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Plaggenhütten in der Bönninghardt
Wilhelm Brinkhoff, der „Schinderhannes vom Niederrhein“
Stephan Sadowski  

Duisburg, 4. Mai 2025 - Die Geschichte der Plaggenhütten in der Bönninghardt geht auf die Migration protestantischer Siedler aus der Pfalz zurück. Da diese Pfälzer in ihrer Heimat zwischen Simmern und Bad Kreuznach religiöser Verfolgung ausgesetzt waren oder ihre Lebensgrundlage aufgrund vieler Missernten verloren, beschlossen sie Mitte des 18. Jahrhundert nach Amerika auszuwandern. Entlang des Niederrheins sollte die Reise über Amsterdam in die Neue Welt führen – allerdings fand dieses abenteuerliche Unterfangen ein jähes Ende bei Schenkenschanz unweit von Kleve, denn da tobte bereits der Krieg zwischen den Niederlanden und England. Geldnot machte sich breit unter den Pfälzern, viele gründeten die bis heute existenten protestantischen Enklaven am tiefkatholischen Niederrhein, nämlich Pfalzdorf, Louisendorf und Neu-Louisendorf bei Goch. Andere verschlug es zurück auf die Bönninghardt, eine Landschaft, die durch den Ausläufer einer Endmoräne in der Eiszeit entstanden ist und an höchsten Punkten etwa 45 Meter über dem Meeresspiegel ragt. Mitte des 18. Jahrhunderts war dieser Höhenzug noch nicht besiedelt, nur umliegende Bauern aus Alpen nutzten das Terrain als Viehweide.  

Doch auch hier waren die Lebensbedingungen ungünstig, in einer trostlosen Heidelandschaft fanden die neuen Siedler unfruchtbare Sandböden vor, die erstmal über einen längeren Zeitraum hätten für den Ackerbau urbar gemacht werden müssen. Die inzwischen gänzlich mittellosen Menschen brauchten Behausungen, so beschlossen sie diese um 1770 aus einfachsten Materialien, die die Bönninghardter Heide lieferte, zu bauen: es entstanden die ersten Plaggenhütten. Anhand von frühen Fotos und überlieferten Aufzeichnungen des um 19. Jahrhundert wirkenden Pastors Johannes Sanders hatte die 'Interessengemeinschaft für Geschichte und Natur' erstmalig 2002 eine Plaggenhütte mit zugehörigem Ziegenstall originalgetreu aufgebaut. Federführend war dabei der ehemalige Schulleiter Johannes „Chang“ Schmitz.  

Wir treffen den umtriebigen Hobby-Historiker und den Ortsvorsteher der Gemeinde, Herbert Oymann, noch in der gut klimatisierten Wohnküche seines Hauses bei Kaffee und selbstgemachten Muffins.
„Gleich werden Sie andere Räumlichkeiten vorfinden, da wird es feuchter und zugiger sein“, flachst der 75-jährige Lokalpolitiker. Denn im Anschluss an den Kaffee werden wir zu den spartanischen Behausungen marschieren. Dass es dort „zieht“, ist nicht verwunderlich, denn die Plaggenhütte und der Stall sind aus Baumstämmen für das Grundgerüst, Plaggen (ausgestochene Grasnarben), die als Ziegel für die Außenwände verwendet werden, Reisig und Ginster für die Dachabdeckungen, gebaut. Und außerdem sind die Außenwände noch nicht geschlossen zu dem Zeitpunkt: es sieht so aus, als ob die Hütte überdimensional große Fenster hätte.  

Ein umtriebiger Tausendsassa, der fest im Gemeindeleben verankert ist: Johannes „Chang“ Schmitz!  
Er gilt als unermüdlich, auch mit seinen 91 Jahren. „Chang“ Schmitz' sämtliche Machenschaften hier aufzulisten ist nahezu unmöglich. Als „Zugezogener“ war er lange Dorfschullehrer in Veen und der Bönninghardt, sorgte in den 1970er-erJahren mit seiner Reformpädagogik für neue Ideen im Schulsystem, seine „Freiarbeit“ im Unterricht galt als wegweisend. Er ist der Urvater der Bönninghardter Jugend (JuBo) und setzte sich mit großem Engagement für den Bau des am Niederrhein bekannten Waldspielplatzes ein, der am 2. Juni 1973 feierlich eröffnet wurde. Schmitz leitete lange die Geschicke der 'Interessengemeinschaft für Geschichte und Natur', auf deren Betreiben auch die Plaggenhütten gebaut wurden. Er ist in der katholischen Gemeinde St. Vinzenz engagiert und stand dem Pfarrgemeinderat dort voran. Sein Hobby sind das Singen und Gitarrenspiel, er ist immer noch im Kirchenchor aktiv und gehört der Künstlergemeinschaft Alpen an. 2000 bekam er das Bundesverdienstkreuz und 2009 wurde er mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet.  


Warum aber machen sich die beiden die Mühe mit der aufwendigen Rekonstruktion der alten Hütte?
„Wat für de Kölner ihr Dom is, is für de Bönninghardter ihre Plaggenhütt'“, sagt Johannes Schmitz mit Kölschem Zungenschlag.
Der 91-Jährige setzt sich sehr für das lokale Brauchtum ein und hat ein reges Interesse an der Geschichte der Gemeinde. Das kommt nicht von ungefähr: „Chang“ Schmitz durchlief Mitte der 1950er-Jahre das Studium zum Lehrer an der Pädagogischen Akademie in Köln und arbeitete lange an den Dorfschulen in Veen und Bönninghardt. Er war in den 70er-Jahren bekannt für seine offene Unterrichtsgestaltung, die sich an dem Gedankengut der Reformpädagogik des 18. Jahrhunderts orientierte.

„Ich wollte immer Kinder für Geschichte begeistern“, sagt er. Teils unterrichtete er Schüler vom 1. Jahrgang bis zum 8. Jahrgang gemeinsam in einem Schulraum. Vielleicht ist auch eine Antriebsfeder für sein lokalhistorisches Engagement, dass sich „Chang“ Schmitz anfangs selbst irgendwie als „Migrant“, ja fast wie ein damals zugewanderter Pfälzer, im Dorfe fühlte, denn er stammt gebürtig aus der Gemeinde Asbach im Westerwald. Jedenfalls war es mehr Fügung, dass er in der Bönninghardt landete. „Einer von drei frisch ausgebildeten Lehrern aus dem Kölner Seminar musste damals an den Niederrhein wegen Lehrermangels“, sagt das Urgestein verschmitzt. „Er iss en tu trockene (ein Zugezogener)“, scherzt Herbert Oymann in niederrheinischem Platt über ihn, und wir lachen.  

Doch zurück zur Lokalgeschichte: „Die Hütten sind eben unser Aushängeschild, stammen aus der Zeit, in der unsere ersten Siedller unter widrigsten Bedingungen hier hausten“, erklärt uns Herbert Oymann. „Die meisten Pfälzer verdingten sich damals als Besenbinder und hausierten mit ihren auf Schubkarren gehäuften, gebundenen Besen von Haus zu Haus. Sie galten für die ansässige Bevölkerung in Alpen und Issum oft als unangenehme Gesellen.“ Auch weil sie der Erzählung nach abends gequält vom Hunger bei den anrainenden Dorfbewohnern Alpens um deren Essensreste bettelten. In Straßennamen wie „Besenbinderweg“ wird in der Gemeinde noch heute an sie erinnert.    

Zweimal haben Johannes Schmitz und seine Mitstreiter die Plaggenhütten schon aufgebaut, einmal seien sie bei einem Brand zerstört worden, ein anderes Mal unterlagen sie dem widrigen Wetter vom Niederrhein.
„Die Dachkonstruktion aus Ginster und Reisig war am Ende total durchlässig und es regnete herein, so dass auch die gesamte Statik dahin war“, berichtet uns Ortsvorsteher Oymann. Anfang 2024 hat Johannes „Chang“ Schmitz mit dem neu gegründeten 'Bönninghardter Förderverein für Naturschutz und Brauchtum' den dritten Versuch begonnen - und jetzt soll es perfekt werden. Vormalige Fehler beim Aufbau sollen dieses Mal ausgeräumt werden.

Gut vernetzt in Wirtschaft und Politik – Herbert Oymann!  
Als gelernter Industriekaufmann war er mehr als 30 Jahre als Personalleiter für zwei Unternehmen in der Alpener Umgebung tätig. 25 Jahre war er Mitglied im IHK-Prüfungsausschuss für „Industriekaufleute“. Von 1999 bis 2020 engagierte sich Oymann in der Alpener CDU- Ratsfraktion, ab 2018 ist er Ortsvorsteher von Bönninghardt, somit ist er bestens vernetzt im Dorf. Sein Credo: Ein „schönes Dorf mit Zukunft“ braucht engagierte und zupackende Menschen, die mit umsetzbaren Ideen und Enthusiasmus an der Gestaltung des Dorfes und seiner Gemeinschaft mitarbeiten.  


„Wir haben die Eckpfeiler in Schotter eingelassen, so dass sie fest verankert im Erdreich sind, nicht wegfaulen und nicht weggeschwemmt werden können. Außerdem haben wir eine Teichfolie im Dach verbaut, um die Dichtigkeit zu gewährleisten“, gesteht Herbert Oymann. Das sind Baumaterialien, die die ersten Siedler natürlich noch nicht zur Hand hatten.  

Es gibt Schwarz-Weiß-Fotos von 1896, die mit einer Plattenkamera aufgenommen wurden. Die hat Johannes Schmitz genauer unter die Lupe genommen, um eine erste Bauskizze fertigen zu können. Der ehemalige Lehrer zeigt uns die Bilder auf der Webseite des Vereins am Laptop.

„Auf den alten Fotos ist die sogenannte Focken-Agnes, eine kleine alte Frau, vor einer der letzten Hütten abgebildet“, weiß „Chang“ Schmitz. „Ich habe die Höhe der Hütte in Abhängigkeit der Größe der Frau dann für die Bauskizze abgeleitet.“ 
Somit haben die beiden Behausungen ihren höchsten Punkt zwischen 2,40 Meter und 2,60 Meter. Die Wohnfläche einer Hütte liegt bei etwa 15 Quadratmetern. Dabei sind kleinere Baumstämme mit einem maximalen Durchmesser von 15 Zentimetern verbaut worden, um die Statik herzustellen.

„Es eignen sich besonders Tannen, Douglasien und Kastanien für die Dachträger und Planken, da waren natürlich einige Genehmigungen für das Fällen der Bäume durch das Forstamt notwendig“, berichtet Oymann. Und mit „de platte Schüpp“, einem Spaten, habe man die Plaggen, also die 60 mal 40 Quadratzentimeter großen Grasnarben, in einer großen Gemeinschaftsaktion aus dem Boden gestochen – neuerdings häufig aus einem Feld unweit des Veener Friedhofs. „Dort ist der Lehmanteil besonders hoch und somit ist eine hohe Stabilität beim Verbauen der Grasziegel garantiert“, konstatiert Oymann. Auch für das Schneiden des Ginsters mussten sie Erlaubnis einholen. „Wir haben dann mit einer selbst erfundenen Ginsterpuppenbindemaschine mit vielen Helfern das Füllmaterial für die Dächer gefertigt“, so Oymann. Bis zu 30 Ehrenamtler aus allen Gewerken haben mit ihren Traktoren, Maschinen und Muskelkraft das Bauvorhaben unterstützt.  

„Diese Aktion wird von allen Einwohnern mitgetragen und fördert die dörfliche Gemeinschaft“, weiß Oymann. „Eine junge Frau hat sogar mit ihrem Kind in der Hütte im letzten Sommer übernachtet – dafür haben wir beide unseren Gästen am nächsten Morgen  Frühstück an die Feuerstelle gebracht“, sagt Herbert Oymann, der in Wurfweite zu den Hütten wohnt. Um die Plaggenhütten quasi als Freilichtmuseum originalgetreu erscheinen zu lassen, suchen die beiden noch Werkzeuge aus der alten Zeit. Eine alte Egge, eine rostige Schleifmaschine, und ein kupferner Topf über der Feuerstelle befinden sich bereits neben der archaischen Behausung und vermitteln einen ersten Eindruck über die harten Arbeits- und Lebensbedingungen der ersten Pfälzer Siedler...  


Zeittafel der Plaggenhütte auf der Hei  
2002           Bau der ersten Plaggenhütte mit Stall durch die damalige 'Interessengemeinschaft für Geschichte und Natur'
2005           Zerstörung durch Brand, Wiederaufbau
2010           Abriss nach totaler Verwitterung 
2011           An anderer Stelle auf dem Grundstück der katholischen Kirche St. Vinzenz Neubau der zweiten Plaggenhütte nun durch
                  den 'Bönninghardter Förderverein für Naturschutz und Brauchtum' 
2018           Teilabriss mit Einbau neuer Grasplaggen und Dachreparaturen 
2024/2025  Neubau der Plaggenhütte und Stallung, einschl. Dacherneurung mit verbessertem Witterungsschutz    


Der Räuber Wilhelm Brinkhoff  
Er gilt als „Schinderhannes vom Niederrhein“ und so manche Legende befasst sich mit ihm. 1839 in Alpen geboren als Sohn des Tagelöhners Jakob Brinkhoff begann er mit 15 Jahren eine Tischlerlehre, bei der er seinem Lehrherrn die Einnahmen aus der Kasse stahl. Er wurde zum Kleinkriminellen am Niederrhein. Brinkhoff entwickelte sich zur Neuauflage eines „Robin Hood“, indem er die Reichen beraubte, um es den Armen zu geben, für die er Sympathie empfand. Auf seinen Raubzügen war er immer allein und gehörte keiner Bande an. Nach seinen Missetaten suchte er oft Unterschlupf auf der Bönninghardt bei den in ständiger Armut lebenden Pfälzer Kolonisten, mit denen er die Beute aus seinen Diebstählen teilte. 1858 wanderte er kurzfristig nach Amerika aus und gelangte über den Handel mit Pelzen zu Reichtum, der aber schnell verbraucht war. Zurück am Niederrhein wurde er 1860 von den Behörden aufgespürt und zu 16 Jahren Zuchthaus in Kleve auf der Schwanenburg verurteilt. Es gelang ihm aber die Flucht aus dem Gefängnis. Seine Spuren am Niederrhein verliefen sich, erneut soll es ihn nach Amerika gezogen haben ...