist.
Änderungen bzw. Ausnahmen beim Insolvenzrecht
Unternehmen, deren aktuelle Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch den Starkregen und Hochwassers vom Mai und Juni 2016 zurückzuführen ist, soll die Insolvenzantragsfrist bis zum Ende des Jahres ausgesetzt werden. Das Gesetz muss nun dem Bundespräsidenten unterschrieben werden. 

 

Knallkörpers auf Fußballtribüne – Umfang der Haftung)
30.000 €-Klage des 1. FC Kölns erfolgreich

Karsruhe/Duisburg, 11. Juli 2016 - Die Klägerin betreibt den Profifußballbereich des 1. FC Köln. Sie verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen des Zündens eines Knallkörpers bei einem Heimspiel im RheinEnergieStadion in der 2. Bundesliga gegen den SC Paderborn 07 am 9. Februar 2014.
Der Beklagte zündete in der zweiten Halbzeit einen Knallkörper, der aufgrund seiner Sprengenergie dem Sprengstoffgesetz unterfällt, und warf ihn vom Oberrang der Nordtribüne auf den Unterrang, wo er detonierte und sieben Zuschauer verletzte.
Wegen dieses Vorfalls und vier weiterer vorangegangener Vorfälle bei anderen Spielen der Lizenzspielermannschaft der Klägerin verhängte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) eine Verbandsstrafe gegen die Klägerin, u.a. bestehend aus einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 € sowie der Bewährungsauflage, weitere 30.000 € für Projekte und Maßnahmen zu verwenden, die der Gewaltprävention sowie der Ermittlung von konkreten Tätern bei den Fußballspielen der Klägerin dienen.
Die Klägerin bezahlte die Geldstrafe. Sie verlangt vom Beklagten Ersatz in Höhe von 30.000 €. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass der Beklagte zwar durch das Zünden und den Wurf des Knallkörpers seine Verhaltenspflichten aus dem Zuschauervertrag verletzt habe. Das habe auch die Verhängung der Verbandsstrafe durch den DFB nach sich gezogen. Es fehle jedoch an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Denn die Verhängung der Verbandsstrafe unterfalle nicht mehr dem Schutzzweck der vom Beklagten verletzten Pflichten.
Das Verbot des Zündens von Knallkörpern im Stadion diene dem Schutz der menschlichen Gesundheit. Hinsichtlich des hier geltend gemachten Schadens habe sich jedoch das durch die Unterwerfung der Klägerin unter die Regeln des DFB geschaffene Risiko, dass der Verein für sportliche Vergehen seiner Anhänger die Verantwortung zu übernehmen habe und dementsprechend im Rahmen des Verbandes mit Strafen belegt werden könne, verwirklicht.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Vorinstanzen: LG Köln - Urteil vom 8. April 2015 - 7 O 231/14 OLG Köln - Urteil vom 17. Dezember 2015 - 7 U 54/15 Karlsruhe, den 11. Juli 2016

 

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Stichwort des Monats Juli: Bauträgervertrag

Was kann schiefgehen? Risiken für Unternehmer

08. Juli 2016 - Viele Immobilienkäufer erwerben Grundstück und Neubau aus einer Hand – und schließen einen Vertrag mit einem Bauträger, der sich um die Errichtung ihres neuen Heims kümmert. Ein Bauträgervertrag ist sehr komplex, denn er muss auch viele Punkte regeln, die mit der Erstellung des Bauwerkes zusammenhängen. Bauträger sollten ganz besonders darauf achten, dem Vertrag eine möglichst präzise Leistungsbeschreibung beizufügen – damit im Verhältnis zum Kunden keine Missverständnisse aufkommen. Denn diese könnten zu einem langwierigen Rechtsstreit über die Frage führen, wie der Bau denn im Einzelnen ausgeführt werden sollte. Die D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) hat drei Gerichtsurteile zum Thema „Bauträgervertrag” zusammengestellt.

 

Fall 1: Falsche Angaben im Prospekt

Dass Werbung nicht allzu fantasievoll sein sollte, geht aus einem Urteil des Bundesgerichtshofes hervor. Gegenstand war eine Dachgeschoss-Maisonettewohnung, die über zwei Etagen reichte. Im Verkaufsprospekt waren in der oberen Etage – einem Spitzboden – ein Bett mit Nachtschränkchen eingezeichnet. Der Käufer ging davon aus, dass es sich hier um einen Wohnraum handelte. Nach Fertigstellung vermietete er die Wohnung umgehend. Nun schritt die Bauaufsichtsbehörde ein und untersagte die Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken, denn die Baugenehmigung besagte nur „Abstellraum." Der Käufer verklagte den Bauträger auf Schadenersatz in Höhe von rund 13.000 Euro wegen des geringeren Wertes der Wohnung.

Der Bauträger wehrte sich: Der Bauträgervertrag bezeichne den Spitzboden als Abstellraum. Man habe den Vertrag also eingehalten. Der Bundesgerichtshof erklärte, dass hier trotzdem eine Beschaffenheitsvereinbarung vorgelegen habe, nach der der Spitzboden ein Wohnraum sei. Für den Vertragsabschluss sei der Prospekt maßgeblich gewesen. Das Gericht ging sogar von einer arglistigen Täuschung durch den Bauträger aus, da dieser ja den Inhalt der Baugenehmigung kannte. Da die Wohnung nicht der vereinbarten Beschaffenheit „Spitzboden als Wohnraum" entsprach, war sie aus Sicht des Gerichts mangelhaft und der Klage war stattzugeben.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Oktober 2007, Az. VII ZR 205/06

 

Fall 2: Abschlagsvereinbarung abweichend vom Gesetz

Im zweiten Fall ging es um eine Wohnung in einem neu zu bauenden Mehrfamilienhaus. Vertragspartner waren der Käufer und der Verkäufer des Grundstücks. Der Verkäufer trat gleichzeitig als Vertreter des ausführenden Bauunternehmens auf. Der Preis für das Grundstück sollte in zwei Raten an den Verkäufer gehen, die zweite war bei Bezugsfertigkeit der Wohnung fällig. Dann gab es noch sechs Raten an das Bauunternehmen je nach Baufortschritt.

Nachdem der Käufer die fertige Wohnung bezogen hatte, weigerte er sich, die zweite Kaufpreisrate für den Eigentumsanteil an den Verkäufer komplett zu zahlen. Er behielt wegen Mängeln 5.000 Euro ein. Der Verkäufer verweigerte daraufhin die Auflassung der Immobilie an den Käufer. Es zeigte sich nun der Grund für die ungewöhnliche Vertragskonstruktion: Der Verkäufer wollte sich nicht als Bauträger behandeln lassen und glaubte, mit der Werkleistung des Bauunternehmens nichts zu tun zu haben.
Das Landgericht Münster spielte da nicht mit. Es sah die Absprache als normalen Bauträgervertrag an – immerhin war die zweite Hälfte der Kaufpreiszahlung für den Eigentumsanteil an die Baufertigstellung geknüpft. Übergeben werden sollte kein Baugrundstück, sondern ein Eigentumsanteil an einem Mehrfamilienhaus. Das Gericht erklärte, dass die getroffenen Fälligkeitsabsprachen eine unzulässige Umgehung der verbindlichen Abschlagsregelungen der Makler- und Bauträgerverordnung seien.
Die vertraglichen Absprachen über Kaufpreis- und Werklohnzahlung seien unwirksam. Stattdessen gelte § 641 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Vergütung bei Abnahme. Eine wirksame Abnahme habe jedoch nicht stattgefunden, es seien noch Restarbeiten durchzuführen. Der Verkäufer müsse trotzdem die Wohnung an den Kunden auflassen – ein Zurückbehaltungsrecht stehe ihm ungeachtet der noch offenen 5.000 Euro nicht zu. Fazit: Es ist nicht empfehlenswert, die Makler- und Bauträgerverordnung zu umgehen.

Landgericht Münster, Urteil vom 8. Juni 2005, Az. 10 O 638/04

 

Fall 3: Dauerbaustelle

Im dritten Fall passierte das, was wohl für alle an einem Bau Beteiligten das größte Schreckens-Szenario ist: Eine Familie mit drei Kindern hatte eine 136-Quadratmeter-Altbauwohnung erworben, die vorher grundsaniert werden sollte. Es war ein Termin für die Bezugsfertigkeit vereinbart. Aber: Die Arbeiten zogen sich derart in die Länge, dass die Wohnung noch immer nicht fertig war, als der Prozess schon in zweiter Instanz lief. Die Käuferfamilie wohnte unterdessen sehr beengt in einer gemieteten 72-Quadratmeter-Wohnung.
Sie forderten nun eine Nutzungsausfallentschädigung für die nicht bezugsfertige Wohnung. Sie berechneten diese auf Basis der ortsüblichen Vergleichsmiete für die Altbauwohnung abzüglich der Miete für ihre kleine Ersatzwohnung (die der Bauträger sowieso erstatten musste).
Der Bundesgerichtshof gestand der Familie die verlangte Entschädigung zu. Der längere Entzug der Gebrauchsmöglichkeit einer zum Eigengebrauch vom Bauträger erworbenen Eigentumswohnung könne einen Vermögensschaden begründen. Voraussetzung für die Nutzungsausfallentschädigung sei allerdings, dass dem Käufer inzwischen nur Wohnraum zur Verfügung stünde, der nicht mit dem Kaufobjekt vergleichbar sei und eine deutlich niedrigere Qualität habe. Dies sei hier der Fall. Der Bauträger musste für 24 Monate Verspätung rund 17.800 Euro bezahlen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Februar 2014, Az. VII ZR 172/13

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Staffelung des Urlaubsanspruchs nach dem Lebensalter
Arbeitsrecht
 
Juli 2016 - Eine Staffelung des Urlaubsanspruchs nach dem Lebensalter stellt eine Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer dar – zumindest, wenn der Arbeitgeber keine ausreichenden Gründe für die Ungleichbehandlung nennen kann. Der Schutz älterer Arbeitnehmer reicht nicht aus, um eine bei 30 Jahren beginnende Urlaubsstaffelung zu begründen.
Dies entschied laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Bundesarbeitsgericht. BAG, Az. 9 AZR 659/14  

Hintergrundinformation: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet eine Diskriminierung unter anderem aus Gründen des Alters. Dieses Gesetz ist auf verschiedene Rechtsbereiche anwendbar, darunter auch das Arbeitsrecht. Es hilft gerade älteren Arbeitnehmern, die es auf dem Arbeitsmarkt oft schwerer haben. Manchmal werden sie aber auch bevorzugt behandelt: Denn in vielen Tarifverträgen sind Klauseln enthalten, nach denen sich der Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer nach ihrem Lebensalter richtet – Ältere bekommen mehr Urlaub. Liegt darin nun eine Diskriminierung der jüngeren Mitarbeiter?

Der Fall: Ein Tarifvertrag hatte eine Altersstaffelung enthalten. Danach bekamen Arbeitnehmer bis 30 Jahre 26 Tage Urlaub, solche zwischen über 30 bis 40 Jahren 29 Tage, über 40- bis 50-Jährige 30 Tage und über 50-Jährige 33 Tage. Streit entstand wegen einer tarifvertraglichen Änderung. Danach sollte nun die Dauer der Betriebszugehörigkeit entscheidend sein für den Urlaubsanspruch. Ab Inkrafttreten der Änderung erhielten Mitarbeiter mit einer Betriebszugehörigkeit ab acht Jahren 30 Tage Urlaub.
Nur, wer vor dem Stichtag bereits nach dem alten Tarifvertrag einen höheren Urlaubsanspruch erworben hatte, sollte diesen behalten. Ein langjähriger Mitarbeiter war kurz nach Inkrafttreten der Neuregelung 50 geworden. Er bekam nur 30 Tage Urlaub und ging vor Gericht, um die zusätzlichen drei Tage einzuklagen.
Das Urteil: Das Bundesarbeitsgericht entschied nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice, dass die Staffelung des Urlaubsanspruchs nach dem Lebensalter eine Diskriminierung im Sinne des AGG sei. Jüngere würden gegenüber Älteren benachteiligt. Das AGG erlaube eine solche Ungleichbehandlung nur, wenn sie angemessen sei und einem legitimen Ziel diene.
Der Arbeitgeber müsse dies konkret und im Einzelnen begründen können. Es sei nicht ausreichend, wenn er pauschal behaupte, dass Ältere ein gesteigertes Erholungsbedürfnis hätten. Gerade für eine Urlaubsstaffelung, die bereits bei einem Lebensalter von 30 Jahren anfange, sei dies eine zweifelhafte Begründung. Deshalb sei beim vorliegenden Fall im Zuge der Gleichbehandlung eine „Anpassung nach oben“ vorzunehmen und dem Kläger der gleiche Urlaubsanspruch von 33 Tagen zuzugestehen, wie den zum damaligen Zeitpunkt älteren Arbeitnehmern.

Die Übergangsregelung im neuen Tarifvertrag führe dazu, dass er diesen Anspruch auch nach dessen Inkrafttreten behalte – unabhängig davon, ob der Anspruch nun aus dem alten Tarifvertrag stamme oder aus dem Gerichtsurteil. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.04.2016, Az. 9 AZR 659/14

 

 

Juni 2016

Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren gegen EZB erfolglos

Urteil vom 21. Juni 2016 - 2 BvR 2728/13, 2 BvR 2729/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR 2731/13, 2 BvE 13/13

Das Unterlassen von Bundesregierung und Bundestag in Ansehung des Grundsatzbeschlusses der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über das OMT-Programm geeignete Maßnahmen zu dessen Aufhebung oder Begrenzung zu ergreifen, verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG, wenn die vom Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 16. Juni 2015 (C-62/14) formulierten, die Reichweite des OMT-Programms begrenzenden Maßgaben eingehalten werden.
Unter diesen Voraussetzungen beeinträchtigt das OMT-Programm gegenwärtig auch nicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm bewegt sich in der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung nicht „offensichtlich“ außerhalb der der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen. Zudem birgt das OMT-Programm in der durch den Gerichtshof vorgenommenen Auslegung kein verfassungsrechtlich relevantes Risiko für das Budgetrecht des Deutschen Bundestages.

Sachverhalt: Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren richten sich gegen zwei Programme zum Ankauf von börsengängigen Schuldtiteln durch das Europäische System der Zentralbanken („ESZB“), insbesondere Staatsanleihen von Mitgliedstaaten der Eurozone.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
1. Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren sind teilweise unzulässig. Insbesondere sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig, soweit sie sich unmittelbar gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank richten. Insoweit liegen ihnen keine tauglichen Beschwerdegegenstände zugrunde.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren zulässig sind, sind sie unbegründet.
a) Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, billigt das Grundgesetz auch die Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts.
Der Integrationsgesetzgeber kann nicht nur Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union, soweit sie in Deutschland öffentliche Gewalt ausüben, von einer umfassenden Bindung an die Gewährleistungen des Grundgesetzes freistellen, sondern auch deutsche Stellen, die Recht der Europäischen Union durchführen. Der Anwendungsvorrang reicht jedoch nur so weit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen.
Grenzen für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich daher aus der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität des Grundgesetzes und dem im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramm, das dem Unionsrecht für Deutschland erst die notwendige demokratische Legitimation verleiht.

b) Das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) gehört in seinen Grundsätzen zu der für änderungsfest (Art. 79 Abs. 3 GG) wie auch integrationsfest (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG) erklärten Verfassungsidentität des Grundgesetzes.
Die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt darf deshalb durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen auf die europäische Ebene nicht entleert werden. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt durch Organe, Stellen und sonstige Einrichtungen der Europäischen Union, die nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation durch das im Zustimmungsgesetz niedergelegte Integrationsprogramm verfügt, verletzt daher den Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG).

c) Im Rahmen der Identitätskontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze bei der Übertragung von Hoheitsrechten durch den deutschen Gesetzgeber oder durch eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union berührt werden. Das betrifft die Wahrung des Menschenwürdekerns der Grundrechte (Art. 1 GG) ebenso wie die Grundsätze, die das Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip im Sinne von Art. 20 GG prägen.
Im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle überprüft das Bundesverfassungsgericht Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union (nur) daraufhin, ob sie vom Integrationsprogramm (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) gedeckt sind und insoweit am Anwendungsvorrang des Unionsrechts teilhaben. Die Annahme eines Ultra-vires-Aktes setzt - ohne Rücksicht auf den betroffenen Sachbereich - voraus, dass eine solche Maßnahme offensichtlich außerhalb der der Europäischen Union übertragenen Kompetenzen liegt.

d) Die Integrationsverantwortung verpflichtet die Verfassungsorgane - den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht unähnlich -, sich dort schützend und fördernd vor die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen des Einzelnen zu stellen, wo dieser nicht selbst für ihre Integrität sorgen kann.
Der Verpflichtung der Verfassungsorgane zur Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung entspricht daher ein in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankertes Recht des wahlberechtigten Bürgers, dass die Verfassungsorgane dafür sorgen, dass die mit dem Vollzug des Integrationsprogramms ohnehin schon verbundenen Einflussknicks und Einschränkungen seines „Anspruchs auf Demokratie“ nicht weitergehen, als sie durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gerechtfertigt sind.
Eine Verletzung von Schutzpflichten liegt grundsätzlich erst dann vor, wenn überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen werden, die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben. Für die Integrationsverantwortung bedeutet dies, dass die Verfassungsorgane im Falle offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Kompetenzüberschreitungen und sonstiger Verletzungen der Verfassungsidentität durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union aktiv auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken haben.
Sie sind gegebenenfalls verpflichtet, im Rahmen ihrer Kompetenzen mit rechtlichen oder politischen Mitteln auf die Aufhebung der vom Integrationsprogramm nicht gedeckten Maßnahmen hinzuwirken sowie - solange die Maßnahmen fortwirken - geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die innerstaatlichen Auswirkungen der Maßnahmen so weit wie möglich begrenzt bleiben.
Wie die grundrechtlichen Schutzpflichten so kann sich allerdings auch die Integrationsverantwortung unter bestimmten rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zu einer konkreten Handlungspflicht verdichten. 3. Nach diesen Maßstäben und unter Beachtung der nachfolgend bezeichneten Maßgaben verletzt die Untätigkeit von Bundesregierung und Bundestag in Ansehung des Grundsatzbeschlusses der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG.
Auch werden die im Rahmen der europäischen Integration bestehenden Rechte und Pflichten des Deutschen Bundestages einschließlich seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung nicht beeinträchtigt.
a) Das Bundesverfassungsgericht legt seiner Prüfung die Auslegung des OMT-Beschlusses zugrunde, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2015 vorgenommen hat. Die Auffassung des Gerichtshofs, der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm sei kompetenzgemäß und verstoße nicht gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung, bewegt sich noch innerhalb des dem Gerichtshof erteilten Mandates (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV).
Der Gerichtshof stützt seine Auffassung maßgeblich auf die von der Europäischen Zentralbank angegebene Zielsetzung des OMT-Programms, auf die dazu eingesetzten Mittel und die aus seiner Sicht lediglich mittelbaren Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik. Er legt seiner Prüfung nicht nur den Grundsatzbeschluss über die technischen Merkmale vom 6. September 2012 zugrunde, sondern leitet insbesondere aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weitere Rahmenbedingungen ab, die einer etwaigen Durchführung des OMT-Programms verbindliche Grenzen setzen.
Darüber hinaus bekräftigt der Gerichtshof, dass auch das Handeln der Europäischen Zentralbank der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, insbesondere mit Blick auf die Einhaltung der Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung und der Verhältnismäßigkeit.
b) Die dem Urteil vom 16. Juni 2015 zugrunde liegende Art und Weise richterlicher Rechtskonkretisierung begegnet aus Sicht des Senats gleichwohl gewichtigen Einwänden mit Blick auf die Erhebung des Sachverhalts, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die gerichtliche Kontrolle der Europäischen Zentralbank bei der Bestimmung ihres Mandates. Das gilt zunächst für den Umstand, dass der Gerichtshof die Behauptung einer geldpolitischen Zielsetzung des OMT-Programms hinnimmt, ohne die zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen zu hinterfragen oder zumindest im Einzelnen nachzuvollziehen und ohne diese Annahmen mit den Indizien in Beziehung zu setzen, die offensichtlich gegen einen geldpolitischen Charakter sprechen.
Es gilt ferner für den Umstand, dass der Gerichtshof für die kompetenzmäßige Zuordnung des OMT-Programms zur Währungspolitik trotz der von ihm selbst angenommenen Überschneidungen von Wirtschafts- und Währungspolitik im Wesentlichen auf die von dem zu kontrollierenden Organ angegebene Zielsetzung der Maßnahme und den Rückgriff auf das in Art. 18 ESZB-Satzung vorgesehene Instrument des Ankaufs von Staatsanleihen abstellt. Ohne Antwort bleibt schließlich das dem Gerichtshof vom Senat unterbreitete Problem, dass die der Europäischen Zentralbank eingeräumte Unabhängigkeit zu einer spürbaren Senkung des demokratischen Legitimationsniveaus ihres Handelns führt und daher Anlass für eine restriktive Auslegung und besonders strikte gerichtliche Kontrolle ihres Mandates sein müsste.
Dies gilt umso mehr, wenn mit dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Volkssouveränität die Verfassungsidentität eines Mitgliedstaats betroffen ist, zu deren Achtung die Europäische Union verpflichtet ist. c) Trotz dieser Bedenken bewegt sich der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm in der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung jedoch nicht „offensichtlich“ außerhalb der der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen im Sinne des Ultra-vires-Kontrollvorbehalts.
Anders als der Senat hinterfragt der Gerichtshof die angegebenen Ziele zwar nicht und beurteilt die Indizien, die aus Sicht des Senats gegen die behauptete Zielsetzung sprechen, jeweils isoliert, anstatt sie auch in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Dies kann jedoch noch hingenommen werden, weil der Gerichtshof die vom Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 14. Januar 2014 für möglich gehaltene einschränkende Auslegung des Grundsatzbeschlusses der Sache nach auf Ebene der Kompetenzausübung vorgenommen hat.
Der Gerichtshof unterscheidet zwischen dem Grundsatzbeschluss vom 6. September 2012 und der Durchführung des Programms. Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des OMT-Programms und die Erfüllung der Begründungspflichten benennt er über die im Grundsatzbeschluss angekündigten Rahmenbedingungen hinaus weitere Einschränkungen, denen eine Durchführung des OMT-Programms zwingend unterliegt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Gerichtshof die von ihm herausgestellten Konditionen als rechtsverbindliche Kriterien ansieht.
Mit der verfahrensrechtlichen Einhegung durch die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes greift der Gerichtshof das Problem des nahezu unbegrenzten Potentials des Beschlusses vom 6. September 2012 auf. Zwar beseitigen die vom Gerichtshof insoweit entwickelten beschränkenden Parameter den in die Wirtschaftspolitik übergreifenden Charakter des OMT-Programms nicht vollständig. Zusammen mit den im Beschluss vom 6. September 2012 festgelegten Konditionen - insbesondere die Teilnahme der Mitgliedstaaten an Anpassungsprogrammen, deren Zugang zum Anleihemarkt und die Fokussierung auf Anleihen mit geringer (Rest-) Laufzeit - lassen sie die Annahme eines jedenfalls im Schwerpunkt geldpolitischen Charakters des OMT-Programms aber als vertretbar erscheinen.
d) In der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung verstoßen der Grundsatzbeschluss über die technischen Rahmenbedingungen des OMT-Programms und dessen mögliche Durchführung auch nicht offensichtlich gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung. Während der Gerichtshof den Grundsatzbeschluss selbst ohne weitere Konkretisierung für zulässig erachtet, muss dessen Durchführung näheren Bedingungen genügen, wenn nicht das Ankaufprogramm gegen das Unionsrecht verstoßen soll. In dieser Auslegung entspricht das OMT-Programm bei wertender Gesamtbetrachtung den Anforderungen, die der Senat im Vorlagebeschluss vom 14. Januar 2014 formuliert hat.
e) Da sich das OMT-Programm vor diesem Hintergrund nur dann nicht als Ultra-vires-Akt darstellt, wenn der vom Gerichtshof bestimmte Rahmen beachtet wird, darf sich die Deutsche Bundesbank an der Durchführung des Programms nur beteiligen, wenn und soweit die vom Gerichtshof aufgestellten Maßgaben erfüllt sind, das heißt wenn
·       Ankäufe nicht angekündigt werden,
·       das Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist,
·       zwischen der Emission eines Schuldtitels und seinem Ankauf durch das ESZB eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegt, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden,
·       nur Schuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einen ihre Finanzierung ermöglichenden Zugang zum Anleihemarkt haben,
·       die erworbenen Schuldtitel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden und
·       die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Intervention nicht erforderlich ist.
f) Ihre Integrationsverantwortung verpflichtet Bundesregierung und Bundestag nicht, mit Blick auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages gegen das OMT-Programm vorzugehen. In der durch den Gerichtshof vorgenommenen Auslegung birgt das OMT-Programm kein verfassungsrechtlich relevantes Risiko für das Budgetrecht des Bundestages. Insofern ist auch eine Gefährdung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch eine etwaige Durchführung des OMT-Programms gegenwärtig nicht festzustellen.
g) Bundesregierung und Bundestag sind aufgrund der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung allerdings verpflichtet, eine etwaige Durchführung des OMT-Programms dauerhaft zu beobachten. Diese Beobachtungspflicht ist nicht nur darauf gerichtet, ob die oben formulierten Maßgaben eingehalten werden, sondern auch darauf, ob insbesondere aus dem Volumen und der Risikostruktur der erworbenen Anleihen, die sich auch nach ihrem Erwerb ändern kann, ein konkretes Risiko für den Bundeshaushalt erwächst.

 

Mai 2016

 

Testament: Darf ein Helfer beim Schreiben unterstützen? Erbrecht  
Wer sein Testament ohne die Hilfe eines Notars aufsetzt, muss es eigenhändig per Hand niederschreiben und unterschreiben – ohne dass eine andere Person zu viel Einfluss nimmt. Führt ein Helfer einem geschwächten Verfasser beim Schreiben die Hand, ist das Testament unter Umständen ungültig. Dies hat nach Informationen der D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Oberlandesgericht Hamm entschieden. OLG Hamm, Az. I-15 W 231/12

 Hintergrundinformation: Ein eigenhändiges Testament muss der Verfasser – wie der Name sagt – komplett per Hand selbst schreiben und unterschreiben. Unterschreibt er es nur, nachdem es eine andere Person geschrieben hat, ist es ungültig. Dies gilt auch für ein per Computer geschriebenes und ausgedrucktes Testament mit eigenhändiger Unterschrift.
Wer nicht mehr in der Lage ist, selbst seinen letzten Willen zu Papier zu bringen, muss einen Notar bemühen. Der Fall: Das Oberlandesgericht Hamm befasste sich mit einem Fall, in dem es um das Testament eines 71-Jährigen ging. Dieser war beim Verfassen des Dokuments so geschwächt gewesen, dass ihm eine andere Person half – und ihm die Hand führte. Das Nachlassgericht weigerte sich daraufhin, den im Testament benannten Erbinnen einen Erbschein auszustellen. Denn durch die Schreibhilfe sei das Testament unwirksam.

Das Urteil: Nach Mitteilung des D.A.S. Leistungsservice entschied das Oberlandesgericht, dass das Testament tatsächlich ungültig sei. Ein wirksames eigenhändiges Testament erfordere eine „unbeeinflusste Schreibleistung" des Erblassers. Von Eigenhändigkeit könne nicht mehr die Rede sein, wenn eine andere Person dem Erblasser die Hand führe und dadurch seine Schriftzüge beeinflusse. Zwar sei eine unterstützende Schreibhilfe, wie etwa ein Abstützen des Arms, noch zulässig.
Der Erblasser müsse aber selbst die Schriftzeichen formen.
Ob das Testament eigenhändig vom Erblasser geschrieben worden sei, müssten im Zweifelsfall die Personen beweisen, die einen Erbschein beantragten. Dieser Beweis sei hier nicht gelungen. Denn der Zeuge – und gleichzeitig Schreibhelfer – habe eingeräumt, womöglich stärkeren Einfluss auf die Schreibleistung genommen zu haben. Es habe auch Unstimmigkeiten im Schriftbild gegeben. Ein Schriftvergleich zeige Ähnlichkeiten mit der Handschrift des Zeugen. Das Gericht war hier nicht überzeugt, dass das Testament wirklich den letzten Willen des Erblassers widerspiegelte.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 2.10.2012, Az. I-15 W 231/12

 

 

Bundesgerichtshof: Urteil des Landgerichts Essen wegen versuchter Tötung eines Polizeibeamten bei einem Regionalliga-Fußballspiel ist rechtskräftig Beschluss vom 28. April 2016 – 4 StR 474/15

Duisburg, 23. Mai 2016 - Das Landgericht Essen hatte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers, eines Polizeibeamten, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr der verhängten Freiheitsstrafe angeordnet. Gegen dieses Urteil wendeten sich der Angeklagte und - mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes – der Nebenkläger.
Der 4. Strafsenat hat nunmehr im Beschlusswege die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten als im Wesentlichen unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Insbesondere hält die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, als er den Nebenkläger während der Vornahme einer Diensthandlung über einen Zeitraum von 15 bis 20 Sekunden mit voller Kraft mit beiden Armen im Würgegriff hielt, rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe hat der Senat hingegen entfallen lassen. Die Revision des Nebenklägers hat der Senat wegen Versäumung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels verworfen, desgleichen dessen Antrag, in die versäumte Frist wiedereingesetzt zu werden.
Die Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren ist damit rechtskräftig.
Vorinstanz: Vorinstanz. LG Essen Urteil vom 16. Juni 2015 – 22 Ks 5/15 (70 Js 523/14)

 

Nachbarschaftsrecht  
Bolzplatz: Ein Ball pro Woche darf danebengehen
Bolzplätze in Wohngebieten sorgen immer wieder für Rechtsstreitigkeiten. In Sachsen-Anhalt muss nun ein Sportverein dafür sorgen, dass im Jahresdurchschnitt nicht mehr als ein Fußball pro Woche über den Zaun auf das Nachbargrundstück fliegt. Dies entschied nach Informationen der D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Oberlandesgericht Naumburg.

OLG Naumburg, Az. 12 U 184/14  
Hintergrundinformation: Bei Streitigkeiten um Bolzplätze geht es oft um Lärm, manchmal aber auch um Bälle, die über den Zaun fliegen und dort landen, wo sie nicht hingehören – im Garten eines Nachbarn nämlich. Auch bei hoher Toleranzschwelle können häufige Ballattacken auf das heimische Blumenbeet irgendwann das Nervenkostüm zerrütten. Dies zeigt sich an einem Prozess, der in Sachsen-Anhalt durch mehrere Gerichtsinstanzen ging. Der Fall: Ein Sportverein betrieb einen Bolzplatz. Daneben befand sich ein Privatgrundstück. Immer wieder flogen nun Bälle über den Zaun.
Der Hauseigentümer ärgerte sich nicht nur über die Bälle an sich, sondern auch über jugendliche Spieler, die auf der Suche nach dem runden Leder immer wieder auf sein Grundstück kletterten und dabei oft nicht allzu höflich waren. Allein im Jahr 2014 hatte er nach eigenen Angaben 134 Bälle zurückgegeben – die von den Spielern selbst eingesammelten waren dabei noch nicht mal mitgezählt.

Der Verein räumte zwar „Ballüberflüge“ ein, bestritt aber den Umfang. Das Urteil: Nach Mitteilung des D.A.S. Leistungsservice kam das Oberlandesgericht Naumburg zu dem Schluss, dass deutlich zu viele Bälle dort landeten, wo sie nicht hingehörten. Ein Überflug von mehr als einem Ball pro Woche im Jahresdurchschnitt sei eine Beeinträchtigung seines Grundstücks, die der Kläger nicht dulden müsse. Ursache war aus Sicht des Gerichts der allzu niedrige Ballfangzaun. Denn dieser war nur vier Meter hoch und leicht zu „überschießen“. Bei der vom Verein geschilderten intensiven Nutzung des Platzes sei es sehr wahrscheinlich, dass die Angaben des Klägers stimmten.
Dem Verein sei es zuzumuten, den Ballfangzaun auf die übliche Höhe von sechs Metern zu erhöhen. Es sei unverständlich, warum auf der anderen Seite des Platzes – zu einem Wald hin – ein sechs Meter hoher Zaun installiert sei, aber nicht auf der Grundstücksgrenze zum Kläger.
Das Gericht gab dem Verein auf, dafür zu sorgen, dass im Jahresdurchschnitt nicht mehr als ein Ball pro Woche im Garten des Nachbarn lande. Für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung drohte das Gericht ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro an. Es bleibt zu hoffen, dass diese Androhung die jugendlichen Spieler zu größerer Zielgenauigkeit motiviert – und vielleicht so die ein oder andere Fußball-Karriere anschiebt. Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 23.11.2015, Az. 12 U 184/14

April 2106

 

Karlsruhe, 21. April 2016 - Bundesgerichtshof:

Keine pauschale Beteiligung von Verlagen an den Einnahmen der VG Wort
Urteil vom 21. April 2016 - I ZR 198/13 – Verlegeranteil Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die VG Wort nicht berechtigt ist, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuzahlen.

Die Beklagte ist die im Jahr 1958 gegründete Verwertungsgesellschaft Wort. Sie ist ein rechtsfähiger Verein kraft staatlicher Verleihung, in dem sich Wortautoren und deren Verleger zur gemeinsamen Verwertung von Urheberrechten zusammengeschlossen haben. Sie nimmt als einzige Verwertungsgesellschaft in Deutschland die ihr vertraglich anvertrauten urheberrechtlichen Befugnisse von Wortautoren und deren Verlegern wahr.

Der Kläger ist Autor wissenschaftlicher Werke. Er hat mit der Beklagten im Jahr 1984 einen Wahrnehmungsvertrag geschlossen. Darin hat er ihr unter anderem die gesetzlichen Vergütungsansprüche für das aufgrund bestimmter Schrankenbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes zulässige Vervielfältigen seiner Werke zum privaten Gebrauch zur Wahrnehmung übertragen.
Mit seiner Klage wendet der Kläger sich dagegen, dass die Beklagte die Verleger und bestimmte Urheberorganisationen entsprechend den Bestimmungen ihres Verteilungsplans an ihren Einnahmen beteiligt und dadurch seinen Anteil an diesen Einnahmen schmälert.

Das Oberlandesgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben. Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Revision eingelegt, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage erstrebt. Der Kläger hat Anschlussrevision eingelegt, mit der er erreichen möchte, dass seiner Klage in vollem Umfang stattgegeben wird. Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsmittel beider Parteien zurückgewiesen.

Die Beklagte ist - so der Bundesgerichtshof - nicht berechtigt, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten. Eine Verwertungsgesellschaft hat die Einnahmen aus der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte und Ansprüche ausschließlich an die Inhaber dieser Rechte und Ansprüche auszukehren; dabei muss sie diese Einnahmen in dem Verhältnis an die Berechtigten verteilen, in dem diese Einnahmen auf einer Verwertung der Rechte und Geltendmachung von Ansprüchen der jeweiligen Berechtigten beruhen.
Damit ist es nicht zu vereinbaren, dass die Beklagte den Verlegern einen pauschalen Anteil ihrer Einnahmen auszahlt, ohne darauf abzustellen, ob und inwieweit diese Einnahmen auf der Wahrnehmung der ihr von Verlegern eingeräumten Rechte oder übertragenen Ansprüche beruhen. Allein der Umstand, dass die verlegerische Leistung es der Beklagten erst ermöglicht, Einnahmen aus der Verwertung der verlegten Werke der Autoren zu erzielen, rechtfertigt es nicht, einen Teil dieser Einnahmen den Verlegern auszuzahlen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte mit der Wahrnehmung der ihr von Verlegern eingeräumten Rechte oder übertragenen Ansprüche tatsächlich Einnahmen in einem Umfang erzielt, der es rechtfertigt, regelmäßig die Hälfte der Verteilungssumme an die Verleger auszuschütten.
Den Verlegern stehen nach dem Urheberrechtsgesetz keine eigenen Rechte oder Ansprüche zu, die von der Beklagten wahrgenommen werden könnten. Verleger sind - von den im Streitfall nicht in Rede stehenden Presseverlegern abgesehen - nicht Inhaber eines Leistungsschutzrechts. Die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke stehen kraft Gesetzes originär den Urhebern zu. Die Beklagte nimmt auch keine den Verlegern von den Urhebern eingeräumten Rechte oder abgetretenen Ansprüche in einem Umfang wahr, der eine Beteiligung der Verleger an der Hälfte der Einnahmen der Beklagten begründen könnte.

Das Verlagsrecht räumen die Verleger der Beklagten nicht zur Wahrnehmung ein. Gesetzliche Vergütungsansprüche haben die Urheber den Verlegern jedenfalls nicht in einem Umfang wirksam abgetreten, der es rechtfertigen könnte, die Hälfte der Einnahmen an die Verlage auszuschütten. Dagegen durfte die Beklagte - so der Bundesgerichtshof weiter - bestimmte Urheberorganisationen an ihren Einnahmen beteiligen, soweit die Autoren diesen Organisationen ihre bereits entstandenen gesetzlichen Vergütungsansprüche abgetreten hatten.

Vorinstanzen: LG München I - Urteil vom 24. Mai 2012 - 7 O 28640/11 OLG München - Urteil vom 17. Oktober 2013 - 6 U 2492/12 Karlsruhe, den 21. April 2016

März 2016

 

30.03.2016: OLG Stuttgart gibt Klage einer Bausparerin gegen Kündigung ihres Bausparvertrages durch die Bausparkasse statt
Der u .a. für Bankrecht zuständige 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz von Thomas Wetzel hat heute der Berufung einer Bausparerin stattgegeben, die sich gegen die Kündigung ihres Bausparvertrages wehrt. In erster Instanz hatte das Landgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat diese Entscheidung zu Gunsten der Klägerin abgeändert.  
Die Klägerin hatte 1978 einen Bausparvertrag mit einer Bausparsumme von 40.000 DM (20.451,68 €) abgeschlossen. Für die Laufzeit erhielt sie für von ihr eingezahlte Raten ei-nen Guthabenzinssatz von 3 % p. a. bei einem Bauspardarlehenszinssatz von 5 % p. a. Der Vertrag wurde 1993 zuteilungsreif. Nach Zuteilungsreife stellte die Bausparerin die regelmäßige Zahlung der Sparraten ein, ohne ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen.
Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Bausparkasse den Bausparvertrag. Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf ca. 15.000 €; die Bausparsumme war also nicht vollständig angespart.  
Der Senat hält die Kündigung der Bausparkasse für unberechtigt. Diese könne sich nicht auf die Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen, wonach ein Darlehensnehmer das Darlehen zehn Jahre nach dessen vollständigem Empfang kündigen könne. Nach den Allgemeinen Bausparbedingungen (§ 5 Abs. 1 ABB) sei der Bausparer verpflichtet, Regelsparbeiträge bis zur erstmaligen Auszahlung der Bausparsumme zu zahlen. Vor Ende dieser Pflicht habe die Bausparkasse das als Darlehen anzusehende Guthaben nicht vollständig empfangen. Der Zeitpunkt der Zuteilungsreife spiele nach den Vertragsbedingun-gen keine Rolle.  

Die gesetzliche Kündigungsvorschrift sei entgegen der Auffassung der Bausparkasse auch nicht analog anwendbar. Die überlange Vertragsdauer beruhe zwar auf der vertragswidrigen Einstellung der Sparleistungen durch die Bausparerin. Diese müsse die Bausparkasse aber nicht hinnehmen:
Nach den Vertragsbedingungen könne sie die Bausparerin auffordern, die vertraglich geschuldeten Sparbeiträge wieder zu leisten. Werde der Aufforderung nicht Folge geleistet, habe die Bausparkasse ein (kurzfristiges) vertragliches Kündigungsrecht und es dadurch selbst in der Hand, eine überlange Bindung an den Vertragszinssatz zu verhindern.
Im Fall der ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung wäre die Bausparsumme innerhalb von zehn Jahren ab Zuteilungsreife vollständig angespart worden. Wenn die Bausparkasse selbst – möglicherweise im eigenen Interesse – ein faktisches Ruhen des Bausparvertrages erlaube und ein vertragliches Kündigungsrecht nicht nutze, sei sie nicht schutzbedürftig und könne sich nicht später auf eine analoge Anwendung eines gesetzlichen Kündigungsrechts berufen.  
Die Revision zum Bundesgerichtshof hat der Senat zugelassen, weil die Frage der An-wendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf zuteilungsreife Bausparverträge grundsätzliche Bedeutung hat und andere Oberlandesgerichte eine gegenteilige Auffassung vertreten.  

Aktenzeichen: 9 U 171/15 - Oberlandesgericht Stuttgart 25 O 89/15 - Landgericht Stuttgart  
Relevante Normen: § 489 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz ganz oder teilweise kün-digen, wenn die Sollzinsbindung vor der für die Rückzahlung bestimmten Zeit endet und keine neue Vereinba-rung über den Sollzinssatz getroffen ist, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat frü-hestens für den Ablauf des Tages, an dem die Sollzinsbindung endet; ist eine Anpassung des Sollzins-satzes in bestimmten Zeiträumen bis zu einem Jahr vereinbart, so kann der Darlehensnehmer jeweils nur für den Ablauf des Tages, an dem die Sollzinsbindung endet, kündigen; in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten; wird nach dem Empfang des Darlehens eine neue Vereinbarung über die Zeit der Rückzahlung oder den Sollzinssatz getroffen, so tritt der Zeitpunkt dieser Vereinbarung an die Stelle des Zeitpunkts des Empfangs.  

§ 5 Abs. 1 der für den Vertrag maßgeblichen Allgemeinen Bausparbedingungen (ABB): Der monatliche Bausparbeitrag beträgt 4,2 vom Tausend der Bausparsumme (Regelsparbeitrag). Er ist bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme am Ersten jeden Monats kostenfrei an die Bau-sparkasse zu entrichten.

 

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Handwerksinnungen dürfen keine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung einführen
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 23. März 2016 entschieden, dass eine Handwerksinnung nicht durch Satzung die aus dem Bereich der Arbeitgeberverbände bekannte Mitgliedschaftsform einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (sog. OT-Mitgliedschaft) einführen darf.
Die klagende Innung hatte eine Satzungsänderung beschlossen, nach der Mitglieder ihre Bindung an Tarifverträge der Innung durch Erklärung ausschließen können und tarifpolitische Entscheidungen ausschließlich von tarifgebundenen Mitgliedern in einem besonderen Ausschuss zu treffen sind. Die Handwerkskammer verweigerte eine Genehmigung der Satzungsänderung. Nachdem die Klage der Innung hiergegen vom Verwaltungsgericht abgewiesen wurde, verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Handwerkskammer zur Genehmigung der Satzung.
Die Revision der Handwerkskammer hatte Erfolg.
Die Handwerksordnung verleiht Innungen die Befugnis, Tarifverträge abzuschließen, damit in dem durch kleine Betriebe geprägten Bereich des Handwerks für sämtliche Innungsmitglieder eine tarifliche Ordnung hergestellt werden kann. Dieser gesetzliche Zweck wäre gefährdet, wenn einzelne Mitglieder der Innung für sich eine Tarifbindung ausschließen könnten.
Zudem ist nach der Handwerksordnung die Innungsversammlung, in der jedes Mitglied stimmberechtigt ist, das für alle wesentlichen Fragen und für die Erhebung und Verwendung aller finanziellen Mittel zuständige Hauptorgan. Die Handwerksordnung lässt es nicht zu, einen für tarifpolitische Entscheidungen zuständigen Ausschuss der Innungen so zu organisieren, dass OT-Mitglieder keinen Einfluss auf diese Entscheidungen erlangen.
BVerwG 10 C 23.14 - Urteil vom 23. März 2016
Vorinstanzen: OVG Lüneburg, 8 LC 23/14 - Urteil vom 25. September 2014 VG Braunschweig, 1 A 58/13 - Urteil vom 19. Dezember 2013

 

 

Loveparade-Zivilverfahren: Entscheidungen zu Prozesskostenhilfe und Hinweis im Berufungsverfahren

Oberlandesgericht Düsseldorf, 22. März 2016
Der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat am 17. März 2016 fünf von insgesamt sieben Beschwerden zu Prozesskostenhilfeanträgen in Loveparade-Zivilverfahren zurückgewiesen. Eine der Beschwerden war hingegen teilweise erfolgreich, eine weitere aus formalen Gründen zumindest vorläufig. Die Antragsteller hatten sich mit ihren Beschwerden gegen die Entscheidungen des Landgerichts Duisburg als Vorinstanz gewandt.

Das Landgericht hatte die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die beabsichtigen Klagen keine Erfolgsaussichten hätten. Im Berufungsverfahren eines Feuerwehrmanns hat der Senat auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Berufung hingewiesen. Bereits das Landgericht Duisburg hatte die Klage abgewiesen. A. Beschwerden in Prozesskostenhilfeverfahren (Fall 1) Einer Antragstellerin, die von der Haftpflichtversicherung der Veranstalterin Lopavent GmbH bereits vorgerichtlich Schadenersatz in Höhe von 25.000 € erhalten hatte, hat der Senat Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000 € sowie materieller Schäden gegen die Veranstalterin bewilligt.

Die Klage muss nun vor dem Landgericht Duisburg verhandelt werden.
Die 36-jährige Klägerin kam beim Besuch der Loveparade in das Gedränge im Bereich der östlichen Rampe, verlor dort das Bewusstsein und gibt an, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine bis heute nicht ausgeheilte Knieverletzung erlitten zu haben. Wie der Senat ausführt, hafte indes - jedenfalls soweit dies im Prozesskostenhilfeverfahren zu beurteilen sei - für die Ansprüche der Klägerin allenfalls die Veranstalterin Lopavent GmbH.

Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers der Veranstalterin scheide aus Rechtsgründen aus. Eine Haftung der Stadt Duisburg und des Landes NRW komme gleichfalls nicht in Betracht, da vorrangig die Veranstalterin hafte. Ansprüchen gegen das Land NRW stehe außerdem entgegen, dass die Antragstellerin schon nicht konkret vorgetragen habe, welche Amtspflichtverletzungen sie der Polizei vorwerfe.
(Fall 2) Aus formellen Gründen zumindest vorläufigen Erfolg hatte eine weitere Beschwerde, da der die Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss nicht von den zuständigen Richtern bei dem Landgericht Duisburg erlassen worden sei. Aufgrund dieses Verfahrensfehlers hat der Senat die Entscheidung des Landgerichts Duisburg aufgehoben. Die zuständige Zivilkammer bei dem Landgericht Duisburg muss über den Prozesskostenhilfeantrag erneut entscheiden. Die Erfolgsaussichten aller weiteren im Beschwerdeverfahren gegenständlichen Klagen hat der 18. Zivilsenat hingegen verneint:
(Fall 3) Ein als Ordner tätiger Antragsteller sei nicht in dem Gedränge selbst eingeschlossen gewesen, sondern lediglich Zeuge des Katastrophenereignisses geworden. Er zähle daher nicht zu den unmittelbar betroffenen Menschen, die unter Umständen auch für erlittene psychische Beeinträchtigungen entschädigt werden müssten.
(Fall 4) Aus denselben Gründen hat der Senat die Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klage einer Frau verneint, die sich auf dem Festivalgelände außerhalb des Rampenbereichs aufgehalten hat und nicht Augenzeugin des unmittelbaren Geschehens geworden ist. Die Klagen dreier weiterer Antragsteller (Fälle 5-7) – eine Besucherin, ein Besucher und ein privater Ordner – hätten gleichfalls keine Aussicht auf Erfolg, da die Antragsteller ihre Prozesskostenhilfeanträge erst nach Ablauf der Verjährungsfrist bei Gericht eingereicht und ihre Ansprüche auch vorher nicht rechtzeitig geltend gemacht hätten.
Da sie ihre Ansprüche gegenüber der Veranstalterin haben verjähren lassen, hafte den Antragstellern auch weder die Stadt Duisburg noch das Land NRW. Eine Haftung des Geschäftsführers der Veranstalterin bestehe ebenfalls nicht. B. Hinweis auf fehlende Erfolgsaussichten im Berufungsverfahren Im Berufungsverfahren eines Feuerwehrmanns hat der Senat den Kläger auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit seiner Berufung hingewiesen. Die Veranstalterin hafte dem Kläger nicht, weil er sich nicht in dem tödlichen Gedränge befunden habe und dort nicht zu Schaden gekommen sei.
Der Kläger sei wie ein Zeuge des Geschehens zu behandeln, der seine psychische Schädigung entschädigungslos hinzunehmen habe. Außerdem sei ein eventueller Anspruch gegen die Veranstalterin verjährt. Der Geschäftsführer der Veranstalterin und das Land NRW hafteten dem Kläger deshalb ebenfalls nicht. Vor einer Entscheidung des Senats hat der Kläger zunächst Gelegenheit, zu den erteilten Hinweisen Stellung zu nehmen.
Aktenzeichen OLG Düsseldorf: (Fall 1): I-18 W 64/15, (Fall 2): I-18 W 81/15,  (Fall 3): I-18 W 67/15, (Fall 4): I-18 W 83/15, (Fall 5): I-18 W 63/15, (Fall 6): I-18 W 79/15, (Fall 7): I-18 W 76/15, (Berufungsverfahren): I-18 U 1/16 Düsseldorf, 22. März 2016

 

Übernahme Kaiser's/Tengelmann durch Edeka: Beschwerde gegen Ministererlaubnis
Oberlandesgericht Düsseldorf,
21. März 2016
Mit einer auf den 18. März 2016 datierenden und am gleichen Tag bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf eingegangenen Beschwerde wenden sich die REWE-Zentralfinanz e.G. sowie die REWE Markt GmbH  gegen die am 17. März 2016 durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie erteilte Erlaubnis zur Übernahme von Kaiser´s/Tengelmann-Filialen durch Edeka. Darüber hinaus haben die Antragstellerinnen die "Anordnung der aufschiebenden Wirkung" ihrer Beschwerde beantragt.
Sollte eine solche Anordnung des Gerichts ergehen, dürfte die Übernahme trotz der vorliegenden Ministererlaubnis bis zur abschließenden Entscheidung des Gerichts über die Beschwerde zunächst nicht vollzogen werden. Eine Begründung der Beschwerde und des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist angekündigt, liegt dem Gericht jedoch noch nicht vor.
Der für das Verfahren zuständige 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Vorsitz von Prof. Dr. Jürgen Kühnen kann erst nach Eingang der Begründungen über den weiteren Ablauf des Verfahrens entscheiden. Die Pressestelle wird über den Fortgang des Verfahrens unaufgefordert unterrichten.   Aktenzeichen: VI Kart 3/16 (V) (Antrag aufschiebende Wirkung) 
VI Kart 4/16 (V) (Beschwerde)

 

Loveparade-Zivilverfahren: Zweifel der Klägerinnen an Unparteilichkeit einer Richterin nachvollziehbar
Oberlandesgerichts Düsseldorf 09. März  2016
Der 11. Zivilsenat des sieht die von den Klägerinnen in zwei vor dem Landgericht Duisburg zu verhandelnden Loveparade-Zivilverfahren vorgebrachten Umstände als ausreichend an, um Zweifel an der Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin zu begründen. Der Senat hat daher mit zwei Beschlüssen vom 3. März 2016 den Beschwerden der Klägerinnen gegen die gegenteiligen Entscheidungen des Landgerichts Duisburg stattgegeben.
Diese beiden Loveparade-Zivilverfahren müssen nun unter Vorsitz eines anderen Richters geführt werden. In den beiden Zivilverfahren nehmen die Klägerinnen mit ihren Klagen u. a. die Stadt Duisburg aufgrund der tragischen Ereignisse bei der Loveparade im Jahre 2010 auf Schadenersatz in Anspruch. Die beklagte Stadt Duisburg hat ein Rechtsgutachten in die Verfahren eingeführt, das in ihrem Auftrag von einer Rechtsanwaltskanzlei erstattet wurde, deren Teilhaber der Ehemann der abgelehnten Richterin ist.
In dem Gutachten wird u.a. ausgeführt, dass der Stadt Duisburg im Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen bei der Loveparade im Jahre 2010 keine Verletzung von Amtspflichten vorwerfbar sei. Der 11. Zivilsenat hat die Ablehnungsgesuche der Klägerinnen für begründet erklärt. Nach den gesetzlichen Vorschriften sei es nicht entscheidend, ob sich ein abgelehnter Richter selbst für befangen hält.
Entscheidend sei, ob die Gesamtumstände aus Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Betrachtung  aller Umstände die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Bereits der Eindruck einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität eines Richters sei zu vermeiden. Aus Sicht der Klägerinnen hält der Senat die Sorge einer fehlenden Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin aufgrund der Umstände des Einzelfalls zumindest für nachvollziehbar:
Für die abgelehnte Richterin könnte durch die Einführung  des Gutachtens in die Zivilverfahren  bei der Urteilsfindung eine Konfliktsituation entstehen, die ihr ein unparteiisches Urteil erschwert. Auch wenn der Ehemann der abgelehnten Richterin selbst an der Erstellung des Gutachtens nicht mitgewirkt hat, sieht der Senat aufgrund der beruflichen Nähe des Ehemanns zu den Verfassern des Gutachtens und aufgrund seiner Eigenschaft als Partner der Kanzlei einen hinreichend konkreten Bezug zum Verfahrensgegenstand.
Vom Standpunkt der Klägerinnen aus kann dies ein Grund sein, der die Unvoreingenommenheit der Richterin in Frage stellt, wenn z.B. von der Zivilkammer darüber zu entscheiden ist, ob  das von der Kanzlei des Ehemanns der Vorsitzenden Richterin erstellte Gutachten tatsächlich und rechtlich zutreffend ist. Aktenzeichen OLG Düsseldorf: I – 11 W 53/15 und I – 11 W 54/15 Aktenzeichen LG Duisburg: 4 O 256/14 und 4 O 413/14

 

Februar 2016

 

KiTa-Gebühren - BAföG gilt als Einkommen
Hintergrundinformation: Die Gemeinden berechnen KiTa-Gebühren, oft Eltern-Beiträge genannt, nach unterschiedlichen Methoden. So kann zum Beispiel eine Grundbetreuung kostenfrei sein und alles, was über diesen Zeitrahmen hinausgeht, ist gebührenpflichtig. Die Höhe der Gebühren richtet sich dann nach Kriterien wie der Einkommenshöhe, der Familiengröße, der Altersgruppe des betreuten Kindes und dem Betreuungsumfang. Nach einem anderen Modell ist die Kinderbetreuung für Eltern mit einem Einkommen unter einer bestimmten Grenze kostenlos, die Gebühren steigen dann gestaffelt mit der Höhe des Einkommens. Geregelt ist das Ganze in einer Satzung der jeweiligen Gemeinde.

Der Fall:
Ein Paar ließ seinen Sohn tagsüber in der gemeindeeigenen Kindertagesstätte betreuen. Dafür erhob die Gemeinde eine Teilnahmegebühr. Die Mutter des Kindes war Studentin und bekam BAföG, und zwar zu je 50 Prozent als Zuschuss und als Darlehen. Die Gemeinde zählte nun zur Berechnung der Teilnahmegebühr auch den als Darlehen gewährten Teil der Ausbildungsförderung zum Einkommen dazu. Die Eltern setzten sich dagegen zur Wehr, da sie das BAföG-Darlehen nicht als Einkommensbestandteil ansahen.
Das Urteil: Das Bundesverwaltungsgericht verwies nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice auf Paragraph 82 des 12. Sozialgesetzbuches. Diese Vorschrift definiert, was im Sozialrecht als Einkommen gilt – nämlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, die beim Empfänger zu einem Wertzuwachs führen. Normalerweise sei ein Darlehen kein Einkommen. Andererseits sei bei einem BAföG-Darlehen durchaus ein Wertzuwachs vorhanden – denn der so Geförderte könne dadurch eine gute Ausbildung erlangen und später mehr verdienen. Die Aussicht auf diesen Mehrwert rechtfertige es, das BAföG-Darlehen bei der Berechnung der KiTa-Gebühr als Einkommen anzurechnen. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. 5 C 8.15

 

Vonovia scheitert mit Übernahmeversuch
Mieterbund: Gefahr einer übergroßen Marktmacht abgewendet  

10. Februar - Deutschlands größter Vermieter Vonovia ist mit dem Versuch, die Deutsche Wohnen zu übernehmen gescheitert. Der Deutsche Mieterbund (DMB) hatte die weitere Konzentration auf dem deutschen Wohnungsmarkt abgelehnt. „Die Gefahr einer übergroßen Marktmacht und eines entsprechend großen politischen Einflusses ist vorerst abgewendet“, kommentierte der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, den gescheiterten Übernahmeversuch von Vonovia. „Die ‚Elefantenhochzeit‘ von Vonovia und Deutsche Wohnen hätte weder für den Wohnungsmarkt noch für den Mieter irgendwelche Vorteile gebracht.“

Der Deutsche Mieterbund fordert Vonovia und Deutsche Wohnen jetzt auf, sich endlich um die bestehenden Wohnungsmarktprobleme und die Probleme in ihren Wohnungsbeständen zu kümmern. „Deutschlands größte Vermieter müssen endlich in den Neubau von Wohnungen investieren, ihre Wohnungsbestände kurzfristig und ordnungsgemäß instandsetzen und sozialverträgliche, bezahlbare Modernisierungen vornehmen. Wir stehen jederzeit für Gespräche und konkrete Vereinbarungen zur Verfügung“, sagte Siebenkotten.
Die Forderungen und Erwartungen des Deutschen Mieterbundes sind:
Lokale Bestandsverwaltungen mit kompetenten, für die Mieter/innen kostenlosen Ansprechpartner/innen der Vonovia für alle Bereiche,

- ordnungsgemäße Instandhaltung der Wohnungsbestände und eine schnelle Beseitigung aller gemeldeten Mängel im Haus und in den Wohnungen,
- energetische und altengerechte Erneuerung der Wohnungsbestände, ohne dass es zu finanziellen Überlastungen und Verdrängungen der Mieter/innen kommt,

- die Beendigung nicht gerechtfertigter Mieterhöhungen und Kostensteigerungen,
- korrekte, transparente und rechtzeitig belegte Betriebskostenabrechnungen,
- vertraglicher Schutz aller Mieter/innen vor Kündigungen wegen Eigenbedarfs (im Falle eines Weiterverkaufs) oder nicht angemessener wirtschaftlicher Verwertung,
- die Beschäftigung von qualifiziertem Personal in ausreichender Anzahl und unter Tarifbedingungen,
- soziales Quartiersmanagement und eine sensible Belegungspolitik unter Beteiligung der Mieter/innen und Anwohner/innen sowie eine Zusammenarbeit mit den Kommunen bei der sozialen Stadtentwicklung, keine Veräußerungen von Wohnungsbeständen an Weiterverwerter oder andere Finanzinvestoren.

Januar 2016

 

 

Bundesgerichtshof: Anforderungen an die gewerbliche Weitervermietung von Wohnraum Urteil vom 20. Januar 2016
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob der in § 565 BGB* vorgesehene Schutz des Mieters bei Anmietung der Wohnung von einem gewerblichen Zwischenmieter auch für den Fall der Vermietung der Wohnung durch eineMieter-Selbsthilfegenossenschaft als Zwischenmieter an ihre Mitglieder gilt.
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Rechtsnachfolger ihrer Mutter als Eigentümer eines mit einem großen Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in Berlin (Stadtteil Prenzlauer Berg), das während des NS-Regimes enteignet worden war. Das Haus, in dem seit der Enteignung weder Instandhaltungs- noch Sanierungsmaßnahmen vorgenommen worden waren, wurde nach der Wiedervereinigung an die Mutter der Kläger zurückübertragen.
Diese hatte zuvor mit der aus den damaligen Nutzern der Wohnungen bestehenden Selbsthilfegenossenschaft einen Vertrag über die Nutzung, Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes geschlossen. Gemäß diesem Vertrag sollte die Genossenschaft mit Hilfe öffentlicher Fördergelder umfangreiche Sanierungsmaßnahmen vornehmen und für die Vertragsdauer von 20 Jahre berechtigt sein, Mietverträge mit ihren Mitgliedern - den bisherigen Nutzern der Wohnungen - abzuschließen.
Das von der Genossenschaft an die Mutter der Kläger zu zahlende Nutzungsentgelt betrug 1,50 DM je qm. Weiter sah der Vertrag die Berechtigung der Genossenschaft vor, nach Ablauf der Vertragsdauer von 20 Jahren die bisherigen Nutzer der Wohnungen als Mieter für die jeweils eigengenutzte Wohnung zu benennen. Dabei sollte der Eigentümer des Hauses verpflichtet sein, mit diesen Nutzern Mietverträge nach üblichem Standardformular unter Vereinbarung der ortsüblichen Vergleichsmiete abzuschließen.
In der Folgezeit führte die Genossenschaft die Sanierung des Gebäudes mit einem Aufwand von rund vier Millionen DM durch, wobei ein Betrag von rund 375.000 DM auf Eigenleistungen entfiel und im Übrigen öffentliche Fördergelder verwendet wurden. Anschließend vermietete sie die Wohnungen an ihre Mitglieder zu Mieten zwischen 1,80 bis 2,86 € je qm.
Die Nettokaltmieten für die zwischen 53 und 159 qm großen Wohnungen liegen dementsprechend zwischen 124 und 286 €. Nach Ablauf der zwanzigjährigen Nutzungszeit im Jahre 2013 kam es zwischen den Klägern und den Beklagten zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Kläger nach § 565 BGB in die zwischen der Genossenschaft und den Beklagten abgeschlossenen Mietverträge als Vermieter eingetreten sind. Die Beklagten meinen, dies sei der Fall und sie hätten daher an die Kläger lediglich die vorstehend genannte bisherige Miethöhe zu zahlen; eine Mieterhöhung sei nur in den Grenzen des § 558 BGB** auf der Grundlage des bisherigen Mietniveaus möglich.
Ein vorprozessualer Schriftwechsel der Parteien über einen etwaigen Neuabschluss von Mietverträgen blieb ohne Erfolg. Die Klage, mit der die Kläger die Feststellung begehren, dass zwischen ihnen und den Beklagten keine Mietverträge über die jeweilige Wohnung bestehen, blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Kläger hatte Erfolg.


Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Mietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Kläger nicht gemäß § 565 BGB in die zwischen der Genossenschaft und den Beklagten abgeschlossenen Mietverträge eingetreten sind. § 565 BGB regelt den Fall, dass der Mieter (hier: die Genossenschaft) nach dem Mietvertrag den gemieteten Wohnraum gewerblich einem Dritten (hier: den Beklagten) zu Wohnzwecken weitervermieten soll. Sie ordnet insoweit an, dass der Vermieter bei Beendigung des (Haupt-)Mietvertrages in den zwischen dem Mieter und dem Dritten abgeschlossenen Mietvertrag eintritt.

Der Senat hat entschieden, dass die Voraussetzungen für einen solchen Eintritt der Kläger als Vermieter hier nicht gegeben sind. Denn bei der im Hauptmietvertrag vorgesehenen Weitervermietung an die Mitglieder der als Zwischenmieterin handelnden Selbsthilfegenossenschaft handelt es sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht um eine gewerbliche Weitervermietung im Sinne des § 565 BGB.
Der Regelungszweck dieser Vorschrift zielt nicht darauf ab, den Schutz des Mieters generell auf Fälle einer Weitervermietung durch den Hauptmieter auszudehnen, sondern nur auf bestimmte Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Eigentümer im eigenen Interesse und zum Zwecke des Anbietens der Wohnung auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt zu üblichen Bedingungen einen Zwischenmieter einschaltet, der mit der Weitervermietung wiederum eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt.
In einem solchen Fall stellt § 565 BGB den Endmieter bei Beendigung des Hauptmietvertrages so, als hätte er die Wohnung direkt vom Vermieter angemietet und gewährt ihm damit insbesondere auch den sozialen Kündigungsschutz. Eine grundlegend andere Interessenlage besteht hingegen, wenn - wie in dem vom Senat heute entschiedenen Fall - der Vertragszweck des Hauptmietvertrages nicht die gewerbliche Weitervermietung ist, sondern der Zwischenmieter mit der Weitervermietung gemeinnützige, karitative oder ähnliche Zwecke - wie hier in Gestalt der Wahrnehmung der Interessen der eigenen Mitglieder (der Bewohner des Gebäudes) durch die aus ihnen bestehende Selbsthilfegenossenschaft - verfolgt. Denn die Zwischenvermietung erfolgt dann vor allem im Interesse des Endmieters.
Da der Zwischenmieter in diesem Fall die Interessen des Endmieters in der Regel bereits bei der Gestaltung des Hauptmietvertrags wahrnimmt, besteht nicht die Notwendigkeit, den Mieter darüber hinaus bei Beendigung des Hauptmietvertrages zusätzlich dadurch zu schützen, dass der Eigentümers gemäß § 565 BGB als Vermieter in den Mietvertrag eintritt. Vielmehr sind derartige Fälle aufgrund des engen Verhältnisses zwischen dem Endmieter und dem Zwischenmieter eher mit der klassischen Untermiete zu vergleichen, in denen der Untermieter bei Beendigung des Hauptmietvertrages ebenfalls keinen Kündigungsschutz genießt.

Im vorliegenden Fall diente die Weitervermietung nicht der Gewinnerzielung oder sonst einem eigenen wirtschaftlichen Interesse der Genossenschaft, sondern vielmehr dem Interesse ihrer Mitglieder - der Bewohner des Gebäudes - und der Verwirklichung eines Sanierungskonzeptes, das zwischen den Interessen der Eigentümer und der bisherigen Nutzer einen Ausgleich unter Zuhilfenahme öffentlicher Fördergelder herbeiführen sollte.
Hierbei hat die Genossenschaft bei Abschluss des Hauptmietvertrages die Interessen ihrer Mitglieder, nämlich der Beklagten als Endmieter, wahrgenommen. Sie hat dafür gesorgt, dass der Wohnraum den bisherigen Nutzern erhalten blieb und diese in der besonderen Situation nach der Wiedervereinigung Mietverträge zu einer ungewöhnlich niedrigen Miete erhielten. Zugleich hat sie in dem von ihr abgeschlossenen Hauptmietvertrag Vorsorge dafür getroffen, dass die bisherigen Nutzer auch nach Beendigung des Hauptmietvertrages zu angemessenen Bedingungen in den Wohnungen bleiben konnten.
Bei dieser Sachlage kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder eine direkte Anwendung des § 565 BGB noch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift in Betracht. Da es keiner weiteren Feststellungen bedurfte, hat der Senat unter Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts in der Sache selbst entschieden und die mit der Klage erstrebte Feststellung getroffen, dass zwischen den Parteien mietvertragliche Beziehungen nicht bestehen.

*§ 565 BGB - Gewerbliche Weitervermietung
(1) 1 Soll der Mieter nach dem Mietvertrag den gemieteten Wohnraum gewerblich einem Dritten zu Wohnzwecken weitervermieten, so tritt der Vermieter bei der Beendigung des Mietverhältnisses in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis zwischen dem Mieter und dem Dritten ein. 2Schließt der Vermieter erneut einen Mietvertrag zur gewerblichen Weitervermietung ab, so tritt der Mieter anstelle der bisherigen Vertragspartei in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis mit dem Dritten ein.
** § 558 BGB - Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete (1) 1Der Vermieter kann die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, wenn die Miete in dem Zeitpunkt, zu dem die Erhöhung eintreten soll, seit 15 Monaten unverändert ist.
2. Das Mieterhöhungsverlangen kann frühestens ein Jahr nach der letzten Mieterhöhung geltend gemacht werden.
(3) 1. Bei Erhöhungen nach Absatz 1 darf sich die Miete innerhalb von drei Jahren, von Erhöhungen nach den §§ 559 bis 560 abgesehen, nicht um mehr als 20 vom Hundert erhöhen (Kappungsgrenze).
2. Der Prozentsatz nach Satz 1 beträgt 15 vom Hundert, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete nach Satz 3 bestimmt sind. 3.Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Gebiete durch Rechtsverordnung für die Dauer von jeweils höchstens fünf Jahren zu bestimmen.
Vorinstanzen: AG Mitte - Urteil vom 28. Mai 2014 - 118 C 519/13 LG Berlin - Urteil vom 2. Oktober 2014 - 67 S 413/14

 

Bundesgerichtshof zur Unwirksamkeit einer Formularklausel über die Nichtberücksichtigung zukünftiger Sondertilgungsrechte bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung Urteil vom 19. Januar 2016
Der unter anderem für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzvereins entschieden, dass die Klausel in einem Darlehensvertrag zwischen einem Kreditinstitut und einem Verbraucher, wonach im Falle vorzeitiger Vollrückzahlung des Darlehens zukünftige Sondertilgungsrechte des Kunden bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unberücksichtigt bleiben, unwirksam ist. Der Kläger ist ein Verbraucherschutzverein, der als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist.
Die beklagte Sparkasse vergibt unter anderem grundpfandrechtlich abgesicherte Darlehen an Verbraucher. Soweit den Kreditnehmern hierbei Sondertilgungsrechte innerhalb des Zinsfestschreibungszeitraums eingeräumt werden, enthalten die "Besonderen Vereinbarungen" des Darlehensvertrags die nachfolgende Bestimmung: "Zukünftige Sondertilgungsrechte werden im Rahmen vorzeitiger Darlehensvollrückzahlung bei der Berechnung von Vorfälligkeitszinsen nicht berücksichtigt."
Das Landgericht hat die gegen die Verwendung dieser Klausel gerichtete Unterlassungsklage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten hat der XI. Zivilsenat zurückgewiesen. Die angegriffene Klausel hält der gerichtlichen Inhaltskontrolle nicht stand: Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB* unterliegen unter anderem solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften abweichende Regelungen vereinbart werden. Das trifft auf die beanstandete Klausel zu.

Die Auslegung der umfassend formulierten Regelung ergibt, dass sie aus der maßgeblichen Sicht eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden jedenfalls auch bei der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB** aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Darlehensvertrages durch den Darlehensnehmer infolge der Ausübung seiner berechtigten Interessen nach § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB** Anwendung findet. Auf der Grundlage dieser Auslegung weicht die beanstandete Klausel von gesetzlichen Regelungen ab. Nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB** hat der kündigende Darlehensnehmer dem Darlehensgeber denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht.

Die Anspruchshöhe ist nach den für die Nichtabnahmeentschädigung geltenden Grundsätzen zu ermitteln, wonach der maßgebliche Schadensumfang den Zinsschaden und den Verwaltungsaufwand des Darlehensgebers umfasst. Ersatzfähig ist der Zinsschaden jedoch lediglich für den Zeitraum rechtlich geschützter Zinserwartung des Darlehensgebers. Die rechtlich geschützte Zinserwartung wird - unter anderem - durch vereinbarte Sondertilgungsrechte begrenzt. Diese begründen ein kündigungsunabhängiges Teilleistungsrecht des Darlehensnehmers zur Rückerstattung der Valuta ohne Verpflichtung zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung.
Mit der Einräumung solcher regelmäßig an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Sondertilgungsrechte gibt der Darlehensgeber von vornherein seine rechtlich geschützte Zinserwartung im jeweiligen Umfang dieser Rechte auf. Von diesen Grundsätzen der Bemessung der Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB** weicht die beanstandete Regelung zum Nachteil des Darlehensnehmers ab, indem dessen künftige Sondertilgungsrechte, die die Zinserwartung der Beklagten und damit die Höhe der von ihr im Falle einer Kündigung nach § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB** zu beanspruchenden Vorfälligkeitsentschädigung beeinflussen, bei der Berechnung - generell - ausgenommen werden.
Die generelle Nichtberücksichtigung vereinbarter künftiger Sondertilgungsrechte bei der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung führt zu einer von der Schadensberechnung nicht gedeckten Überkompensation der Beklagten.
Die Klausel ist deshalb mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, unvereinbar und benachteiligt die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Die Überkompensation wird nicht anderweit ausgeglichen oder auch nur abgeschwächt. Die Beklagte führt auch keine Umstände oder Erschwernisse an, die eine Außerachtlassung künftiger Sondertilgungsrechte bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung rechtfertigen könnten.
Vorinstanzen: Landgericht Aurich - Urteil vom 8. November 2013 - 3 O 668/13 Oberlandesgericht Oldenburg - Urteil vom 4. Juli 2014 - 6 U 236/13 (ZIP 2014, 2383 ff.) Karlsruhe, den 19. Januar 2016

 

Bundesgerichtshof zur Facebook-Funktion "Freunde finden"
Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 65/14
Freunde finden Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige
I. Zivilsenat hat heute entschieden, dass die mithilfe der Funktion "Freunde finden" des Internet-Dienstes "Facebook" versendeten Einladungs-E-Mails an Personen, die nicht als "Facebook"-Mitglieder registriert sind, eine wettbewerbsrechtlich unzulässige belästigende Werbung darstellen.
Der I. Zivilsenat hat weiter entschieden, dass "Facebook" im Rahmen des im November 2010 zur Verfügung gestellten Registrierungsvorgangs für die Funktion "Freunde finden" den Nutzer über Art und Umfang der Nutzung von ihm importierter Kontaktdaten irregeführt hat.

Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland. Die in Irland ansässige Beklagte betreibt in Europa die Internet-Plattform "Facebook". Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Gestaltung der von ihr bereit gestellten Funktion "Freunde finden", mit der der Nutzer veranlasst wird, seine E-Mail-Adressdateien in den Datenbestand von "Facebook" zu importieren, und wegen der Versendung von Einladungs-E-Mails an bisher nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen auf Unterlassung in Anspruch.
Der Kläger sieht in dem Versand von Einladungs-E-Mails an nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen eine den Empfänger belästigende Werbung der Beklagten im Sinne von § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UWG*. Er macht ferner geltend, die Beklagte täusche die Nutzer im Rahmen ihres Registrierungsvorgangs in unzulässiger Weise darüber, in welchem Umfang vom Nutzer importierte E-Mail-Adressdateien von "Facebook" genutzt würden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Einladungs-E-Mails von "Facebook" an Empfänger, die in den Erhalt der E-Mails nicht ausdrücklich eingewilligt haben, stellen eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG dar. Die Einladungs-E-Mails sind Werbung der Beklagten, auch wenn ihre Versendung durch den sich bei "Facebook" registrierenden Nutzer ausgelöst wird, weil es sich um eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte Funktion handelt, mit der Dritte auf das Angebot von "Facebook" aufmerksam gemacht werden sollen.

Die Einladungs-E-Mails werden vom Empfänger nicht als private Mitteilung des "Facebook"-Nutzers, sondern als Werbung der Beklagten verstanden. Durch die Angaben, die die Beklagte im November 2010 bei der Registrierung für die Facebook-Funktion "Freunde finden" gemacht hat, hat die Beklagte sich registrierende Nutzer entgegen § 5 UWG** über Art und Umfang der Nutzung der E-Mail-Kontaktdaten getäuscht.
Der im ersten Schritt des Registrierungsvorgangs eingeblendete Hinweis "Sind deine Freunde schon bei Facebook?" klärt nicht darüber auf, dass die vom Nutzer importierten E-Mail-Kontaktdaten ausgewertet werden und eine Versendung der Einladungs-E-Mails auch an Personen erfolgt, die noch nicht bei "Facebook" registriert sind. Die unter dem elektronischen Verweis "Dein Passwort wird von Facebook nicht gespeichert" hinterlegten weitergehenden Informationen können die Irreführung nicht ausräumen, weil ihre Kenntnisnahme durch den Nutzer nicht sichergestellt ist.
Vorinstanzen: KG Berlin - Urteil vom 24. Januar 2014 - 24 U 42/12
LG Berlin - Urteil vom 6. März 2012 - 16 O 551/10
Karlsruhe, 14. Januar 2016 *§ 7 UWG:
(1) Eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht.
(2) Eine unzumutbare Belästigung ist stets anzunehmen 1. […] 3. bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt […]
**§ 5 UWG: (1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben […] enthält: […]

 

Bundesgerichtshof: Zur Haftung des Reiseveranstalters für Zusatzleistungen am Urlaubsort - Urteil vom 12. Januar 2016 – X ZR 4/15
 12. Januar 2016 - Die Kläger begehren von der beklagten Reiseveranstalterin (V.) Schmerzensgeld wegen Verletzungen bei einem Unfall, der sich auf einer Ausflugsfahrt am Urlaubsort ereignete. Die Kläger buchten bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Burgas in Bulgarien für den Sommer 2013.

Am Urlaubsort erhielten sie von der Beklagten eine Begrüßungsmappe mit einem Blatt, auf dem unter dem Logo der Beklagten und der Überschrift "Ihr Ausflugsprogramm" verschiedene Veranstaltungen, unter anderem eine "Berg und Tal: Geländewagen-Tour", angeboten wurden. Unter der Auflistung wurde darauf hingewiesen, dass die Beklagte lediglich als Vermittler für die von der örtlichen Ausflugsagentur organisierten Ausflüge fungiere und die Ausflüge auch per SMS oder per E-Mail reserviert werden könnten, gefolgt von der fettgedruckten Aufforderung "Reservieren Sie bei Ihrer V.-Reiseleitung!".

Die Kläger buchten die auch als "Jeep-Safari" angebotene Geländewagentour beim Reiseleiter der Beklagten. Während des Ausflugs kam es zu einem Unfall, bei dem die Kläger verletzt wurden. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, da die Beklagte die Geländewagentour nicht veranstaltet, sondern nur vermittelt habe. Der Hinweis auf die Vermittlerrolle der Beklagten, verbunden mit einer Buchungsmöglichkeit mittels einer bulgarischen Mailadresse habe deutlich gemacht, dass diese nur als Vermittler für einen mit der örtlichen Ausflugsagentur zu schließenden Vertrag habe fungieren wollen.

Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihre Ansprüche weiterverfolgt. Der unter anderem für das Reiserecht zuständige X. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die Frage, ob das Reiseunternehmen nur als Vermittler tätig wird oder die eigenverantwortliche Stellung als Vertragspartner einnimmt, kommt es auf den Gesamteindruck an, den der Reisende bei der Vertragsanbahnung gewinnt. Hiernach hat die Beklagte die Stellung eines Vertragspartners eingenommen.
Bereits das Einfügen des Ausflugsprogramms in eine Begrüßungsmappe der Beklagten, dessen Aufmachung mit dem Logo "V." der Beklagten und die Überschrift "Ihr Ausflugsprogramm" weisen auf ein Angebot der Beklagten hin, das diese als fakultativen Bestandteil der Gesamtreiseleistung zusammengestellt und eigenverantwortlich organisiert hat. Weiterhin deutet die Aufforderung, einen Ausflug bei der Reiseleitung zu buchen, auf die Beklagte als Vertragspartner hin. Demgegenüber tritt der Hinweis auf eine Vermittlerrolle wegen der dafür gewählten kleinen Schriftgröße und seiner inhaltlichen Einbettung in den Text zurück.
Die für eine weitere Buchungsmöglichkeit angegebene Mailadresse mit einer auf Bulgarien hinweisenden Top-Level-Domain und einem vom Namen der Beklagten abweichenden Domainnamen ließen für den Reisenden jedenfalls nicht eindeutig einen anderen Vertragspartner als die Beklagte für die Ausflüge erkennen. Das Berufungsgericht wird hiernach Unfallhergang und -folgen aufzuklären haben. Vorinstanzen: LG Duisburg – Urteil vom 19. Mai 2014 – 2 O 3/14
OLG Düsseldorf – Urteil vom 16. Dezember 2014 – 21 U 99/14
Karlsruhe, den 12. Januar 2016


Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen Facebook

Verhandlungstermin 14. Januar 2016, 9.00 Uhr, in Sachen I ZR 65/14 (Facebook)
11. Januar 2016 - Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland. Die Beklagte betreibt in Europa die Internet-Plattform "Facebook".
Der Kläger nimmt die Beklagte unter anderem wegen der Gestaltung der von ihr bereit gestellten Funktion "Freunde finden", mit der der Nutzer veranlasst wird, seine E-Mail-Adressdateien in den Datenbestand von "Facebook" zu importieren, und wegen der Versendung von Einladungs-E-Mails an bisher nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen auf Unterlassung in Anspruch.

Der Kläger sieht in dem Versand von Einladungs-E-Mails an nicht als Nutzer der Plattform Registrierte eine den Empfänger belästigende Werbung der Beklagten im Sinne von § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UWG*. Er macht ferner geltend, die Beklagte enthalte den Nutzern im Rahmen ihres Registrierungsprozesses Informationen hinsichtlich der mit dem Import der E-Mail-Adressdateien verbundenen Datennutzung vor.
Informationen zur Funktionsweise der Anwenderoption "Freunde finden" fänden sich erst in einem Pop-Up-Fenster, zu dem der Nutzer bei der Registrierung nicht zwingend geführt werde. Die Beklagte informiere zudem nicht darüber, dass auch auf Daten von Kontakten des Nutzers zugegriffen werde, die Personen beträfen, die nicht Mitglieder bei Facebook seien. Hiermit verstoße die Beklagte unter anderem gegen §§ 5**, 5a UWG und gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 28 BDSG***.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Kammergericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat angenommen, die an nicht bei "Facebook" registrierte Personen versandten Einladungs-E-Mails stellten keine privaten Mitteilungen, sondern mangels vorheriger Einwilligung der Adressaten unzulässige Werbemaßnahmen der Beklagten dar. Durch die vom Kläger angegriffene Gestaltung der "Freunde finden"-Funktion würden unter anderem die sich registrierenden Nutzer irregeführt und zur Preisgabe ihrer E-Mail-Adressdaten veranlasst.
Die Beklagte nutze zudem die E-Mail-Adressdaten zu Werbezwecken, ohne dass die Nutzer hierin anlässlich der Aktivierung der "Freunde finden" - Funktion wirksam eingewilligt hätten. Mit der insoweit vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

*§ 7 UWG lautet:
(1) Eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht.
(2) Eine unzumutbare Belästigung ist stets anzunehmen 1. […]
3. bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt […]
**§ 5 UWG lautet: (1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben […] enthält: […] *** § 28 BDSG lautet:
(1) […] (3) Die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten für Zwecke des Adresshandels oder der Werbung ist zulässig, soweit der Betroffene eingewilligt hat und im Falle einer nicht schriftlich erteilten Einwilligung die verantwortliche Stelle nach Absatz 3a verfährt. […]
Vorinstanzen: LG Berlin - Urteil vom 6. März 2012 - 16 O 551/10, K&R 2012, 300 KG Berlin - Urteil vom 24. Januar 2014 - 24 U 42/12, K&R 2014, 280