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Loveparade 2010
April 2016 Loveparade-Strafverfahren: Anklage nicht zugelassen

 

Eröffnung des Hauptverfahrens wurde abgelehnt
Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft
Stellungnahme von Oberbürgermeister Sören Link
Sofortige Beschwerde im Falle der Nichteröffnung eines Strafverfahrens
Bankrotterklärung der Justiz
Erklärung des Landgerichtspräsidenten Ulf-Thomas Bender (Auszug)
Auszug aus dem Nichteröffnungsbeschluss der 5. Großen Strafkammer

Duisburg, 05. April 2016 - Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat die Anklage im Loveparade-Strafverfahren nicht zugelassen. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde abgelehnt. Der Beschluss wurde am 30.03.2016 gefasst und heute den Verfahrensbeteiligten bekannt gegebenen. Danach wird es keine Hauptverhandlung gegen die zehn angeschuldigten Personen geben.

Das Gericht hat die gesetzliche Aufgabe, die mit der Anklage erhobenen Vorwürfe zunächst daraufhin zu prüfen, ob eine Hauptverhandlung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung der Angeschuldigten führt. Nur dann darf eine solche Hauptverhandlung durchgeführt werden. Die eingehende Prüfung der Anklagevorwürfe und der hierzu vorgelegten Beweismittel durch die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat ergeben, dass kein hinreichender Tatverdacht besteht.

Die Vorwürfe der Anklage können mit den vorgelegten Beweismitteln nicht bewiesen werden. Eine Verurteilung der Angeklagten ist deshalb nicht zu erwarten.
Das hat die Kammer in ihrem 460 Seiten umfassenden Beschluss im Einzelnen dargelegt.
Das wesentliche Beweismittel, auf dem die Anklage beruht, ist das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Still. Dieses Gutachten ist nach Auffassung der Kammer jedoch nicht verwertbar. So leide es an gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln.
Aufgrund des Gutachtens lasse sich daher nicht beantworten, aus welchen Gründen es zu den tragischen Ereignissen anlässlich der Loveparade im Jahre 2010 kommen konnte. Darüber hinaus bestehe gegen den Gutachter die Besorgnis der Befangenheit. Zudem seien die Ausführungen der Anklage zur Frage der Kausalität von Planungs- und Genehmigungsfehlern für das Unglück nicht belegt. Andere tragfähige Beweismittel, die den Anklagevorwurf stützen könnten, stünden dem Gericht aber nicht zur Verfügung. Insbesondere sei dem Gericht die Einholung eines neuen Gutachtens im Zwischenverfahren von Gesetzes wegen untersagt.

Zwar dürfe das Gericht einzelne Beweiserhebungen auch im Zwischenverfahren anordnen, es könne aber nicht das zentrale Beweismittel durch ein neues ersetzen. Dementsprechend habe die Kammer 75 Fragen an den Gutachter gestellt, die aber weder zu einer abschließenden Klärung der offenen Fragen noch zu einer Behebung der grundlegenden Mängel führten.
Zu den tragenden Gründen ihrer Entscheidung führt die Kammer im Einzelnen aus:

1. Inhaltliche und methodische Mängel des Gutachtens
Das Gutachten von Prof. Dr. Still leidet an schwerwiegenden methodischen und inhaltlichen Mängeln, die dazu führen, dass die grundsätzlichen Fragen zu den Ursachen des Loveparade-Unglücks nicht beantwortet werden. Der Gutachter hat lediglich eine „erste grobe Risikoanalyse“ aus Sicht eines Planers vor Beginn der Veranstaltung vorgenommen. Damit kann der erforderliche Nachweis, dass Fehler in der Planung oder Genehmigung die Todesfälle und Verletzungen verursacht hätten (Kausalitätsbeweis), nicht geführt werden.
- Prof. Dr. Still hat in unzulässiger Weise die Auswahl der Tatsachen, auf denen sein Gutachten aufbaut, auf örtliche Gegebenheiten beschränkt. Sämtliche andere mögliche Unglücksursachen, insbesondere Handlungen der die Veranstaltung vor Ort begleitenden Personen, hat er hingegen nicht berücksichtigt. Prof. Dr. Still legt seinen Berechnungen Planzahlen des Veranstalters zu den Besucherströmen zugrunde. Von diesen Planzahlen behauptet er zwar, sie seien manipuliert, verwendet sie aber gleichwohl im Rahmen seines Gutachtens.

Die von Prof. Dr. Still zugrunde gelegten Teilnehmerzahlen konnte er trotz mehrfacher Nachfrage der Kammer nicht schlüssig begründen. Z. B. beruft er sich zur Begründung der von ihm angenommenen Teilnehmerzahlen auf Schätzungen allein der Transportkapazitäten des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr. Damit bleibt ungeklärt, wie viele Besucher tatsächlich auf das Gelände gelangt sind. Daher steht auch nicht fest, dass sich eine – unterstellt – fehlerhafte Berechnung der Besucherströme durch die Angeschuldigten im konkreten Unglück ausgewirkt hat.

Darüber hinaus ist das Gutachten an zentralen Punkten in sich widersprüchlich. Prof. Dr. Still geht einerseits davon aus, dass wegen der dem Unglücksort vorgelagerten Vereinzelungsanlagen maximal ca. 44.000 Personen pro Stunde von außen auf das Gelände gelangen konnten. Andererseits leitet er seinen Rückschluss auf eine fehlerhafte Planung unter anderem aus der Annahme her, dass zwischen 55.000 und 90.000 Personen pro Stunde auf das Gelände gelangen sollten.
Prof. Dr. Still hat seine Pflicht zur persönlichen Erstattung des Gutachtens verletzt. Er hat die verfügbaren Unterlagen nie selber vollständig gesichtet, sondern die eigenständige Auswahl aller für das Gutachten verwendeten Dokumente zwei Mitarbeiterinnen übertragen. Diese Auswahl konnte er mangels Kenntnis der deutschen Sprache nicht selbst prüfen.

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Prof. Dr. Still hat zudem die Sorgfaltsmaßstäbe, die er den Angeschuldigten auferlegt hat, nicht nachvollziehbar begründet. Er hat sich mit den für Deutschland maßgeblichen Normen und Regeln, die für die Veranstaltungsplanung anzuwenden sind, nicht beschäftigt. Der vom Gutachter seiner Engstellenberechnung zugrunde gelegte maximale Personendurchfluss von 82 Personen pro Minute und Meter findet sich nicht in den maßgeblichen Normen.
Er ist auch nicht allgemein als Stand der ordnungsgemäßen Veranstaltungsplanung anerkannt. Dem Gutachten von Prof. Dr. Still liegt ein falscher Ursächlichkeitsbegriff zugrunde. Er vermengt die nach deutschem Recht zu unterscheidenden Kategorien der Kausalität einerseits und der Vorhersehbarkeit andererseits. Für eine Verurteilung ist aber nach deutschem Recht erforderlich, dass sich ein konkreter Planungs- oder Genehmigungsfehler eines Angeschuldigten in einer konkreten Verletzung auswirkt.

2. Besorgnis der Befangenheit des Gutachters Prof. Dr. Still
Das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Still ist in einer Hauptver- handlung nicht verwertbar, weil Prof. Dr. Still als befangen abzulehnen wäre. Entsprechende Ablehnungsanträge sind schon im Zwischenver- fahren angekündigt worden. Ein Befangenheitsgesuch ist schon dann erfolgreich, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen.
Es kommt dabei nicht darauf an, ob tatsächlich eine Befangenheit des Sachver- ständigen besteht. Derartige Gründe für eine im Rahmen einer etwaigen Hauptverhandlung erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen benennt die Kammer wie folgt: Nachdem er das Gutachten vorgelegt hatte, hat sich Prof. Dr. Still in öffentlich gehaltenen Vorträgen, die auch über das Internet zugänglich waren, unsachlich zu dem Unglück geäußert.
So hat er behauptet, dass die Daten für das Genehmigungsverfahren manipuliert gewesen seien, ohne dass er dies begründet oder belegt. Weiter hat er ausgeführt, dass von den Planern der Veranstaltung einfachste Gesetze der Mathematik, die sein Sohn im Alter von vier Jahren beherrscht hätte, nicht beachtet worden seien.
Ferner hat er sich in Vorträgen und einem Fachbuch nach Vorlage des Gutachtens auf bestimmte Unglücksursachen und Ergebnisse festgelegt. Insbesondere hat er Fehler in Planung, Genehmigung und Durchführung der Veranstaltung als sicher unterstellt, ohne alternative Unglücksursachen in Betracht zu ziehen. Ein Abrücken von diesen öffentlich mehrfach verbreiteten Behauptungen in einer Hauptverhandlung könnte für Prof. Dr. Still mit einem erheblichen beruflichen Ansehensverlust verbunden sein.
Auch habe Prof. Dr. Still sich selbst nicht als unabhängigen, nicht weisungsgebundenen Gutachter angesehen, sondern als von einem Sicherheitsunternehmen und einer englischen Universität beauftragt betrachtet. Diese haben die Vorgehensweise bei der Gutachtenerstellung zumindest teilweise mitbestimmt. Zudem hat er die Prüfung seines Gutachtens im Interesse der Haftpflichtversicherung seiner Arbeitgeber für erforderlich gehalten und eine entsprechende Überprüfung durchführen lassen.

3. Keine Unumkehrbarkeit des Geschehens
Die Kammer bezweifelt die der Anklage zugrunde liegenden Kausalitätserwägungen: Die Anklage geht davon aus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt (15:30 Uhr bzw. 16:02 Uhr) die tragischen Ereignisse unumkehrbar gewesen seien, also unabhängig von weiteren Handlungen zum Unglück hätten führen müssen. Dabei beruft sie sich auf Angaben des Prof. Dr. Still.
Dieser allerdings nimmt eine Unumkehrbarkeit des Geschehensverlaufs allenfalls zu deutlich späteren Zeitpunkten an. Für die Frage der Ursächlichkeit etwaiger Planungs- und Genehmigungsfehler für die Todesfälle und Verletzungen kommen auch aus diesem Grund noch mögliche andere Ursachen, insbesondere die später eingezogenen Polizeiketten, die unterlassene Schließung der Zugangssysteme und später entfernte Begrenzungszäune an den Einlassanlagen, in Betracht.

Gegen den Beschluss der Kammer können Staatsanwaltschaft und Nebenkläger binnen einer Woche sofortige Beschwerde einlegen. Über diese entscheidet das Oberlandesgericht Düsseldorf.
 


- Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft -
Die Entscheidung des Landgerichts Duisburg, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft. Gegen den Beschluss der Strafkammer hat die Staatsanwaltschaft daher umgehend sofortige Beschwerde eingelegt.

Mit Akribie und großem Fleiß hat sich die Kammer nach mehr als zweijähriger Prüfung erkennbar bemüht, im Zwischenverfahren die von der Staatsanwaltschaft zusammengetragenen Beweismittel um fassend abschließend zu würdigen und auf dieser Grundlage einen Nichteröffnungsbeschluss gefasst, ohne dass sich die Öffentlichkeit einen Eindruck sowohl von der Validität der Beweismittel als auch dem Willensbildungsprozess der Kammer verschaffen konnte.
Nach der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat die Kammer die Funktion des Zwischenverfahrens überdehnt und den Amtsermittlungsgrundsatz, der für sie gleichermaßen wie für die Staatsanwaltschaft gilt, nicht in genügender Weise beachtet. Der Beschluss der Strafkammer ist – jedenfalls überwiegend – mit Bedenken gegen den Sachverständigen Prof. Dr. Still und sein Gutachten begründet.
Die Zurückweisung des Gutachters und seiner Ergebnisse ist indes nicht gerechtfertigt. Gerade auch angesichts der Vielzahl an Beweismitteln, die die Staatsanwaltschaft für die von ihr erhobenen Tatvorwürfe – neben dem Gutachten des Sachverständigen – benannt hat, hätte sich die Strafkammer aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes zudem veranlasst sehen müssen, einen zweiten Gutachter zu beauftragen.

Die Beauftragung von Gutachtern durch das Gericht im Stadium des Zwischenverfahrens ist gängige Praxis. Es entspricht zudem der üblichen Verfahrensweise, die Staatsanwaltschaft und die übrigen Verfahrensbeteiligten (frühzeitig) auf etwaige Bedenken hinzuweisen und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, die für erforderlich erachteten ergänzenden Ermittlungen nachzuholen.
Prof. Dr. Still ist ein international anerkannter renommierter Experte, an dessen Sachkunde und Unabhängigkeit keine Zweifel bestehen. Er hat nachvollziehbar und im Kern unverändert dargelegt, dass bei der Planung und Genehmigung der maximal möglichen Durchflusskapazität des zum Veranstaltungsgeländes führenden Tunnels – 82 Personen pro Meter pro Minute – keinerlei Beachtung geschenkt und dadurch das tragische Geschehen herbeigeführt worden ist.
Die gegen diese Bewertung seitens der Strafkammer erhobenen Bedenken teilt die Staatsanwaltschaft nicht, auch weil es sich bei der maximalen Durchflusskapazität um einen wissenschaftlich anerkannten Erfahrungswert handelt. Dieser muss als allgemeingültiger Wert angesehen werden, für den es einer sachverständigen Feststellung im Einzelfall nicht bedarf.
Die Ablehnung des Sachverständigen als befangen entbehrt aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Grundlage; sie wäre nur möglich, wenn der Sachverständige durch mündliche oder schriftliche Äußerungen den Eindruck einer Voreingenommenheit hervorgerufen hätte. Dies ist auch unter Berücksichtigung der von der Strafkammer aufgeführten Umstände nicht der Fall.
Den von der Staatsanwaltschaft festgestellten Zeitpunkt der „Unumkehrbarkeit des Geschehens“, den die Strafkammer als nicht belegt ansieht, hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage, gestützt auf zahlreiche Beweismittel, wie etwa Videoaufnahmen, Zeugenaussagen, aber auch Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Still, sehr sorgfältig begründet.

Die Zweifel des Landgerichts sind – auch unter Berücksichtigung der insoweit von der Strafkammer angeführten Gründe – nicht nachvollziehbar. Die in diesem Zusammenhang von der Strafkammer angesprochen Alternativursachen sind – weder für sich genommen noch insgesamt – ursächlich für das tragische Geschehen geworden.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf als zuständiges Beschwerdegericht den Beschluss des Landgerichts aufheben und die Durchführung des Hauptverfahrens anordnen wird. Nur dadurch wird – auch im Interesse der zahlreichen Opfer und ihrer Angehörigen – die gebotene weitere Aufklärung der Ereignisse in öffentlicher Hauptverhandlung sichergestellt.  


- Stellungnahme von Oberbürgermeister Sören Link -

"Fünf Staatsanwälte und fast Hundert Polizisten haben in den letzten Jahren zur Loveparade-Katastrophe ermittelt. Die Hauptakte umfasste mehr als 44000 Seiten, über 3400 Zeugen wurden vernommen. Trotz dieser kaum vorstellbaren Datenflut konnte im strafrechtlichen Sinne kein Schuldiger gefunden werden.  

Das Gericht führte heute aus, dass vor allem das Gutachten des Panikforschers Keith Still nicht verwertbar sei, da es, ich zitiere, „an gravierenden methodischen und inhaltlichen Mängeln“ leide. Die Vorwürfe der Anklage können mit den vorgelegten Beweismitteln nicht bewiesen werden, weswegen eine Verurteilung nicht zu erwarten sei.  

Ich bin kein Jurist und kann deswegen keine fachliche Einschätzung abgeben. Ich bin sicher, es wird in den nächsten Tagen viele geben, die die Begründung des Gerichts fundiert bewerten können. Aber ich bin ein Mensch. Ein Mensch, der Familie hat, eine Frau, Freunde, Menschen die ich liebe, die mein Leben bereichern – ja ausmachen.  

Und als solcher leide ich heute mit den Angehörigen, mit den Eltern, Partnern, mit den Freundinnen und Freunden, mit den vielen Verletzten und Traumatisierten, mit den Menschen, für die die Loveparade eine Zäsur in ihrem Leben darstellt, von der sich viele bis heute nicht erholt haben.  

Sie alle werden heute schwer tragen an der Entscheidung des Gerichts. Sie werden schwer daran tragen, dass es auf die Frage, wer die Schuld an dieser Katastrophe trägt, auch nach über fünf Jahren keine eindeutige Antwort gibt.  

Wer seinen Sohn, seine Tochter, sein Liebstes verloren hat, der fragt nicht nach Verfahrensfehlern oder danach, warum ein Gutachten verwertbar ist oder nicht. Der darf Unverständnis äußern, dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt brauchte, um diese Katastrophe aufzuarbeiten, ohne dass am Ende jemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnte. Ich weiß allerdings auch, dass viele Betroffene schon lange davon ausgingen, dass die juristische Aufarbeitung ihnen keinen Frieden bringen wird. Für viele war es ein Schlag ins Gesicht, dass die damalige Stadtspitze und der Geschäftsführer des Veranstalters nicht auf der Liste der Beschuldigten standen.

So ist der heutige Tag für viele eine weitere Enttäuschung.


- Sofortige Beschwerde im Falle der Nichteröffnung eines Strafverfahrens -
Die Entscheidung der Kammer eines Landgerichts, ein Strafverfahren nicht zu eröffnen und die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen, kann mit dem Rechtsmittel der „sofortigen Beschwerde“ angefochten werden. Die Entscheidung über diese sofortige Beschwerde trifft das Oberlandesgericht.

Eine solche „sofortige Beschwerde“ können sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Nebenkläger einlegen. Sie muss innerhalb einer Woche nach Zustellung der Nichteröffnungsentscheidung an die Verfahrensbeteiligten bei dem Landgericht eingelegt werden, das die Nichteröffnung des Verfahrens beschlossen hat. Der Senat beim Oberlandesgericht kann die Entscheidung der Kammer des Landgerichts über die Nichteröffnung entweder bestätigen oder dahingehend abändern, dass er die Eröffnung des Hauptverfahrens und damit die Durchführung der Hauptverhandlung gegen einzelne oder alle Angeschuldigte vor einer Strafkammer des Landgerichts anordnet.

Dann muss das Strafverfahren im angeordneten Umfang vor dem Landgericht durchgeführt werden. Die Entscheidung des Senats des Oberlandesgerichts ist abschließend. Es steht kein weiteres Rechtsmittel zur Verfügung. Dem Senat bei dem Oberlandesgericht werden für seine Entscheidung im Beschwerdeverfahren alle Akten zur Verfügung gestellt, auf die das Landgericht seine Entscheidung gestützt hat. Der Senat überprüft die Entscheidung des Landgerichts dann unter allen rechtlichen Gesichtspunkten.

Im Falle der Nichteröffnung eines Strafverfahrens wird der Senat eine eigene Prüfung und Bewertung der Anklage vornehmen. Kommt auch der Senat zu dem Ergebnis, dass im Falle der Durchführung eines Hauptverfahrens nicht mit einer Verurteilung der Angeschuldigten zu rechnen ist, weist er die Beschwerde zurück. Sofern aus Sicht des Senats jedoch eine Verurteilung aller oder einzelner Angeklagter zu erwarten ist, lässt er die Anklage insoweit zu und beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens.


- Die Kanzlei baum reiter & collegen: Bankrotterklärung der Justiz -
Die Kanzlei baum reiter & collegen, die zahlreiche Loveparade-Opfer vertritt, wägt weitere Schritte ab. Die Sozietätspartner Gerhart Baum und Prof. Dr. Julius Reiter sehen nun die Staatsanwaltschaft sowie die Landesregierung in der Verantwortung.

Erneute Schlappe für die Loveparade-Opfer: Das Landgericht Duisburg stellt das Hauptverfahren gegen die Verantwortlichen der Loveparade-Katastrophe ein, bei der 21 Menschen ums Leben kamen sowie Hunderte verletzt und traumatisiert wurden. Die Richter begründen ihren Beschluss mit dem fehlenden Tatverdacht aus tatsächlichen Gründen. Es lägen nicht genug Beweise gegen die Angeschuldigten vor. Die Kanzlei baum reiter & collegen, die eine Vielzahl an Nebenklägern vertritt, zweifelt die Gründlichkeit des Beschlusses an und wägt weitere juristische Schritte ab.  

„Die Nichtzulassung der Anklage nach rund sechs Jahren Ermittlungen ist eine Bankrotterklärung der Justiz. Die Beweislage hätte eine strafrechtliche Klärung dringend erfordert“, erklärt Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D. und Partner der Kanzlei baum reiter & collegen. Es handelt sich um einen Sachverhalt, bei dem man nach den äußeren Umständen von Anfang an diese Katastrophe befürchten musste.

Den Betroffenen fehlt jegliches Verständnis dafür, dass eine strafrechtliche Klärung nun nicht erfolgen soll. Sie haben einen Anspruch darauf auch im Andenken an ihre Toten, dass die Sache jetzt nicht zu den Akten gelegt wird.

„Wir sehen uns außerstande, den Opfern zu erklären, dass das Fehlverhalten einiger nun weder aufgeklärt noch gesühnt wird.“, erklärt Prof. Dr. Julius Reiter, Partner der Kanzlei baum reiter & collegen. „Durch die Entscheidung des Landgerichts ist auch die Abwicklung der Entschädigungen erheblich erschwert worden. Die Betroffenen sind jetzt auf langwierige Verfahren vor den Zivilgerichten angewiesen. Es ist zu befürchten, dass dadurch auch die Behandlung langdauernder seelischer Schädigungen gefährdet ist“.  

Die Nebenklägervertreter prüfen nun sämtliche Rechtsmittel. „Wir erwarten, dass die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde einlegt“, so Reiter. Abzuwägen gilt, inwieweit eine Beschwerde als Nebenkläger erfolgversprechend ist. Baum appelliert an das Land NRW: „Es ist jetzt auch Sache der Landesregierung, die durch sofortige Hilfe nach der Katastrophe ihre Verantwortung unter Beweis gestellt hat, zu erklären, wie sie sich eine Aufklärung vorstellt. Wir wiederholen unsere Forderung für die Einrichtung einer Opferstiftung. Der Landtag sollte erwägen, zumindest das Organisationsverschulden unabhängig von der strafrechtlichen Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss zu klären.“


- Erklärung des Landgerichtspräsidenten Ulf-Thomas Bender (Auszug) -
 

- Auszug aus dem Nichteröffnungsbeschluss der 5. Großen Strafkammer -