Urteile  Archiv 2009
15 - 17. Dezember 2009

Oberverwaltungsgericht: Erörterungstermin in den immissionsschutzrechtlichen Verfahren um das E.ON Kraftwerk Datteln
Heute hat vor dem 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts ein nichtöffentlicher Erörterungstermin in den beiden anhängigen Verfahren um das E.ON Kraftwerk Datteln stattgefunden. Gegen das Vorhaben klagen der BUND und ein Waltroper Landwirt; Beklagte ist die Bezirksregierung Münster, zum Verfahren beigeladen ist die E.ON Kraftwerke GmbH.
Gegenstand der Verfahren sind der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid und Teilgenehmigungen für das Vorhaben.
Der 8. Senat hatte zu dem Erörterungstermin geladen, um an einem "runden Tisch" den weiteren Zeitplan zu erörtern, nachdem der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts - auf den Normenkontrollantrag des Landwirtes aus Waltrop hin - mit Urteil vom 3. September 2009 den Bebauungsplan Nr. 105 - E.ON Kraftwerk - der Stadt Datteln für unwirksam erklärt hatte (Az.: 10 D 121/07.NE). Dieses Verfahren ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
An dem Erörterungstermin nahmen im Einverständnis mit den Beteiligten neben den Beteiligten und deren Prozessbevollmächtigten zeitweise auch Vertreter des Umweltministeriums NRW, des Wirtschaftsministeriums NRW, der Regionalplanungsbehörde (Regionalverband Ruhr) und der Stadt Datteln teil.

In dem Erörterungstermin wurde der aktuelle Stand der derzeitigen Landes-, Regional- und Bauleitplanung in Bezug auf das geplante Kraftwerk erörtert. Ferner wurde über das weitere Vorgehen in den anhängigen Klageverfahren beraten.
Nach Erörterung mit dem Senat beantragten die Beteiligten übereinstimmend das Ruhen beider Verfahren bis zum Ergehen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Bebauungsplan und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 5. März 2009 zu der Frage, in welchem Umfang Umweltorganisationen klagen dürfen.
Aktenzeichen: 8 D 117/07.AK und 8 D 38/08.AK

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Unzuständige Behörde erläßt mehr als 100.000 Widerspruchsbescheide
Essen. Die Bezirksregierung Münster hat in den letzten beiden Jahren in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts mehr als 100.000 Widerspruchsbescheide erlassen, ohne dafür zuständig zu sein. Das ergibt sich aus einem heute verkündeten Urteil des 10. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW). Die Bezirksregierung Münster sei zum Erlass der zahlreichen Widerspruchsbescheide – allein 75.000 im Jahr 2009 - sachlich nicht zuständig gewesen. Nach Ansicht der Essener Richter mus vielmehr jeweils die Kommune (Kreis oder kreisfreie Stadt) als Ausgangsbehörde auch den Widerspruch erlassen. Seit der Auflösung der staatlichen Versorgungsämter in NRW zum 1.1.2008 und des Übergangs ihrer Aufgaben auf die Kommunen handelten diese im Bereich des Schwerbehindertenrechts als Selbstverwaltungsbehörden.

Im von ihm entschiedenen Fall hielt der Senat trotz des Verfahrensfehlers eine Nachholung des Vorverfahrens nicht für erforderlich. Der beklagte Kreis Bergisch Gladbach sei gleichzeitig Ausgangs- und Widerspruchsbehörde. Ein anderes Ergebnis eines erneuten Widerspruchsverfahrens sei nicht zu erwarten. Eine Pflicht zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens in diesem und den zahlreichen Parallelfällen hätte zudem einen „personellen und finanziellen Super-Gau für die Kommunen“ bedeutet, wie der Vorsitzende Richter in der mündlichen Urteilsbegründung ausführte.

In der Sache blieb die auf Anerkennung des Merkzeichens „G“ - erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr - gerichtete Klage des Klägers aus Odenthal aus medizinischen Gründen erfolglos. Der Senat sprach ihm aber u.A. wegen des rechtswidrigen Widerspruchsbescheids einen teilweisen Anspruch auf Erstattung seiner Anwaltskosten zu.

Wegen der Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig

Sozialgericht Aachen: Augenoptiker zur Auskunft verpflichtet
Am 08.12.2009 hat die 13. Kammer des Sozialgerichts Aachen unter dem Vorsitz von Richter am Sozialgericht Ulrich Irmen in drei mit Spannung erwarteten Urteilen verschiedene Augenoptiker dazu verpflichtet, Auskunft über Leistungs- und Abrechnungsvorgänge für den Zeitraum 2001 bis 2003 zu erteilen. Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, hatte diese Auskünfte verlangt, nachdem sie und andere Krankenkassen Hinweise auf vermeintliche Fehler und Auffälligkeiten bei der Abrechnung von Sehhilfen durch Augenoptiker erhalten hatte. Daraufhin begann sie - federführend auch für andere gesetzliche Krankenkassen - mit der Überprüfung der Abrechnungen aus den Jahren 2001 bis 2003. In den vom Sozialgericht Aachen entschiedenen Fällen ging es um insgesamt ca. 3.400 jeweils namentlich benannte Abrechnungsfälle, bezüglich derer Auskunft verlangt wurde. Die beklagten Augenoptiker vertraten die Auffassung, die Auskunftsbegehren seien rechtswidrig, da es an einer rechtlichen Grundlage fehle. Das Sozialgericht Aachen hat demgegenüber nunmehr festgestellt, dass nach dem Ergebnis der Vorermittlungen, die ein von den Krankenkassen gebildeter Steuerungsausschuss "Abrechnungsmanipulation" durchgeführt hat, jedenfalls der Verdacht besteht, dass es in den Jahren 2001 bis 2003 zu Falschabrechnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen gekommen sein kann. In einem solchen Fall, so die Aachener Richter, sind die Augenoptiker, die nach der gesetzlichen Systematik ihre Leistungen für die gesetzliche Krankenkassen an deren Versicherte erbringen, nach Treu und Glauben verpflichtet, die Krankenkassen in die Lage zu versetzen, diesem Verdacht nachzugehen. Hierfür ist die begehrte Auskunft unerlässlich. Auch die Tatsache, dass es um Abrechnungen geht, die bereits mehrere Jahre zurückliegen, hindert den Auskunftsanspruch nicht. Die Ansprüche sind weder verjährt noch verwirkt.

Gegen die Urteile des Sozialgerichts ist die Berufung zum Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Essen zulässig. Sollten die Entscheidungen rechtskräftig werden, können in einem zweiten Schritt die Abrechnungen überprüft und ggf. überzahlte Rechnungsbeträge bei den Augenoptikern geltend gemacht werden. Neben den nunmehr entschiedenen Aachener Fällen sind allein in Nordrhein-Westfalen noch ca. 200 weitere Fälle mit der gleichen Problematik anhängig (Sozialgericht Aachen, Urteile vom 08.12.2009, S 13 (2) KR 112/07; S 13 (2) KR 114/07; S 13 KR 136/07).

Arbeitsgericht Düsseldorf: Kündigungsschutzverfahren einer Mitarbeiterin der CDU Nordrhein-Westfalen

Vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf hat heute eine Güteverhandlung in einem Kündigungsschutzverfahren einer Mitarbeiterin gegen die CDU Nordrhein-Westfalen stattgefunden. Streitgegenstand sind zwei fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigungen. Die beklagte Partei wirft der Klägerin vor, vertrauliche Informationen ungenehmigt weiter gegeben zu haben. Dies hat die Klägerin zurückgewiesen. Eine gütliche Einigung konnte nicht erzielt werden. Die Verhandlung wird vor der 12. Kammer am 15. März 2009 um 11.00 Uhr in Saal 004 fortgesetzt.
Arbeitsgericht Düsseldorf – 12 Ca 8794/09

Bundesverfassungsgericht: 
Vorratsdatenspeicherung nur in Fällen von schweren Straftaten

Landessozialgericht: Hartz- IV- Empfänger brauchen nicht in Obdachlosenunterkunft zu wohnen

Bundesverfassungsgericht:
Vorratsdatenspeicherung nur in Fällen von schweren Straftaten
15. Dezember 2009 -
Der nordrhein-westfälische Innenminister Dr. Ingo Wolf sieht sich auch nach der heutigen mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes in seiner Kritik zur Vorratsdatenspeicherung bestätigt. "Das Gericht folgt damit  unserer Auffassung, dass die Weitergabe der Daten nur in Fällen von schweren Straftaten erfolgen darf. Darauf haben wir bereits im Bundesrat ausdrücklich hingewiesen", sagte Innenminister Dr. Ingo Wolf heute (15.12.) in Düsseldorf. "Alles andere ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger." 
Nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) dürfen - jeweils für sechs Monate - Telefon- und Internetverbindungsdaten gespeichert werden.  Dies sind bei Telefongesprächen beispielsweise die Rufnummern des Anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie Beginn und Ende des Gesprächs. "Hier wird gespeichert, wer mit wem wann und wie lange telefoniert hat und damit auch zahlreiche Kommunikationsdaten von unbescholtenen Bürgern, ohne dass hierzu ein Anlass besteht", kritisierte Wolf.

Die heutige mündliche Verhandlung machte deutlich, dass nach Auffassung der Karlsruher Richter die Nutzung der gespeicherten Daten nur unter strengen Auflagen zulässig sein soll.  So dürfen gespeicherte Telefon- und Internetverbindungsdaten nur in Fällen schwerster Kriminalität an die Strafverfolgungsbehörden weiter gegeben werden. Dabei muss der entsprechende Verdacht durch Tatsachen belegt sein und die  Ermittlungen anders nicht möglich oder wesentlich erschwert werden. Wolf: "Das ist auch richtig. Denn hier gilt es das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einerseits und das Strafverfolgungsinteresse des Staates andererseits miteinander in Einklang zu bringen und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren."

Ein Hartz- IV- Empfänger braucht nicht in einer Obdachlosenunterkunft zu wohnen
Ein Hartz- IV- Empfänger braucht nicht in einer Obdachlosenunterkunft zu bleiben, sondern ist berechtigt, eine eigene Wohnung anzumieten. Das hat jetzt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) in einem Eilverfahren entschieden. Die Essener Richter gaben damit einem 59- jährigen Mann aus Velbert Recht, dem die zuständige Gemeinde ein Zimmer in einem Übergangsheim in Heiligenhaus zugewiesen hatte.
Der Hartz-IV- Empfänger war von dort ohne Zustimmung der zuständigen Hartz- IV- Behörde in eine von ihm selber angemietete Wohnung nach Velbert gezogen. Die Behörde hatte sich vorab geweigert, die Kosten der neuen Wohnung zu übernehmen; sie hielt sie für überhöht. Nach dem Umzug wollte die Hartz-IV-Behörde dem Kläger wegen ihrer fehlenden Zustimmung weiter nur die Mietkosten für das Zimmer in dem Übergangsheim in Höhe von 184 € erstatten. Dem haben die Essener Richter jetzt widersprochen.
Der Umzug des Klägers sei erforderlich gewesen; die Behörde habe ihn nicht auf die Obdachlosenunterkunft verweisen können. Allerdings sprachen die Essener Richter dem Kläger mit 323 € pro Monat für 16 Monate nur einen Teil der von ihm verlangten monatlichen Miete und Nebenkosten von insgesamt 380 € für die neue Wohnung zu. Nach Einschätzung der Richter lag der Mietpreis der vom Kläger gemieteten Wohnung über der angemessenen Referenzmiete von 5,40 € pro Quadratmeter.
Der Beschluss ist rechtskräftig (Beschluss vom 26.11.2009 –L 19 B 297/09 AS ER; Vorinstanz SG Düsseldorf, Beschluss vom 31.8.2009 – S 5 AS 137/09 ER, SG Düsseldorf)

Landessozialgericht: Hunderte von Widerspruchs­bescheiden im Schwerbehindertenrecht rechtswidrig?
Der 10. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) entscheidet am Mittwoch, 16.12.2009 ab 9:30 Uhr im Saal 2221 in vier Verfahren von Klägern aus NRW über die grundsätzliche Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster als Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts nach dem 9. Buch des Sozialgesetzbuchs. Mit Jahresbeginn 2008 hat NRW die staatlichen Versorgungsämter aufgelöst und ihre Aufgaben auf die Kommunen (Landkreise und kreisfreie Städte) übertragen. Über die Widersprüche gegen die entsprechenden Bescheide der Kommunen – wie die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft – entscheidet seitdem die
Bezirksregierung Münster. Würde der entscheidende Senat indes die zugrunde liegenden gesetzlichen Aufgaben als Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen einordnen, wären diese auch für den Erlass der Widerspruchsbescheide sachlich zuständig. Alle bisher seit 2008 von der Bezirksregierung Münster erlassenen Widerspruchsbescheide wären dann rechtswidrig ergangen. Welche Folgen das für die laufenden Klageverfahren haben kann, bleibt abzuwarten.

Finanzgericht Münster: Solidaritätszuschlag verfassungsgemäß

8. Dezember 2009 - Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hält den Solidaritätszuschlag für das Jahr 2007 für verfassungsgemäß (Urteil vom 8. Dezember 2009, 1 K 4077/08 E).

Der Senat teilt damit nicht die Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts, das dem Bundesverfassungsgericht jüngst die Frage der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlages für das Jahr 2007 vorgelegt hat.
Es sei – so der Senat in seiner mündlichen Urteilsbegründung – höchstrichterlich geklärt, dass eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nicht nur befristet erhoben werden dürfe; die Erhebung des Solidaritätszuschlags sei unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden.

Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Bedarf für die Erhebung des Solidaritätszuschlages im Jahr 2007 gedeckt gewesen sei. Die im sog. Solidarpakt II vorgesehene Absenkung der Ergänzungszuweisungen an die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bestätige, dass die Kosten der deutschen Einheit, die tragendes Motiv des Gesetzgebers zur Einführung des Solidaritätszuschlages gewesen seien, als begrenzt eingeschätzt würden. Ihre Deckung könne, auch wenn der Zeitraum als langfristig zu bezeichnen sei, durch die Erhebung der Ergänzungsabgabe erfolgen.
Der Senat hat die Revision zugelassen.

Sozialgericht: Kindergeld zu Unrecht angerechnet
Lottogewinn ist anrechenbares Einkommen
Der Weg zur Arbeit: Unfälle genießen nur unter engen Voraussetzungen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz

1. Dezember 2009 - Das entschied die 8. Kammer des Sozialgerichts Detmold auf die Klage eines Arbeitslosen­geld-II-Beziehers. Diesem war seitens der beklagten Arbeitsgemeinschaft das Kindergeld als Einkommen auf seinen Leistungsanspruch angerechnet worden.
Wie sich später herausstellte, hatte die Familienkasse für den streitigen Zeitraum jedoch zu Unrecht Kindergeld festgesetzt, da die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorlagen. Sie forderte deshalb die Leistung zurück. Eine solche Rückforderung muss auch die Arbeitsgemeinschaft berücksichtigen – so das Sozialgericht Detmold – wenn sie das Kindergeld vorher als Einkommen angerechnet hat.
Zwar ist grundsätzlich das Kindergeld nach den maßgeblichen Vorschriften als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen und zu berücksichti­gen. Dies gilt jedoch nicht, wenn es von vornherein mit einer Rückzahlungspflicht verbunden ist.

Da in einem solchen Fall die Einkünfte nicht endgültig zur Verwendung zur Verfü­gung stehen und deshalb nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zur Bestreitung des Lebensunterhaltes auch nicht verwendet werden können, stellen sie kein Einkommen dar. Im hier streitigen Zeitraum war das ausgezahlte Kindergeld bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung mit der Rückzahlungsverpflichtung belastet und stand daher dem Leistungs­bezieher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zur Deckung seines Lebensunter­haltes zur Verfügung.
Unerheblich ist, dass die Familienkasse die Rückzahlungsverpflichtung erst durch einen späteren, nach Ablauf der streitigen Bewilligungszeiträume erlassenen Bescheid konkretisiert hat. Soweit sich die Arbeitsgemeinschaft auf den für das Bundessozialhilfegesetz entwickelten Grundsatz „keine Sozialhilfe für die Vergangenheit“ beruft, ist dieser nach Ansicht des Sozialgerichts in diesem Zusammenhang nicht auf das SGB II übertragbar.

Urteil vom 31.03.2009 – S 8 AS 61/08
(nicht rechtskräftig - Aktenzeichen des Landessozialgerichts NRW - L 19 AS 35/09)
§ 11 Absatz 1 SGB II

Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für minderjährige Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird.

Lottogewinn ist anrechenbares Einkommen
Die Arbeitplus hat zu Recht einen Lottogewinn als Einnahme angerechnet und Arbeitslo­sengeld-II-Leistungen entsprechend reduziert. Dies entschied die 13. Kammer des Sozial­gerichts Detmold auf die Klage eines Arbeitslosengeld-II-Empfängers, der die Auffassung vertrat, dieser Lottogewinn dürfe nicht als Einkommen angerechnet werden. Er habe schließlich nur gewinnen können, weil er seit dem Jahr 2001 dieses Los halte. Dement­sprechend habe er seit dieser Zeit mehr investiert, als er letztendlich als Gewinn heraus­bekommen habe. Dieser Argumentation folgte das Gericht nicht. Vielmehr verwies es darauf, dass Glückspielgewinne allgemein als Einkommen qualifiziert werden, wobei Einkommen nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften grundsätzlich alles ist, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen, das, was er vor der Antragstellung bereits hatte. Insbesondere hat die Zahlung der Beiträge für das Los nicht wie z.B. bei dem Verkauf von Wertgegenständen lediglich zu einer Vermögensumschich­tung geführt, indem z.B. Wertgegenstände gegen Bargeld ausgetauscht wurden.
Die vor dem Bewilligungszeitraum von dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger gezahlten Losbeiträge scheiden ohnehin aus, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits begrifflich nicht mehr zu seinem Vermögen gehört haben. Auch hat er durch die Zahlung der Beiträge nicht im unmittelbaren zeitlichen und kausalen Zusammenhang eine andere Vermögensposition erworben. Lediglich die letzte Zahlung war für den jetzigen Gewinn ursächlich. Das Gericht wider­sprach auch der Annahme, dass durch die ständige Teilnahme an der Lotterie seine Gewinnchancen erhöht würden. Auch wenn immer die gleiche Losnummer gespielt werde, sei die Gewinnchance vielmehr immer gleich niedrig. Ein zufälliges Ereignis werde nicht wahrscheinlicher, weil es längere Zeit nicht eingetreten sei – so das Sozialgericht. Selbst für die Zahlung von 15 € in dem Gewinnmonat habe der Kläger nicht unmittelbar eine vermögenswerte Gegenleistung erhalten.
Die Gewinnchance sei so niedrig gewesen, dass von einem Vermögenswert nicht gesprochen werden könne. Die Wahrscheinlichkeit für eine Niete betrage beim Lotto 95,75% bei einer Gesamtausschüttung von 50% der Einnahmen. Entgegen der Ansicht des Klägers waren auch die gezahlten Monatsbeiträge für die Lotterie nicht vom Einkommen abzusetzen. Die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben müssen der Höhe nach bei vernünftiger Wirtschafts­führung anfallen. Diese Voraussetzungen sah das Sozialgericht nicht als gegeben an. Bei vernünftiger Wirtschaftsführung hätte der Leistungsempfänger bei der geringen Gewinn­wahrscheinlichkeit die Lose nicht erwerben dürfen.
Urteil vom 23.10.2009 – S 13 AS 3/09 (nicht rechtskräftig)

Hartz-IV-Bezüge sind zu mindern, wenn Eltern ihren Kindern zur Überbrückung von finanziellen Engpässen Geld zukommen lassen
Das Sozialgericht Detmold wies die Klage eines 37-jährigen Arbeitsuchenden ab, der gegen einen Rückforderungsbescheid der Arge gewandt hatte. Grund für die Rückforde­rung waren mehrere Überweisungen seiner Eltern im Gesamtwert von 630 €, die seinem Konto innerhalb der letzten 6 Monate gutgeschrieben worden waren. Die Arge berechnete erneut den Bedarf des Klägers für die Vergangenheit unter Berücksichtigung der Zahlun­gen der Eltern und forderte den Unterschiedsbetrag gegenüber den bereits gewährten Leistungen zurück.

Der Kläger konnte nicht mit seiner Argumentation gehört werden, bei den Zahlungen habe es sich um kleinere Unterstützungsleistungen gehandelt, die er zurückzuzahlen habe, wenn er wieder Arbeit gefunden hat. Denn - so das Sozialgericht - auch darlehensweise gewährte Mittel stellen eine dem Leistungsempfänger tatsächlich zur Verfügung stehende und damit den Bedarf mindernde Einnahme dar. Insbesondere ist nicht von Bedeutung, ob der Leistungsempfänger mögli­cherweise zur Rückzahlung verpflichtet ist. Zwar kann sich die Rückzahlungsverpflichtung unmittelbar auf die finanzielle Situation eines Hilfebedürfti­gen auswirken, etwa weil er zur unverzüglichen Tilgung des Darlehens durch Raten ver­pflichtet ist. Für eine solche Interpretation sahen die Richter jedoch keinen Anlass. Da der Zeitpunkt der Rückzahlungsverpflichtung unbestimmt und sich auf ein in der Zukunft liegendes Ereignis - nämlich die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit - bezieht, wird durch die Gewährung des Darlehens der aktuelle Vermögensstand des Leistungsempfän­gers vermehrt.
Urteil vom 19.08.2009 – S 18 (23) AS 107/08
(nicht rechtskräftig, Aktenzeichen des Landessozialgerichts NRW - L 20 AS 45/09)

Der Weg zur Arbeit: Unfälle genießen nur unter engen Voraussetzungen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz
Eine 51-jährige Altenpflegerin wollte sich an einem Morgen im Februar 2008 auf den Weg zur Arbeit machen. Vor ihrer Garage, in der sie ihr eigenes Auto geparkt hatte, stand der Pkw ihres Sohnes, der mit ihr in einem Haus lebt. Sie holte sich einen Ersatzschlüssel und parkte den Wagen ihres Sohnes um. Da sie offensichtlich vergessen hatte, bei abschüssi­ger Garagenauffahrt die Handbremse anzuziehen, wurde sie unmittelbar nach dem Verlassen des Fahrzeugs von der noch offenen Fahrzeugtür erfasst, zu Boden geworfen und von dem Vorderrad des Autos im Bereich des linken Knies überrollt. Sie erlitt hierbei eine komplexe Schädigung des Kniegelenks.
Die angegangene Berufsgenossenschaft hatte den Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt und Leistungen der Klägerin verweigert. Zu Recht, meinte das Sozialgericht in seiner Entscheidung vom 22.10.2009. Das Umparken des Fahrzeugs ihres Sohnes steht nämlich nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz, den die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Altenpflegerin genießt. Der Gesetzgeber hat in § 8 Absatz 2 Sozialgesetzbuch, 7. Buch bestimmte typische Vorbereitungshandlungen selbst dem Versicherungsschutz unterstellt, weil insoweit ein über die eigentliche berufliche Tätigkeit hinausreichendes soziales Schutzbedürfnis besteht. Der Weg vom und zum Ort der Tätig­keit ist damit eine klassische Vorbereitungshandlung und als solche vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz erfasst.
Hierzu gehört das Verhalten der Klägerin jedoch nach Auffassung der Kammer nicht. Auch wenn sie das Fahrzeug ihres Sohnes umgesetzt hat, um ihren Arbeitsweg anzutreten, war die Situation für sie nicht unvorhersehbar. Nur wenn sich quasi durch "höhere Gewalt" auf dem Weg zur Arbeit ein Hindernis ereignet, kann der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit angenommen werden. Ein solcher Fall lag jedoch bei der Klägerin nicht vor. Sie hätte ohne Weiteres ihren Sohn dazu anhal­ten können, den Pkw wegzufahren. Selbst wenn er sich nicht im Haus befunden hätte, steht die Einhaltung innerfamiliärer Absprachen nicht in unmittelbarem sachlichen Zusam­menhang mit der im Unfallversicherungsrecht geschützten Tätigkeit.

Urteil vom 22.10.2009 – S 14 U 74/09 (nicht rechtskräftig) § 8 SGB VII

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a) Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder

b) mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
3. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,

4. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,

5. das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten verfassungsgemäß

1. Dezember 2009 - Der 8. Senat des Finanzgerichts Münster hat in einem heute veröffentlichen Urteil vom 29. Oktober 2009 (8 K 1745/07 E) klargestellt, dass aus seiner Sicht keine verfassungsrechtlichen Bedenken an der ab 2005 geltenden Rentenbesteuerung bestehen und zwar auch nicht in Bezug auf die neu geregelte Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten.

Im Streitfall hatte die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen. Das Finanzamt besteuerte diese in der Vergangenheit mit einem Ertragsanteil von 4 %, im Streitjahr 2005 hingegen - wie von der Neuregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG vorgesehen - mit einem Anteil von 50 %. Nach Auffassung der Klägerin verstößt die Erhöhung des steuerpflichtigen Anteils um das 12,5- fache gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Eigentumsgarantie. Zudem - so die Klägerin - liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, da die Erwerbsminderungsrente, die lediglich für einen Zeitraum von zwei Jahren bewilligt werde, nicht mit einer "normalen" Altersrente vergleichbar sei.

Der 8. Senat folgte dem nicht. Der durch das Alterseinkünftegesetz geänderte § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG erfasse - dies bestätige die Gesetzesbegründung - alle Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, d.h. auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinterbliebenenrenten. Für eine Fortgeltung der Begünstigungsregelung des § 55 Abs. 2 EStDV fehle die gesetzliche Grundlage. Das Gericht sah weder verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die seit 2005 geltende Besteuerung der Altersrenten.
Es schloss sich hierzu der Auffassung des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 26. November 2008 X R 15/07) an. Noch erkannte es in der seit 2005 deutlich erhöhten Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten einen Grundrechtsverstoß. Die erhebliche steuerliche Mehrbelastung stelle keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Eigentumsgarantie der Klägerin dar. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei ebenfalls nicht gegeben. Vielmehr sei - so das Gericht - die vom Alterseinkünftegesetz vorgesehene Gleichbehandlung von "regulären" Alterseinkünften und Erwerbsminderungsrenten sogar folgerichtig und geboten.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.

Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts:
Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin nicht verfassungsgemäß

1. Dezember 2009 - Bei der sogenannten Föderalismusreform I im Jahr 2006 wurde die Gesetzgebungskompetenz für das Recht des Ladenschlusses auf die Länder
übertragen. Das Abgeordnetenhaus von Berlin beschloss daraufhin das am 17. November 2006 in Kraft getretene Berliner Ladenöffnungsgesetz (Berl¬LadÖffG). Dieses sieht vor allem schon kraft Gesetzes und ohne die Erfüllung weiterer Voraussetzungen die Freigabe aller vier Adventssonntage in Folge in der Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr für die Ladenöffnung vor. Vier weitere Sonn- und Feiertage jährlich können „im öffentlichen Interesse“ durch Allgemeinverfügung der Senatsverwaltung freigegeben werden. Zusätzlich dürfen an zwei weiteren Sonn- oder Feiertagen Verkaufsstellen aus Anlass „besonderer Ereignisse,
insbesondere von Firmenjubiläen und Straßenfesten“, von 13.00 bis 20.00 Uhr offen gehalten werden. Daneben gibt es eine Reihe von warengruppenspezifischen sowie orts- und anlassbezogenen Ausnahmebestimmungen. Die Ladenöffnung an Werktagen ist vollständig freigegeben (24 Stunden-Öffnungsmöglichkeit).

Inzwischen haben alle Bundesländer bis auf den Freistaat Bayern den Ladenschluss durch Landesgesetz geregelt. Im Grundsatz sehen alle Landesgesetze vor, dass an Sonn- und Feiertagen keine Ladenöffnung erfolgt. Als Ausnahmeregelungen weisen die meisten anderen Bundesländer vier Sonn- und Feiertage zur Freigabe aus, Baden-Württemberg lediglich drei, Brandenburg hingegen sechs. Zumeist ist eine Ladenöffnung an den Adventssonntagen ausgeschlossen oder zumindest nur an einem einzigen Adventssonntag im Jahr gestattet. Neben Berlin sehen nur die Gesetze über den Ladenschluss von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt keinen besonderen Schutz der Adventssonntage vor. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (1 BvR 2857/07) und das Erzbistum Berlin (1 BvR 2858/07) gegen die im Vergleich zur früheren gesetzlichen Regelung und zu den Ladenöffnungsbestimmungen in den anderen Bundesländern weitergehenden Ladenöffnungsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen in Berlin (vgl. auch Pressemitteilung Nr. 48/2009 vom 7. Mai 2009).

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelung zur Ladenöffnungsmöglichkeit an allen vier Adventssonntagen (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 Berl¬LadÖffG) mit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 140 GG und Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) unvereinbar ist. Er hat die verfassungsbeschwerdeführenden Kirchen für beschwerdebefugt erachtet.
Die Frage, ob und inwieweit sich Religionsgemeinschaften im Wege einer
Verfassungsbeschwerde auf die verfassungsrechtliche Sonn- und Feiertagsgarantie des Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) berufen können, war in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher noch nicht geklärt. Diese Garantie ist nicht im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes, sondern in den sogenannten Weimarer Kirchenartikeln verankert, die Bestandteil des Grundgesetzes sind ( Art. 140 GG).

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden für zulässig gehalten, weil die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG jedenfalls in Verbindung mit der objektivrechtlichen Sonn- und Feiertagsgarantie hinreichend dargetan hatten. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ist dann gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene, offene verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die die Annahme eines
verfassungsbeschwerdefähigen Rechts jedenfalls nicht von vornherein ausschließt. Das ist hier hinsichtlich der Frage eines etwaigen Überwirkens der objektivrechtlichen Schutzgarantie des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Sinne einer Konkretisierung und Stärkung des Grundrechtsschutzes der Fall.

Die in der angegriffenen Regelung vorgesehene Möglichkeit der Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen ist mit den Schutzpflichtanforderungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV nicht mehr in Einklang zu bringen. Das gesetzliche Schutzkonzept für die Gewährleistung der Sonn- und
Feiertagsruhe muss diese Tage erkennbar als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben; die Ausnahme davon bedarf eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes. Bloße wirtschaftliche Interessen von Verkaufsstelleninhabern und alltägliche Erwerbsinteressen der Käufer für die Ladenöffnung genügen dafür grundsätzlich nicht. Zudem müssen bei einer flächendeckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen. Vor diesem Hintergrund unterschreitet die voraussetzungslose siebenstündige Öffnung an allen vier Adventssonntagen ohne hinreichend gewichtige Gründe das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß des Sonntagsschutzes.
Die Regelung über die Öffnung aufgrund Allgemeinverfügung an vier weiteren
Sonn- und Feiertagen trägt nur bei einschränkender Auslegung den
Erfordernissen des vom Gesetzgeber zu gewährleistenden Mindestschutzes
Rechnung. Die für verfassungswidrig erklärte Adventssonntagsregelung bleibt noch bis zum 31. Dezember 2009 anwendbar, so dass die Ladenöffnung an den vier Adventssonntagen in diesem Jahr in Berlin noch möglich ist.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wird in seiner Bedeutung als Schutzverpflichtung des Gesetzgebers durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für den Sonn- und Feiertagsschutz aus Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) konkretisiert, der neben seiner weltlich-sozialen Bedeutung in einer religiös-christlichen Tradition wurzelt. Danach ist ein Mindestniveau des Schutzes der Sonntage und der gesetzlich anerkannten hier der kirchlichen Feiertage durch den Gesetzgeber zu gewährleisten.
Das Schutzkonzept, das den Regelungen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen im Land Berlin zu Grunde liegt, wird der Schutzverpflichtung des Landesgesetzgebers aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in seiner Konkretisierung durch Art. 139 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG nicht hinreichend gerecht. Zwar greift das Berliner Ladenöffnungsgesetz weder gezielt in die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer ein, noch liegt in den verschiedenen Bestimmungen und Optionen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen das „funktionale Äquivalent“ eines Eingriffs, weil es sich mit den hier angegriffenen Vorschriften an die
Verkaufsstelleninhaber und nicht an die Religionsgemeinschaften richtet.

Allerdings beschränkt sich die Religionsfreiheit nicht auf die Funktion eines Abwehrrechts, sondern gebietet auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Diese Schutzpflicht trifft den Staat auch gegenüber den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften. Es ist aber grundsätzlich Sache des
Gesetzgebers, ein Schutzkonzept aufzustellen und normativ umzusetzen. Dabei kommt ihm ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

Allein aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG lässt sich keine staatliche Verpflichtung herleiten, die religiös-christlichen Feiertage und den Sonntag unter den Schutz einer näher auszugestaltenden generellen Arbeitsruhe zu stellen und das Verständnis bestimmter Religionsgemeinschaften von nach deren Lehre besonderen Tagen zugrunde zu legen. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfährt aber eine
Konkretisierung durch die Sonn- und Feiertagsgarantie nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV; die Sonn- und Feiertagsgarantie wirkt ihrerseits als in der Verfassung getroffene Wertung auf die Auslegung und Bestimmung des Schutzgehalts von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein und ist deshalb auch bei der Konkretisierung der grundrechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers zu beachten. Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber, der im Sinne der Gewährleistung eines Mindestschutzniveaus dem Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit Gehalt gibt.

Die funktionale Ausrichtung der sogenannten Weimarer Kirchenartikel auf die Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gilt auch für die Gewährleistung der Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung in Art. 139 WRV, obgleich in dieser Norm selbst der religiös-christliche Bezug nicht ausdrücklich erwähnt wird. Denn Art. 139 WRV ist nach seiner Entstehungsgeschichte, seiner systemischen Verankerung in den sogenannten Kirchenartikeln und seinen
Regelungszwecken ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, der mit einer dezidiert sozialen, weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergeht. Die Sonn- und Feiertagsgarantie fördert und schützt daher nicht nur die Ausübung der Religionsfreiheit. Die Gewährleistung der Arbeitsruhe sichert eine wesentliche Grundlage für die Rekreationsmöglichkeiten des Menschen und zugleich für ein soziales Zusammenleben und ist damit auch Garant für die Wahrnehmung von anderen Grundrechten, die der Persönlichkeitsentfaltung dienen. Die Sonn- und Feiertagsgarantie kommt etwa dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) ebenso zugute wie der Erholung und Erhaltung der Gesundheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG). Ihre Bedeutung resultiert wesentlich auch aus dem zeitlichen Gleichklang der Arbeitsruhe. Art. 139 WRV erweist sich so als verfassungsverankertes Grundelement sozialenZ
usammenlebens und staatlicher Ordnung und ist als Konnexgarantie zu verschiedenen Grundrechten zu begreifen.

Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität steht einer Konkretisierung des Schutzgehalts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 139 WRV nicht entgegen. Denn die Verfassung selbst unterstellt den Sonntag und die Feiertage, soweit sie staatlich anerkannt sind, einem besonderen staatlichen Schutzauftrag und nimmt damit eine Wertung vor, die auch in der christlich-abendländischen Tradition wurzelt und kalendarisch an diese anknüpft.

Art. 139 WRV statuiert für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Grundsätzlich hat die typische „werktägliche Geschäftigkeit“ an Sonn- und Feiertagen zu ruhen, wobei der Schutz des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt ist. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung aber auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und
Zerstreuung. Dabei soll die von Art. 139 WRV ebenfalls erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteil werden.
Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erkennbar diese Tage als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben müssen. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Ladenöffnung bedeutet dies, dass die Ausnahme eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes bedarf. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse („Shopping-Interesse“) potenzieller Käufer genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben und dürfen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen.

Dem Regel-Ausnahme-Gebot kommt generell umso mehr Bedeutung zu, je geringer das Gewicht derjenigen Gründe ist, zu denen der Sonn- und Feiertagsschutz ins Verhältnis gesetzt wird und je weitergreifender die Freigabe der Verkaufsstellenöffnung in Bezug auf das betroffene Gebiet sowie die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ausgestaltet ist. Deshalb müssen bei einer flächendeckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen.
Bei der Einordnung und Bewertung der Durchbrechungen der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen kommt der Ladenöffnung großes Gewicht zu. Das Erreichen des Ziels des Sonntagsschutzes - des religiös wie des weltlich motivierten - setzt das Ruhen der typischen werktäglichen Geschäftigkeit voraus. Gerade die Ladenöffnung prägt wegen ihrer öffentlichen Wirkung den Charakter des Tages in besonderer Weise. Von ihr geht eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeits- und Betriebsamkeitswirkung aus, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird. Dadurch werden notwendig auch diejenigen betroffen, die weder arbeiten müssen noch einkaufen wollen, sondern Ruhe und seelische Erhebung suchen, namentlich
auch die Gläubigen christlicher Religionen und die Religionsgemeinschaften selbst, nach deren Verständnis der Tag ein solcher der Ruhe und der Besinnung ist. Dem Bedarfsdeckungs- und Versorgungsargument kommt wegen der fast vollständigen Freigabe der werktäglichen Öffnungszeiten (24-Stunden-Öffnung) in Berlin an Sonn- und Feiertagen nur noch geringe Bedeutung zu.

Die Besonderheit der Berliner Adventssonntagsregelung (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) besteht darin, dass schon kraft Gesetzes ohne irgendeine weitere Voraussetzung vier Sonntage in Folge für die Dauer von jeweils sieben Stunden zur Ladenöffnung freigegeben werden. Diese Vorschrift hält der Anforderung, dass die Sonntagsruhe die Regel ist, nicht stand, weil sie einen in sich geschlossenen Zeitblock von etwa einem Zwölftel des Jahres vollständig vom Grundsatz der Arbeitsruhe ausnimmt. Daran ändert der allgemein gehaltene Hinweis in der
Gesetzesbegründung auf die Metropolfunktion Berlins nichts. Auch darin  spiegeln sich lediglich bloße Umsatz- und Erwerbsinteressen wider. Der Sache nach läuft die Regelung mithin darauf hinaus, den Sonn- und Feiertagsschutz für die Dauer eines Monates für die Verkaufsstellen, die den äußeren Charakter des Tages auch angesichts der Zahl der unmittelbar wie mittelbar Betroffenen und der Öffentlichkeitswirkung maßgeblich prägen, aufzuheben, ohne dass für eine derart intensive Beeinträchtigung eine hinreichend gewichtige Begründung gegeben würde oder sonst erkennbar wäre, die dem verfassungsrechtlichen Rang des Sonntagsschutzes gerecht werden könnte.

Die weitere Regelung, wonach die Senatsverwaltung im öffentlichen Interesse ausnahmsweise die Öffnung von Verkaufsstellen an höchstens vier (weiteren) Sonn- oder Feiertagen durch Allgemeinverfügung zulassen kann (§ 6 Abs. 1 BerlLadÖffG), ist mit dem Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV bei einschränkender Auslegung vereinbar. Hinsichtlich der Zahl von vier Tagen lässt sich gegen die Regelung im
Blick auf die Gesamtzahl von regelhaft 52 Sonntagen im Jahr und von insgesamt neun je nicht zwingend auf einen Sonntag fallenden weiteren Feiertagen nichts erinnern, zumal bestimmte Feiertage von dieser Öffnungsmöglichkeit ausgenommen sind. Da die Freigabe zudem durch Allgemeinverfügung erfolgt, bedarf es einer Verwaltungsentscheidung, die die Möglichkeit eröffnet, die jeweils betroffenen Interessen und Rechtsgüter konkret in eine Abwägung einzubeziehen. Den
verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der allgemein gehaltenen Voraussetzung für die Ausnahmeregelung, dass die Öffnung „im öffentlichen Interesse“ liegt, kann durch eine die Wertung des Art. 139 WRV berücksichtigende Auslegung Rechnung getragen werden. Eine solche Auslegung verlangt ein öffentliches Interesse solchen Gewichts, das die Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt, wobei auch insoweit das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche „Shoppinginteresse“ auf der
Kundenseite nicht genügt. Darüber hinaus bedürfen diese Öffnungsmöglichkeiten durch Allgemeinverfügung bei verfassungskonformer Auslegung einer uhrzeitlichen Eingrenzung, die die Vorschrift selbst nicht ausdrücklich vorsieht.

Die weiteren angegriffenen Bestimmungen, die das Schutzkonzept des Landesgesetzgebers mit Ausnahmen versehen, begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung zur Öffnung der Verkaufsstellen an allen vier Adventssonntagen bleibt trotz der Feststellung der Verfassungswidrigkeit
unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit der Verkaufsstelleninhaber, ihres in die Regelung gesetzten Vertrauens und der von ihnen für die Vorweihnachtszeit des Jahres 2009 getroffenen Dispositionen in diesem Jahr noch anwendbar. Ob und wie der Berliner Landesgesetzgeber seine Schutzkonzeption anpasst, obliegt seiner Gestaltungsmacht nach Maßgabe der Grundsätze dieser Entscheidung.
Die Entscheidung ist zur Beschwerdebefugnis der Religionsgemeinschaften und zur Konkretisierung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV mit 5 : 3 Stimmen, hinsichtlich der Anforderungen des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV einstimmig ergangen.

Abgesagte Heino-Tournee 2007: Versicherung muss nicht zahlen

Köln/Duisburg, 30. November 2009 - Die 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat heute die Klage der Kult Musik GmbH (Hamburg) gegen die in Köln ansässige Gothaer Allgemeine Versicherung AG abgewiesen, mit der Leistungen aus einer Tournee-Ausfallversicherung betreffend die für 2007 geplante Tournee des Sängers Heino verlangt wurden.
Die Klägerin, deren Mitgesellschafter Heino ist, hatte bei der Beklagten und weiteren Versicherungen eine Tournee-Ausfallversicherung mit einer Gesamtversicherungssumme von insgesamt 3.625.000 Euro abgeschlossen, die grundsätzlich auch für den Fall einer Absage wegen einer nach Abschluss des Versicherungsvertrages aufgetretenen Erkrankung des Sängers geleistet werden sollte. Nachdem Heino im September 2007 u.a. an Tinnitus erkrankte und für mehrere Wochen stationär behandelt werden musste, wurde die Tournee abgesagt und die Versicherung auf Zahlung von insgesamt knapp 3,5 Mio. Euro in Anspruch genommen.
Die Beklagte verweigerte die Zahlung und berief sich auf fehlende und falsche Angaben in der vor Vertragsschluss im Juli 2007 abgegebenen Gesundheitserklärung, in der insbesondere "Tinnitus" als Vorerkrankung sowie die Einnahme eines bestimmten Medikaments durch Heino nicht angegeben worden seien. Demgegenüber behauptete die Klägerin, die Beschwerden, die zur Absage der Tournee führten, seien erstmals am 10.9.2007 aufgetreten. Falsche Angaben seinen nicht gemacht worden, denn die unklar und missverständlich formulierten Fragen in der Gesundheitserklärung zielten letztlich nur auf die Veranstaltungsfähigkeit des Sängers ab, die im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung gegeben gewesen sei.
Das Gericht ist nach Durchführung der Beweisaufnahme, in der u.a. Heino und seine Ehefrau sowie (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) seine Hausärztin als Zeugen vernommen worden sind, zu der Überzeugung gelangt, dass Heino bereits seit vielen Jahren an Tinnitus leidet, mithin eine Vorerkrankung bei Abgabe der Gesundheitserklärung verschwiegen worden ist; das Gleiche gelte für die Einnahme eines verschreibungspflichtigen Medikaments. Beides hätte nach dem nicht misszuverstehenden Sinn der entsprechenden Fragen in der Gesundheitserklärung angegeben werden müssen. Danach kann keine Zahlung aus dem Versicherungsvertrag verlangt werden, weil der Versicherungsfall nicht eingetreten ist und der Vertrag zudem seitens der Beklagten wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten wurde. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die unterlegene Partei kann innerhalb eines Monats Berufung zum Oberlandesgericht Köln einlegen. Aktenzeichen des Landgerichts Köln: 20 O 189/08

Verwaltungsgericht: Stadt Duisburg zur Wiedereinführung einer Kindergartenbeitragspflicht für Geschwisterkinder verpflichtet

Düsseldorf/Duisburg, 27. November 2009 - Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf hat heute den Eilantrag der Stadt Duisburg gegen die kommunalaufsichtliche Anordnung der Bezirksregierung Düsseldorf abgelehnt, für Geschwisterkinder für den Besuch von Kindertageseinrichtungen wieder eine Beitragspflicht in Höhe von 25 % des für das 1. Kind zu zahlenden Betrages vorzusehen, wie sie bis zum 31. Juli 2009 galt.
Zur Begründung führte sie unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts in Münster aus: Die kommunalaufsichtliche Anordnung der Bezirksregierung erweise sich bei vorläufiger Prüfung als rechtmäßig. Die Stadt Duisburg verfüge seit Jahren über kein genehmigtes Haushaltssicherungskonzept mehr, sei inzwischen überschuldet und gehöre landesweit zu den Kommunen mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung.
In solch einer prekären finanziellen Situation sei eine Gemeinde nach den haushaltswirtschaftlichen Regelungen der Gemeindeordnung verpflichtet, im vertretbaren Rahmen Einnahmemöglichkeiten wahrzunehmen. Das habe der Rat nicht beachtet, als er eine neue, zum 1. August 2009 in Kraft getretene Beitragssatzung beschlossen habe, die die bis dahin geltende 25 %-ige Beitragspflicht für Geschwisterkinder abschaffte. Deshalb habe die Bezirksregierung im Wege der Kommunalaufsicht einschreiten dürfen.
Da die Regelung auch früher in Duisburg galt und die auf ein Viertel des für das 1. Kind entstehenden Betrages ermäßigten Beiträge sich an den Einkommensverhältnissen der Familie orientierten, sei nicht erkennbar, dass Geschwisterkindbeiträge von 7,50 Euro (in der Einkommensgruppe bis 20.000 Euro) bis 78,75 Euro monatlich (in der Einkommensgruppe über 75.000 Euro) unzumutbar seien. Für Eltern mit einem Jahreseinkommen bis 15.000 Euro sei die Inanspruchnahme eines Kindergartenplatzes auch für Geschwisterkinder weiterhin beitragsfrei.
Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen möglich. Az.: 1 L 1700/09

Dienstag, 17. November 2009

Landessozialgericht: Bei Hartz IV-Empfängern muss auch bei Sanktionen das Existenzminimum gesichert sein
Essen. Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG) ist der Grundsicherungsträger (Arge oder Kommune) grundsätzlich verpflichtet, zeitgleich mit der Entscheidung über den vollständigen Wegfall von laufenden Hartz IV-Leistungen auch darüber zu entscheiden, ob er stattdessen dem Hartz IV-Bezieher Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (z.B. Lebensmittelgutscheine) zur Verfügung stellt. Diese Verpflichtung leitet das LSG insbesondere aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ab.
Geklagt hatte ein unter Betreuung stehender unter 25jähriger Leistungsempfänger aus Mönchengladbach, der ein wenige Monate altes Baby zu versorgen hat. Ihm hatte die Arge mit einem Sanktionsbescheid die Leistungen für drei Monate voll­ständig gestrichen, weil er seinen Mitwirkungsobliegenheiten wiederholt nicht nach­gekommen war. Hiergegen hatte der Leistungsempfänger einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht (SG) beantragt. Das SG hatte dem Leistungs­empfänger Recht gegeben und den Sanktionsbescheid für vorläufig nicht voll­ziehbar erklärt.

Diese Entscheidung hat das LSG bestätigt, weil die Arge nicht zeitgleich mit dem Sanktionsbescheid darüber entschieden hat, ob stattdes­sen Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu gewähren sind. Diese zeit­gleiche Ent­scheidung sei erforderlich, weil das physische Existenz­minimum eines Hartz IV-Empfänger auch bei Sanktionen im Blick zu behalten und der Leistungsfall so unter Kontrolle zu halten sei. Nach den gesetzlichen Vorga­ben kann die Arge unter bestimmten Voraussetzungen bei Sanktionen statt der Geldleistung u.a. Lebensmittelgutscheine gewähren; dies soll sie tun, wenn der Leistungsempfänger mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemein­schaft lebt. Nach der Entscheidung des LSG muss die Arge regelmäßig vor Verhängung einer Sanktion klären, ob die Gewährung z.B. von  Lebensmittelgutscheinen im konkreten Fall erforderlich ist; der Leistungs­empfänger darf nicht darauf verwiesen werden, dies nachträglich beantragen zu können.
Der Beschluss ist rechtskräftig.

Mittwoch, 11. November 2009

Oberverwaltungsgericht: Rauchverbot für Gaststätten gilt auch im Laufbereich von Einkaufszentren
Mit zwei Beschlüssen vom heutigen Tage hat der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes entschieden, dass das gesetzliche Rauchverbot auch für Gaststättenbetriebe gilt, die offen im Laufbereich von Einkaufszentren liegen. In dem einen Fall ging es um eine Café-Bar inmitten der Köln-Arcaden, in dem anderen Fall um ein Eiscafé in einem Einkaufzentrum in Moers. In beiden Einkaufszentren gestattet die Hausordnung des Betreibers das Rauchen im Bereich der Laufflächen.
Zur Begründung führte der Senat u.a. aus: Nach den Vorschriften des nordrhein-westfälischen Nichtraucherschutzgesetzes komme es allein darauf an, dass die Gaststätte in einem allseits von Wänden und Decken umschlossenen Raum liege. Dies sei auch bei Gaststätten im Laufbereich von Einkaufszentren der Fall. Dass die Gaststätte „eigene“ Decken und Wände habe, sei nicht erforderlich. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass das Gesetz für Gaststätten in umschlossenen Räumen ein generelles Rauchverbot vorsehe, während der Betreiber eines Einkaufszentrums kraft seines Hausrechts frei entscheiden könne, ob auf den angrenzenden Laufflächen des Einkaufszentrums geraucht werden dürfe oder nicht. Die strengere Behandlung von Gaststättenbereichen sei deshalb gerechtfertigt, weil dort wegen der Verweildauer und nach dem Verzehr von Speisen sowie dem Genuss anregender Getränke besonderes gern und viel geraucht werde. Den beiden Beschwerdeverfahren waren unterschiedliche Entscheidungen der erstinstanzlich zuständigen Verwaltungsgerichte Köln und Düsseldorf voraus gegangen. Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts sind unanfechtbar. Aktenzeichen: 4 B 512/09, 4 B 657/09

Dienstag, 10. November 2009

Sozialgericht: Anspruch auf Erwerbsminderungsrente:
Wer tatsächlich arbeitet, ist auch arbeitsfähig

Das Sozialgericht Düsseldorf hat entschieden, dass ein schwerbehindeter Kläger aus Krefeld, der nach einem Hirninfarkt 1 1/2 Jahre krank war und anschließend mit einer Wiedereingliederungsmaßnahme ins Erwerbsleben zurückkehrte, einen Rentenan­spruch hat; auch wenn er bis zum Eintritt der auf anderen medizinischen Gründen beruhenden Erwerbsunfähigkeit nach der Wiedereingliederung lediglich ca. 7 Wochen voll gearbeitet hat.
Die Kammer sah die rentenrechtlichen Voraussetzungen, dass der Kläger die letzten fünf Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalls mindestens 3 Jahre Pflichtbeiträge ent­richtet hat, als erfüllt an. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten sei der Leis­tungsfall, also die dauernde Erwerbsunfähigkeit, nicht schon mit dem Hirninfarkt Ende 2004 eingetreten. Der Kläger habe nach Abschluss der Wiedereingliederung von Juni 2006 bis Ende Juli 2006 seine berufliche Tätigkeit von einem speziell aus­gestatteten Heimarbeitsplatz als Vollzeittätigkeit ausgeübt.
Die entgegenstehende Auffassung der Beklagten, dass die Wiedereingliederungsmaßnahme letztlich erfolglos gewesen sei, sei in keiner Weise nachvollziehbar. Allein der Umstand, dass der Kläger vollschichtig gearbeitet habe - und dies nach gutachterlichen Feststellungen ohne Gefährdung der Gesundheit - zeige, dass die zwischenzeitlich durch den Hirninfarkt eingetretene Erwerbsunfähigkeit wieder aufgehoben war. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei davon auszugehen, dass derjenige, der tatsächlich arbeite, auch arbeitsfähig sei.

Der weitere Einwand der Beklagten, dass es sich bei der vom Kläger verrichteten Tä­tigkeit um Arbeit im geschützten Raum handele, sei angesichts des Umstandes, dass die Beklagte sehr wohl Sozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit des Klägers ent­gegen genommen habe und es sich im Übrigen um eine gut dotierte Tätigkeit gehan­delt habe, in keinster Weise nachvollziehbar und stelle eine mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Diskriminierung behinderter Beschäftigter dar.
Urteil vom 07.09.2009 - Az.: S 52 (10) R 191/07 - rechtskräftig

Verwaltungsgericht: Schweineschnitzel darf als „Wiener Schnitzel vom Schwein“ verkauft werden
Ein Fleischhersteller aus Rheda-Wiedenbrück darf eines seiner Produkte weiterhin mit der Bezeichnung „Wiener Schnitzel vom Schwein“ in den Handel bringen. Das entschied das Verwaltungsgericht Arnsberg mit Urteil vom 26. Oktober 2009. Nachdem das Fleischerzeugnis der Unternehmensgruppe über einen großen Lebensmitteldiscounter vertrieben worden war, hatte die Lebensmittelüberwachung des Kreises Soest die Bezeichnung beanstandet und ein Bußgeld festgesetzt.

Zur Begründung hatte der Kreis ausgeführt: Lebensmittel dürften nicht in einer zur Täuschung oder Irreführung des Verbrauchers geeigneten Weise gekennzeichnet werden. Das sei hier jedoch der Fall, da nach allgemeiner Verkehrsanschauung das Charakteristische an einem „Wiener Schnitzel“ sei, dass es aus Kalbfleisch hergestellt worden sei. Die Eignung zur Täuschung bzw. Irreführung werde auch durch den Zusatz „vom Schwein“ nicht beseitigt; vielmehr sei die Verwendung des Begriffs „Wiener Schnitzel“ gerade deshalb erfolgt, um bei dem Verbraucher den Eindruck eines höherwertigen Produkts hervorzurufen.
Das Unternehmen hatte mit seiner hiergegen gerichteten Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg Erfolg. Das Gericht stellte fest, der Kreis Soest habe der Klägerin zu Unrecht einen Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsvorschriften vorgeworfen, weil die Produktbezeichnung weder irreführend noch zur Täuschung der Verbraucher geeignet sei. Zwar könne sich die Beklagte für ihre Sicht der Dinge auf die von der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission beschlossenen sog. Leitsätze berufen, wonach ein „Wiener Schnitzel“ ein solches aus Kalbfleisch sei.
Für das Gericht seien die Leitsätze jedoch nicht bindend. Unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben komme es auch allein darauf an, wie ein „durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher“ die Bezeichnung wahrscheinlich verstehen werde. In Deutschland existiere aber nicht mehr eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass ein als „Wiener Schnitzel“ bezeichnetes Fleischprodukt immer aus Kalbfleisch bestehen müsse. Die Mehrzahl der Verbraucher verstehe unter dem Begriff nicht mehr ausschließlich ein Kalbsschnitzel, sondern panierte Schnitzel schlechthin.
Das belege u.a. die in vielen Gaststätten und Kantinen sowie Rezeptsammlungen zu findende entsprechende Begriffsverwendung (auch wenn daneben noch die Begriffsbezeichnung „Schnitzel Wiener Art“ vorkomme). Im konkreten Fall komme hinzu, dass durch den Zusatz „vom Schwein“ für jedermann sofort und ohne jeden Restzweifel erkennbar sei, dass im konkreten Fall ein Schweineschnitzel und eben gerade kein Kalbsschnitzel angeboten werde; theoretisch denkbare Restzweifel könnten schließlich durch einen zumutbaren Blick in die Zutatenliste endgültig beseitigt werden. Eine Irreführungs- oder Täuschungseignung der von der Klägerin gewählten Bezeichnung scheide danach aus.
Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster gestellt werden.
Aktenzeichen: 3 K 3516/08

Freitag, 6. November 2009

Landessozialgericht:
Partnermonate im Elterngeld sind nicht verfassungswidrig

Essen. Es ist nicht verfassungswidrig, dass zusammenlebende Eltern nur dann für 14 Monate Elterngeld erhalten können, wenn jeder der beiden Eltern­teile mindestens zwei Monate lang Elterngeld bezieht (Partnermonate). Das hat jetzt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) im Fall einer verheirateten Mutter aus Münster entschieden. Sie hatte ihre Benachteiligung gegenüber Alleiner­ziehenden gerügt, weil sie ohne Partnermonate ihres Ehemanns nur 12 Monate Elterngeld, Alleinerziehende dagegen 14 Monate Elterngeld beziehen könne. Die Essener Richter folgten der Argumentation der Klägerin nicht: Das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot habe den Gesetzgeber vielmehr sogar verpflichtet, allein Erziehende nicht schlechter zu behandeln als zusammen lebende Eltern und ihnen deshalb genauso lange Elterngeld zu gewähren wie den Eltern.

Die von der Klägerin gerügte verfassungswidrige Benachteiligung verheirateter Paare gegenüber so genannten „Patchworkfamilien“ ver­mochte das LSG ebenso wenig zu erkennen. Der Gesetzgeber brauche nicht alle denkbaren vielfältigen Fallkonstellationen zu regeln, die der Sammelbegriff „Patchworkfamilie“ bezeichne. Er habe sich vielmehr auf die erkennbar häufigsten und typischen Konstellationen beschränken dürfen. Die Klägerin hatte beanstandet, in Patchworkfamilien könnten Mütter 14 Monate Elterngeld beziehen, obwohl sie mit einem neuem Partner zusammen lebten.
Auch den von der Klägerin behaupte­ten Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie) durch die Partnermonate verneinten die Essener Richter. Der nur durch die Partnermonate mögliche Bezug von Elterngeld für zwei zusätzliche Monate zwinge zusammenlebende Eltern nicht zu einer bestimmten Ausgestaltung des Familienlebens. Die Regelung mache Familien lediglich ein Angebot, das sie annehmen oder ausschlagen könnten. Ein verfassungswidriger Eingriff in die allein von den Eltern zu bestimmende Gestaltung des Familienlebens liege darin nicht.
Nach dem Bundeselterngeldgesetz ‑ § 4 - haben zusammen lebende Eltern insgesamt nur einen Anspruch auf 12 Monate Elterngeld. Zwei weitere Monate können sie nur dann beanspruchen, wenn jeder der beiden Elternteile mindestens zwei Monate lang Elterngeld bezieht und sich bei den Eltern für zwei Elterngeldbezugs­monate Erwerbseinkommen ver­mindert.
Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.
(LSG NRW, Beschluss 12.10.2009 ‑ L 13 EG 27/09; Vorinstanz SG Münster, Urteil vom 20.4.2009 – S 2 EG 28/08).

Dienstag, 3. November 2009

Arbeitsgericht Oberhausen: Fristlose Kündigung wegen Stromdiebstahls - letzter Akt
Aufgrund zahlreicher Nachfragen der letzten beiden Wochen werden abschließend folgende Informationen bekannt gegeben.
Wie in der Mitteilung vom 05.08.2009 veröffentlicht, hat das unter dem Aktenzeichen 4 Ca 1228/09 (vgl. Pressemitteilung vom 31.07.2009) beklagte Unternehmen durch seine Prozessbevollmächtigten die Kündigung zurück genommen.
Daraufhin hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber dem Arbeitsgericht Oberhausen erklärt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei und beantragt, dass das Gericht der Arbeitgeberin die Kosten des Verfahrens auferlegen möge.
Das Gericht hat beide Parteien über die Kostenfolge dieses Antrags belehrt.
Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage insgesamt zurückgenommen und auf eine Kostenentscheidung verzichtet. Nachdem dann auch die Beklagte auf eine Kostenentscheidung verzichtete, ist der Rechtsstreit hier insgesamt beendet und abgeschlossen.

Montag, 2. November 2009

Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Klage der Stadt Oberhausen gegen die Anordnung der Bezirksregierung Düsseldorf, die Kindergartenbeiträge zu erhöhen, erfolglos

Mit soeben verkündetem Urteil vom heutigen Tage hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf die Klage der Stadt Oberhausen gegen die kommunalaufsichtliche Anordnung der Bezirksregierung Düsseldorf, die Kindergartenbeiträge in den höheren Einkommensgruppen um 20% zu erhöhen, abgelehnt. Zur Begründung führte sie aus: Die kommunalaufsichtliche Anordnung der Bezirksregierung sei rechtmäßig.
 Nach Wegfall der Landeszuschüsse im Jahr 2006 sei die Stadt Oberhausen, die schon seit Jahren nicht mehr über einen ausgeglichenen Haushalt verfüge, nach der Gemeindeordnung verpflichtet, die finanzielle Mehrbelastung in zumutbarem Umfang an die Eltern weiterzugeben.
Dem habe sich der Rat der Stadt jedoch verweigert, weshalb die Bezirksregierung im Wege der Kommunalaufsicht habe einschreiten dürfen. Da die nach Einkommensstufen gestaffelten Kindergartenbeiträge seit 1993 unverändert geblieben seien und darüber hinaus die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten verbessert worden sei, seien die vorgenommenen Erhöhungen der Finanzsituation der Stadt Oberhausen angemessen. Gegen das Urteil kann beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden. Aktenzeichen: 1 K 3437/07

Oberverwaltungsgericht NRW:
Internet-Glücksspiel kann in Nordrhein-Westfalen verboten werden

Der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2009 entschieden, dass das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet in Nordrhein-Westfalen verboten werden kann.
Die in Gibraltar ansässige Antragstellerin, nach eigenen Angaben weltweit größter Veranstalter von Sportwetten, bietet neben solchen Wetten weitere Glücksspiele, u. a. Casinospiele, im Internet an. Die Bezirksregierung Düsseldorf (Antragsgegnerin) als insoweit für Nordrhein-Westfalen allein zuständige Behörde untersagte der Antragstellerin, im Internet öffentliches Glücksspiel im Sinne des Glücksspielstaatsvertrags zu veranstalten. Gegen dieses sofort vollziehbare Verbot erhob die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage und beantragte zugleich, die Vollziehung des Verbots vorläufig auszusetzen. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht Düsseldorf nur insoweit statt, als sich das Verbot auf Gebiete außerhalb Nordrhein-Westfalens erstrecke. Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt, über die das Oberverwaltungsgericht nunmehr mit dem eingangs genannten Beschluss zu Lasten der Antragstellerin entschieden hat.

Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei verständiger Würdigung des Verbots werde der Antragstellerin die Veranstaltung öffentlichen Glücksspiels nur insoweit untersagt, als das Angebot in Nordrhein-Westfalen abrufbar sei und damit von Nordrhein-Westfalen aus eine Teilnahme am Glücksspiel ermöglicht werde. Dieses Verbot sei nach dem Glücksspielstaatsvertrag gerechtfertigt; der Glücksspielstaatsvertrag sei seinerseits mit dem Grundgesetz und mit dem Europarecht vereinbar.
Nach dem Glücksspielstaatsvertrag könne die zuständige Behörde u. a. die Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele untersagen. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Die Antragstellerin veranstalte in Nordrhein-Westfalen per Internet Glücksspiele, weil dort die Möglichkeit zur Teilnahme geboten werde. Das Veranstalten von Glücksspielen im Internet sei verboten und damit unerlaubt.

Das im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehene Verbot stelle zwar einen Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit dar. Dieser sei aber gerechtfertigt. Er diene dem legitimen Ziel, die Bevölkerung, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor den Gefahren der Glücksspielsucht und der mit Glücksspielen verbundenen Folge- und Begleitkriminalität zu schützen, und sei verhältnismäßig.
Das Verbot beschränke zwar zugleich auch den europarechtlich geschützten freien Dienstleistungsverkehr. Diese Beschränkung sei aber, wie sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebe, gerechtfertigt, weil sie den zuvor genannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses diene und nicht unverhältnismäßig sei. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar.
Aktenzeichen: 13 B 736/09

Mittwoch, 28. Oktober 2009

Verwaltungsgericht: Leserbriefe eines Lehrers zu Recht missbilligt
Das Verwaltungsgericht Münster hat durch den Beteiligten heute bekannt gegebenes Urteil vom 16. Oktober 2009 die Klage eines Lehrers aus Rheine abgewiesen, der sich gegen die ihm von der Bezirksregierung Münster erteilte Missbilligung wegen verschiedener Äußerungen in Leserbriefen gewandt hatte.
Der Kläger steht als Beamter im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen und ist als Lehrer an einer Schule in Rheine tätig. Er ist in der Stadt kulturell und politisch engagiert. Im Rahmen seines gesellschaftlichen und politischen Engagements hatte er wiederholt Leserbriefe geschrieben, unter anderem zwei Leserbriefe zum Stadtparteitag der CDU in Rheine, die am 22. und 24. November 2007 in der „Münsterländischen Volkszeitung“ veröffentlicht worden waren. Unter dem 21. Mai 2008 hatte die Bezirksregierung Münster dem Kläger wegen verschiedener Äußerungen in diesen Leserbriefen eine Missbilligung erteilt und für den Fall der Wiederholung die Einleitung eines Disziplinarverfahrens angekündigt. Konkret hatte sie die verwendeten und gegen einen örtlichen Parteivorsitzenden gerichteten Ausdrücke „Spaltpilz“, „Volksfront“, „Kraftmeier“, „flegelhaften Anwürfen“, „boshaft ignorant“, „Miesmacherei und Diffamierung“, „perfide Zielorientierung“ und „Vasallen“ beanstandet. Demgegenüber machte der Kläger unter anderem geltend: Die gerügten Äußerungen seien von ihm als Privatperson ohne Bezug zu seiner Stellung als Beamter abgegeben worden. Mit den Leserbriefen habe er lediglich Stellungnahmen zu öffentlichen Äußerungen anderer Personen abgegeben. Dabei seien seine Äußerungen durch die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit geschützt.
Dieser Auffassung folgte das Gericht jedoch nicht. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es unter anderem: Die Bezirksregierung Münster gehe rechtsfehlerfrei davon aus, dass die Leserbriefe des Klägers vom 22. und 24. November 2007 mit seinen Pflichten als Beamter auch in Ansehung der im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit nicht im Einklang stünden. Der Beamte müsse sich bei politischer Betätigung generell so verhalten, dass das Vertrauen der Allgemeinheit auf strikte Sachlichkeit und Objektivität seiner Amtsführung nicht gefährdet werde. Er dürfe sich, wenn kein unmittelbarer Bezug zu dem dienstlichen Aufgabenbereich bestehe, zu jedem Thema äußern. Dabei dürfe er auch deutlich und plakativ vereinfachend argumentieren. Er müsse sich aber mit der gebotenen Sachlichkeit und Distanz in Wort und Schrift äußern. Nur wenn der Beamte einer ihrerseits in Wortwahl und Darstellung überzogenen Äußerung entgegentrete, dürfe er dies in entsprechender Art und Weise ohne die sonst gebotene Zurückhaltung tun. Demgegenüber stellten die von der Bezirksregierung missbilligten Äußerungen des Klägers nicht nur plakative Zuspitzungen von Sachargumenten dar, sondern seien im Wesentlichen auch auf eine Persönlichkeitsherabwürdigung des Betroffenen gerichtet. Das sei für den demokratischen Meinungsbildungsprozess abträglich, weil der Betroffene sich gegen Herabwürdigungen nicht mit Sachargumenten wehren könne und solche Herabwürdigungen darauf gerichtet seien, die eigene Meinung unabhängig von ihrer Überzeugungskraft mit sachfremden Mitteln durchzusetzen. Solche Diskussionsbeiträge, die auch Vorbildwirkung für die Schüler des Klägers entfalteten, ließen - im Widerspruch zu seinem Lehrauftrag - weder Duldsamkeit noch Achtung vor der Überzeugung des Anderen erkennen. Meinungsäußerungen Dritter, die von ihrer zugespitzten Formulierung und der Verwendung abwertender Begriffe her die entsprechenden Äußerungen des Klägers in seinen Leserbriefen rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. (Az.: 4 K 1765/08 - nicht rechtskräftig)

Freitag, 23. Oktober 2009

Verwaltungsgericht: Verbot des Ausschanks von Alkohol bestätigt
Mit Beschluss vom heutigen Tage, der den Verfahrensbeteiligten soeben bekannt gegeben worden ist, hat die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf den Antrag eines Gastwirtes aus Mönchengladbach – Rheydt auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen. Der Antrag wendet sich gegen die sofortige Vollziehung einer Allgemeinverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Mönchengladbach vom 21. Oktober 2009, soweit sie die Veräußerung von Alkohol und alkoholischen Getränken am Samstag, den 24. Oktober 2009 in der Zeit von 9.00 Uhr bis 15.30 Uhr in Teilen der Stadt verbietet und auch den Gastwirt an seinem Standort betrifft. In der schriftlichen Begründung ihrer Entscheidung führt die Kammer im Wesentlichen Folgendes aus: Nach den vorliegenden polizeilichen Erkenntnissen sei ohne das Verbot wegen des geplanten Bundesligafußballspiels zwischen den Mannschaften von Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln mit massiven gewalttätigen Ausschreitungen zu rechnen, zu denen im Internet bereits aufgerufen worden sei. Das Interesse an der Verhinderung derartiger Störungen der öffentlichen Sicherheit wiege höher als das Interesse eines Gastwirtes, anlässlich solcher Veranstaltungen alkoholische Getränke auszuschenken. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen möglich.  Az.: 12 L 1623/09

Dienstag, 13. Oktober 2009

Sozialgericht: Verlust von Arbeitslosengeld II bei großer Erbschaft
Verfügt ein Erblasser zu Gunsten eines „Hartz IV“- Leistungsbeziehers, dass die Erbschaft nur insoweit ausgezahlt wird, als bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen weiterhin bezogen werden können, darf die Grundsicherungsbehörde gleichwohl ihre Leistungen einstellen.
Dies entschied das Sozialgericht Dortmund im Falle eines 52-jährigen Langzeitarbeitslosen aus Dortmund, der von seiner Mutter eine Erbschaft im Wert von rund 240.000,- Euro gemacht hat. In ihrem notariellen Testament hatte die Mutter verfügt, ihr Bruder habe als Testamentsvollstrecker und Nacherbe dafür Sorge zu tragen, dass der Nachlass möglichst erhalten bleibe und ihr Sohn als Vorerbe in den Genuss der Früchte des Nachlasses komme, ohne dass ihm öffentliche Zuwendungen verloren gingen. Geldbeträge u.a. für Geschenke zu Feiertagen, Urlaube, Kleidung, die Befriedigung geistiger und künstlerischer Bedürfnisse, Hobbys, Mitgliedschaften in Vereinen und für gesundheitliche Belange könnten ausgezahlt werden, soweit dies nicht zur Anrechnung auf Zuwendungsansprüche nach dem Sozialgesetzbuch führe.
Das JobCenter/Arbeitsgemeinschaft Dortmund stellte daraufhin die Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II) ein. Das Sozialgericht Dortmund lehnte es ab, die Behörde im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Weiterzahlung von Alg II zu verpflichten. Der Antragsteller könne kurzfristig seinen Lebensunterhalt durch die Verwertung von in seinem Besitz befindlichen Aktien sicherstellen. Zur Beendigung seiner Hilfebedürftigkeit sei er gehalten, das sittenwidrige Testament anzufechten. Die Testierfreiheit könne nicht so weit gehen, dass dem Erben sämtliche Annehmlichkeiten wie Hobbys und Reisen aus dem Nachlass finanziert würden, während für den Lebensunterhalt der Steuerzahler aufkommen solle. Anders als in Fällen des sog. Behindertentestamentes benötige der gesunde und erwerbsfähige Antragsteller nicht die Fürsorge seiner Mutter, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 25.09.2009, Az.: S 29 AS 309/09 ER

Landessozialgericht: Streit über Verkehrverstoß auf dem Arbeitsweg nicht versichert
Wer als Radfahrer auf dem Heimweg von der Arbeit einem Autofahrer den Weg versperrt, um ihn wegen eines vermeintlichen Verkehrsverstoßes zur Rede zu stellen, verliert den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das hat jetzt das Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) im Fall eines 56-jährigen Radlers aus Köln entschieden und damit eine anderslautende Entscheidung des Sozialgerichts Köln aufgehoben.
Der Kläger wurde auf dem Nachhauseweg in der Kölner Innenstadt von einem türkischen Pkw-Fahrer in einer Tempo-30-Zone nach seiner Ansicht mehrfach geschnitten. Er stellte sich daraufhin vor einer Ampel dem Pkw in den Weg und hinderte ihn an der Weiterfahrt, um den Fahrer zur Rede zu stellen. Als Fahrer und Beifahrer ausstiegen, setzte sich der PKW - offenbar versehentlich - in Bewegung und brach dem Kläger das Waden- und Schienbein. Er musste stationär im Krankenhaus behandelt werden.
Nach Ansicht der Essener Richter umfasst der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung für Wegeunfälle das Verhalten des Klägers nicht. Er habe damit vielmehr seinen versicherten Heimweg von der Arbeit mehr als nur geringfügig unterbrochen und eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. 09. 2009 ‑ S 5 U 298/08; Vorinstanz Sozial­gericht Köln, Urteil vom 24.10.2008 ‑ L 18 U 9/ 08).

Donnerstag, 24. September 2009

Oberverwaltungsgericht NRW: E.ON darf 4. und 5. Teilgenehmigung für Steinkohlekraftwerk Datteln zur Zeit nicht weiter ausnutzen
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat heute in drei Eilverfahren beschlossen, dass die gegen die 4. und 5. Teilgenehmigung gerichteten Klagen des BUND bzw. eines Waltroper Landwirtes aufschiebende Wirkung haben, nicht jedoch die gegen die 3. Teilgenehmigung gerichtete Klage. Damit können die mit der 4. und 5. Teilgenehmigung genehmigten Anlagen(teile) zur Zeit nicht weiter errichtet werden. Für die Entscheidungen kam es nicht auf die Frage an, ob die Teilgenehmigungen rechtmäßig oder rechtswidrig sind; denn die aufschiebende Wirkung einer Klage tritt kraft Gesetzes ein, wenn die angefochtene Genehmigung nicht sofort vollziehbar ist.
Nachdem der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts mit Urteil vom 3. September 2009 den Bebauungsplan Nr. 105 - E.ON Kraftwerk - der Stadt Datteln auf Antrag eines Waltroper Landwirtes für unwirksam erklärt hat (Az.: 10 D 121/07.NE), haben der Landwirt und der BUND am 11. und 14. September 2009 ihre im 8. Senat anhängigen immissionsschutzrechtlichen Klagen gegen den Vorbescheid und die 1. Teilgenehmigung auch auf die 3. bis 5. Teilgenehmigung erstreckt. Die Genehmigungsbehörde (Bezirksregierung Münster) hat daraufhin E.ON mitgeteilt, dass für die 5. Teilgenehmigung von einer aufschiebenden Wirkung der Klagen auszugehen sei, so dass diese Genehmigung ab sofort nicht weiter ausgenutzt werden könne. Demgegenüber sei hinsichtlich der 3. und 4. Teilgenehmigung das Klagerecht wegen Zeitablaufs verwirkt. E.ON und der BUND haben jeweils gegen diese Feststellungen der Genehmigungsbehörde Eilanträge gestellt.

Der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat heute - auf die Eilanträge von E.ON hin - festgestellt, dass den beiden Klagen gegen die 5. Teilgenehmigung, die vom 17. Oktober 2008 datiert und verschiedene größere Errichtungsmaßnahmen (u.a. Kesselhaus und Rauchgasleitung, Kohle-, Ammoniak- und Grobaschelager, Heizöltank) zum Gegenstand hat, nicht offensichtlich unzulässig sind, so dass ihnen aufschiebende Wirkung zukommt.
Auf den Eilantrag des BUND hin hat der 8. Senat festgestellt, dass dessen Klage gegen die 3. Teilgenehmigung vom 12. Dezember 2007 wegen Nichteinhaltung der Jahresfrist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 Umweltrechtsbehelfsgesetz verspätet erhoben und damit offensichtlich unzulässig ist. Zur Begründung hat der Senat darauf hingewiesen, dass der BUND in einem weiteren beim Oberverwaltungsgericht anhängigen Rechtsstreit (Klage gegen den wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss) bereits Anfang des Jahres 2008 von dem Erlass der 3. Teilgenehmigung Kenntnis erlangt habe. Die 3. Teilgenehmigung umfasst die Errichtung u.a. der Dampfkesselanlage mit zugehörigen Einrichtungen, die Rauchgasentschwefelung mit Kalksteinmehlsilo und das Schaltanlagengebäude.
Demgegenüber hält der Senat die Klage des BUND gegen die 4. Teilgenehmigung, die E.ON am 21. Juli 2008 erteilt worden ist und u.a. den Gleisanschluss für die Ammoniak- und die Brennstoffanlieferung einschließlich Werksbahnhof sowie brandschutztechnische Einrichtungen umfasst, nicht für offensichtlich unzulässig. Es bestehen nach Ansicht des Senats keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der BUND in der Zeit vor dem 14. September 2008 von der 4. Teilgenehmigung Kenntnis hätte erlangen können, mit der Folge, dass ansonsten die einjährige Klagefrist abgelaufen gewesen wäre. Der mit der 4. Teilgenehmigung genehmigte Bau des Gleisanschlusses wurde erst kürzlich - am 8. September 2009 - begonnen; die früheren Arbeiten zur Realisierung der 4. Teilgenehmigung betrafen Änderungen an vorhandenen Anlagen und waren schon deshalb auf der unübersichtlichen Großbaustelle nicht im Einzelnen wahrnehmbar. Erst recht konnten sie nicht einer bestimmten Teilgenehmigung zugeordnet werden.
Für alle drei Teilgenehmigungen gilt nicht eine einmonatige Klagefrist, weil die Genehmigungen den Betroffenen nicht individuell oder öffentlich bekannt gegeben worden sind. Eine derartige Bekanntgabe war von E.ON nicht beantragt worden.
Das Oberverwaltungsgericht hat aus Gründen der Dringlichkeit den Beteiligten vorab (nur) das Ergebnis bekannt gegeben (sog. Tenorbeschlüsse). Die nähere Begründung der Entscheidungen wird in der nächsten Woche erfolgen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar. Aktenzeichen: 8 B 1342/09. AK, 8 B 1343/09.AK, 8 B 1344/09.AK

Mittwoch, 23. September 2009

Landessozialgericht NRW zu Ausschreibung von Rabattverträgen für wirkstoffgleiche Medikamente
Krankenkassen dürfen bei der Ausschreibung von Rabattverträgen für wirkstoffgleiche Medikamente den Zuschlag an drei pharmazeutische Unternehmen gleichzeitig erteilen; dies verstößt nicht gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot oder das Diskriminierungsverbot. Das hat jetzt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) als erstes Landessozialgericht in Deutschland entschieden. Die Essener Richter hielten es für zulässig, dass in bestimmten Fällen erst der Apotheker auswählt, welches der mehreren vom Rabattvertrag umfassten Arzneimittel er - nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften und der bestehenden vertraglichen Vereinbarungen – an den Versicherten abgibt. Apotheker seien verantwortliche Teilnehmer an der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.
Das LSG NRW hob damit eine entgegenstehende Entscheidung der Vergabekammer des Bundes auf; sie hatte eine Beschränkung auf nur ein Unternehmen je Vergabelos gefordert. Die Ausschreibung betraf 18 verschiedene Wirkstoffe und war mit einem prognostizierten Umsatzvolumen von 164 Millionen Euro jährlich verbunden. Die Entscheidung ist rechtskräftig (Beschluss vom 3.9.2009 -L 21 KR 51/09 SFB).

Freitag, 18. September 2009

Landesarbeitsgericht: Verzehr von Brotaufstrich - fristlose Kündigung unwirksam!
Das Landesarbeitsgericht hat am 18.09.2009 das Berufungsverfahren 13 Sa 640/09 – Vorinstanz Arbeitsgericht Dortmund – 2 Ca 4882/08 – entschieden.
In dem Verfahren stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die das beklagte Bäckereiunternehmen ausgesprochen hat, weil der Kläger ein zuvor von ihm gekauftes Brötchen, das er mit Brotaufstrich belegt hat, verzehrte.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und somit das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund bestätigt. Nach Auffassung der Berufungskammer kann grundsätzlich auch der Diebstahl von geringwertigen Gegenständen, die dem Arbeitgeber gehören, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Es ist jedoch eine umfassende Abwägung der Interessen der Parteien notwendig, die hier zugunsten des Klägers ausging. Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger als Betriebsratsmitglied nur außerordentlich kündbar war und daher im Rahmen der Interessenabwägung zu überprüfen ist, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten ist. Das ist hier zu bejahen, da es anders als der Arbeitgeber bei der Kündigung noch glaubte, nur um den Verzehr des Brotaufstrichs ging, dessen Wert unter 10 Cent anzusiedeln ist. Daher kam es auch nicht mehr darauf an, ob der Einwand des Klägers, er habe nur probiert, zutreffend ist oder nicht. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.

Dienstag, 15. September 2009

Sozialgericht: Vertrauensschutz für Hartz IV-Empfänger bei Überzahlungen
Ist für Bezieher von Arbeitslosengeld II anhand der Bewilligungsbescheide nicht ohne weiteres erkennbar, dass die Grundsicherungsbehörde Einkommen unzureichend angerechnet hat, darf die Behörde Überzahlungen für zurückliegende Zeiträume nicht zurückverlangen. Dies entschied das Sozialgericht Dortmund im Falle einer dreiköpfigen Familie aus Hemer, von der die Arbeitsgemeinschaft Märkischer Kreis (ARGE) die Erstattung von 2314,- Euro an Leistungen nach dem SGB II verlangte. Die ARGE hatte über einen Zeitraum von zwei Jahren mehrere Neuberechnungsbescheide erlassen, weil die Eheleute über wechselnde Beschäftigungen und Einkommen verfügten. In diesem Zusammenhang vergaß der Sachbearbeiter, das Kindergeld für die Tochter auf deren Leistungsanspruch durchgehend anzurechnen.
Auf die Klage der Familie hat das Sozialgericht Dortmund die Erstattungsbescheide der ARGE aufgehoben. Zwar sei das Kindergeld als Einkommen auf den Leistungsanspruch der Tochter anzurechnen. Der Rücknahme der Bewilligungsbescheide stehe jedoch ein Vertrauensschutz der Kläger entgegen. Diese hätten die Leistungen für den Lebensunterhalt der Familie verbraucht.
Die Eltern hätten die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt, so dass ihre Unkenntnis von der Überzahlung nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhe. Sie hätten davon ausgehen dürfen, dass die Behörde ihre Angaben zum Kindergeld vollständig berücksichtige. Wegen der komplizierten Gestaltung der Bewilligungsbescheide und der schwankenden Leistungshöhe auf Grund der Anrechnung wechselnder Erwerbseinkommen sei die fehlerhafte Berechnung der Leistungen für einen juristischen Laien nicht augenfällig gewesen. Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 22.07.2009, Az.: S 28 AS 228/08

Dienstag, 31. März 2009

Arbeitsgericht Wuppertal: Kündigung wegen des Vorwurfs des Diebstahls eines Pakets Binden
Das Wuppertaler Arbeitsgericht hat mit Urteil vom heutigen Tage die fristlose Kündigung einer Verkäuferin eines Dicounters wegen des Vorwurfs des Diebstahls eines Paketes Binden im Wert von 0,59 € für rechtsunwirksam erklärt.
Die seit 2001 beschäftigte Klägerin benötigte nach Geschäftsschluss an einem Samstag noch ein Paket Binden. In Absprache mit einer Kollegin nahm sie ein Paket Binden mit und hinterlegte den Geldbetrag von 0,59 EURO auf einem Tisch im Aufenthaltsraum. Als am darauf folgenden Montag die Bezirksleiterin die Filiale besuchte und fragte nach, wem das Geld auf dem Tisch gehöre, erklärte die Klägerin, dass dies ihr Geld sei und steckte es ein. Eine Bezahlung der Binden erfolgte nicht mehr.
Nach Auffassung der Kammer konnte der Klägerin nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, dass sie zum Zeitpunkt des Einsteckens des Geldbetrages die Arbeitgeberin schädigen und sich selbst bereichern wollte. Gegen das Urteil kann die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf einlegen. Az.: 4 Ca 3853/08