Duisburg, Juni 2015 - »Das läuft alles
voll automatisch, ihr werdet staunen, Jungs«, verkündete
Baltasar Tortentasch nicht ohne Stolz seinen Mitfahrern. Er
befand sich mit seinem Auto auf dem Weg nach Hause, ein paar
Stunden früher als normal, und vier seiner Arbeitskollegen
hatte er spontan eingeladen, ihn auf dem Heimweg zu
begleiten. Die Kollegen hatten eigentlich nicht mit dieser
plötzlichen Einladung gerechnet, doch sie wollten es sich
nun mal nicht nehmen lassen, Baltasars neue technische
Errungenschaft, diese Weltneuheit, wie er es formulierte,
die er sich in seinen häuslichen vier Wänden hatte
einrichten lassen, persönlich vor Ort in Augenschein zu
nehmen.
Die neue Errungenschaft bestand im
Wesentlichen aus einer Fernsteuerung der besonderen Art,
sozusagen einer ganz neuen Dimension, und sie funktionierte
nach Aussage von Baltasar wie folgt: unmittelbar aus seinem
Wagen heraus konnte er mittels eingebautem Sender daheim das
Badewasser einschalten und die Wanne volllaufen lassen.
»Ich weiß manchmal nicht, worüber ich mich mehr freuen
könnte, über ein heißes, ferngesteuertes Bad oder über den
Willkommenskuss meiner Frau«, eröffnete er den verdutzten
Kollegen. Auf diesen Kuss aber würde er heute, wie er
sagte, etwas länger warten müssen, da sich seine Angetraute
an diesem Tag zum turnusmäßigen Treffen bei einer Freundin
befand, und diese Nachmittage, an die sich stets
traditionsgemäß noch ein Abendessen mit gemeinsamen Singen
anschloss, dauerten in der Regel bis zum späten Abend. Aus
diesem Grund war Baltasar auf die Idee gekommen, die
Abwesenheit seiner Gattin auszunutzen, um seinen Kollegen
diese sensationelle technische Neuheit einmal zu
demonstrieren.
Voller Skepsis waren die Mitarbeiter
eingestiegen, in Baltasars Auto, sie wollten sogar Wetten
mit ihm abschließen, dass so etwas gar nicht funktionieren
könne, doch während der Fahrt belehrte der findige Kollege
sie eines Besseren. »Schaut mal da«, drückte Baltasar
einen Knopf am Armaturenbrett und wies dabei nicht ohne
Stolz auf die Display Anzeige, »seht ihr das? Da staunt ihr
aber, nicht wahr?« Die Kollegen reckten die Hälse; sie
schienen nicht zu glauben, was sie sahen. Auf dem Display
war klar und deutlich das Abbild einer Badewanne im
Miniaturformat zu erkennen, die sich langsam mit Wasser
füllte. »Ich kann auch die Geschwindigkeit des Füllens
steuern, je nach Bedarf; einmal kam ich zum Beispiel in
einen Stau, und dabei erwies sich das als sehr nützlich. Das
gleiche gilt natürlich auch für die Wassertemperatur.«
Vierzig Grad Celsius, lasen die Kollegen ab. »Ist das
nicht zu heiß?« fragte einer. »Keine Angst, ich lass
gleich kaltes Wasser dazu laufen«, erwiderte Baltasar.
»Hast du keine Angst, dass die Wanne überläuft?« wollte ein
anderer wissen. »Na ja«, erwiderte Baltasar, »das kann
eigentlich schon bei herkömmlichen Badewannen nicht
passieren, denn alle Wannen verfügen natürlich über einen
Sicherheitsüberlauf. Trotzdem, da sprichst du schon ein
spezielles Problem an, das mir in der ersten Zeit doch zu
schaffen machte.«
»Was für ein Problem?« »Nun ja,
diese Sicherheitsüberläufe funktionieren nur, wenn man das
Wasser nicht zu schnell laufen lässt. Ab einer gewissen
Einlaufgeschwindigkeit aber ist das nicht mehr
gewährleistet, sie packen es einfach nicht mehr, die Wannen,
salopp gesagt, und da mussten wir uns schon etwas Besonderes
einfallen lassen.« »Und wie hast du das Problem gelöst?
Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht gerade angenehm
ist, wenn einem die Badewanne überläuft, vor allem wenn sie
ferngesteuert wird und man nicht eingreifen kann.« »Da
hast du vollkommen Recht, mir graust es noch heute, wenn ich
an die ersten Probeversuche denke, bei denen das auch
passiert wäre, doch in dieser Phase war natürlich meine Frau
daheim und hat die Wanne überwacht. Jetzt aber ist alles
vollkommen sicher, denn wir haben einen sogenannten
elektronisch überwachten Endausschalter nachgerüstet. Dieser
Schalter sorgt dafür, dass das Wasser bei einer festgelegten
Markierung nicht mehr nachläuft und verhindert somit, dass
auch nur ein Tropfen überläuft, egal, mit welcher
Geschwindigkeit wir die Wanne füllen.« »Donnerwetter«,
staunten die Kollegen. »Sag mal, Baltasar«, ließ sich
einer vernehmen, »bist du denn sicher, dass es deine
Badewanne ist, die da vollläuft und nicht die deines
Nachbarn, beispielsweise?«
Alle lachten, und Baltasar
stimmte fröhlich in die allgemeine Heiterkeit ein. »Das
wäre schon ein Ding«, gab er zu, »wenn das passieren würde.
Nein, im Ernst, Leute, es ist meine Badewanne, die nur über
über meinen Sender gesteuert wird, und das gesamte System
arbeitet jetzt, wie gesagt, nach Überwindung der ersten
kleinen Kinderkrankheiten absolut störungsfrei; außerdem hat
mein Nachbar gar nicht so eine Badewanne, er hätte sie wohl
gern, er ist richtig neidisch, auf so eine technische
Raffinesse.« Wiederum ertönte schallendes Gelächter.
Nach einem Augenblick des Schweigens wies einer von ihnen
auf das Display. »Schau mal, Baltasar, bist du sicher,
dass der Endausschalter richtig eingestellt ist?«
Verstört blickte Baltasar auf die Anzeige; was er da sah,
ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Das Wasser in seiner
Badewanne, das laut dem ausgeklügelten System auf keinen
Fall die Abschlussmarkierung überschreiten durfte, überstieg
von einem auf den anderen Moment die Markierungslinie um ein
erhebliches Maß; die Wanne war nicht nur vollgelaufen, sie
schwappte regelrecht über. »Was ist das denn? Das darf
doch nicht wahr sein!« rief Baltasar Tortentasch voll
Entsetzen und trat derart aufs Gaspedal, dass die Insassen
tief in die Sitze gedrückt wurden.
Drei Minuten
später hielt der Wagen vor Baltasars Domizil, mit
quietschenden Reifen. Im Laufschritt eilte er die
Treppen hoch, zu seiner Wohnung, verfolgt von den keuchenden
Kollegen. Er schloss die Wohnungstür auf, stürmte zum
Badezimmer und riss die Tür los; der Anblick, der sich ihm
bot, ließ diesmal nicht nur ihm, sondern auch den Kollegen,
die ihm über die Schulter schauten, die Haare zu Berge
stehen. In der Wanne saß seine bessere Hälfte, ganz
vergnügt, doch sie saß nicht allein darin; ihr gegenüber saß
Baltasars Nachbar, der Mann, der selbst so gern eine solche
Wanne sein eigen nennen würde. Baltasar fasste sich
schnell und schloss die Tür zum Bad, während seine Ehefrau
gemeinsam mit dem Nachbarn erschreckt aus der Wanne sprang.
»Seht ihr, Jungs, an der automatischen Füllbegrenzung
lag's nicht«, erklärte er den Kollegen, »doch wenn der
Wasserspiegel natürlich auf einen Schlag derartig gehoben
wird, wie er gerade eben gesenkt wurde, ihr habt's ja mit
eigenen Augen gesehen, tja, so eine Belastung kann kein
System auf der ganzen Welt aushalten.«
Unglaublich
erleichtert darüber, dass die Ursache für das Überlaufen der
Wanne nicht auf ein Versagen seines vollautomatisches
Systems zurückzuführen war, geleitete er freundlich seine
Arbeitskollegen zur Wohnung hinaus und wünschte ihnen einen
schönen Abend.
›Wie es scheint‹, sagte sich Baltasar
auf dem Weg zurück zum Bad, ›werde ich unserm Nachbarn wohl
Geld vorstrecken müssen, damit er sich selbst eine
ferngesteuerte Wanne zulegen kann.‹
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