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Mit Kultur gegen das Kneipensterben
Stephan Sadowski

Duisburg, 12. November 2025 - Die Hochheider Kneipe „Zum Laternchen“ hat ein besonderes Programm für seine Gäste erstellt:
Neben Tanznächten und Schlagerabenden gibt es sogar Kneipentheater mit literarischen Meisterwerken.
 
„Man muss etwas wagen, wenn man seine Gäste zufrieden stellen möchte“, meint die Wirtin Waltraud „Walli“ Luthardt. „Wir haben hier ein breites Angebot an Aktionen inzwischen für unsere Kundschaft zusammengestellt, es geht von Tanzabenden bis hin zu Longdrink- und Reggae-Nächten“, sagt die Frau, die die Hochheider Kneipe „Zum Laternchen“ vor dreieinhalb Jahren übernommen hat. Mitten in Corona-Zeiten, in einem Stadtteil, der durch die „Weißen Riesen“ als Problemzone Duisburgs deutschlandweit bekannt wurde. „Ich habe zum Glück eine Stammkundschaft, auf die ich mich verlassen kann“, betont Wirtin „Walli“, wie sie von ihren Gästen liebevoll gerufen wird.

Die Kneipe „Zum Laternchen“ an der Rheinpreußenstraße 44 existiert seit Mitte der 1960er-Jahre, als noch Kohle bei der Zeche Rheinpreußen abgebaut wurde. Erster Wirt im „Zum Laternchen“ war Ed Wiegand, der die Kneipe etwa 20 Jahre leitete. Es gab keinen Leerstand der Räume, sondern immer unterschiedliche Pächter. Vor dreieinhalb Jahren übernahm Waltraud Luthardt die Wirtschaft mitten in der Corona-Zeit von der vormaligen Pächterin Sabrina Möller. In den 2000er-Jahren bis Mitte 2010er-Jahre war „Walli“ Luthardt schon einmal Betreiberin des Laternchens. Sie ist quasi in der Kneipe groß geworden. Unterschiedliche Veranstaltungen wie Live-Acts, Reggae-Nächte oder Tanz- und Schlagerabende finden jetzt alle zwei Wochen statt, im Sommer lädt ein Biergarten im Innenhof zum Verweilen ein. Beim Abriss des letzten Weißen Riesen war es proppenvoll im „Laternchen“.
 
Tatsächlich, etwa 40 Gäste sitzen an einem Montagabend an den Tischen oder tummeln sich an der Theke, denn es ist immer etwas Besonderes, wenn die Hobby-Theatertruppe „R drei & vierzig“ ein Theaterstück auf den knapp 60 Quadratmetern Fläche der Hochheider Kneipe aufführt. 2018 waren sie zuletzt zu Gast mit einer Bearbeitung von Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“. Jetzt kommen die drei Schauspieler mit einer Adaption „Die Küchenuhr“, wieder Borchert. Hier heißt es „Halb drei“. Und die Gäste finden es richtig gut, dass Literatur in ihrer Lieblingskneipe zum Leben erweckt wird.
Yvonne Meyer-Raßbach und Petra Schmidt spielen selbst beim Hochheider Kindertheater „Konfetti 97“ mit. Sie finden: „Wir wollen die Menschen unterstützen, die sich die Zeit genommen haben, uns zu unterhalten oder zum Nachdenken anzuregen. Das Stück hat ja unwahrscheinlich viele Facetten und Sichtweisen. Außerdem ist es schön, Kneipe als Kulturfaktor zu erleben - und in welcher Kneipe in Duisburg gibt es schon Theater.“
Dann, der Last-Order-Call: Wirtin „Walli“ ruft die letzte Bestellung aus vor dem Beginn des Theaterstücks und dimmt das Licht herunter.
 
Die Schauspieler Ulrich Ehrentraut, Andrea Thurow und Norbert Gatz legen im Halbdunkel los. Mucksmäuschenstill wird es im weiten Raum, kein Knistern ist zu hören, nur das überlaute Ticken einer Uhr - das Intro zu dem Lied „Time“ von Pink Floyd dröhnt aus den Boxen. Musik aus einer Zeit, die 50 Jahre zurückliegt. In einem Interieur mit einem eichernem, rustikalen Thekenaufbau, das ebenso aus der Zeit gefallen scheint, vielleicht noch nie seit Bestehen der Kneipe großartig verändert wurde. Aber genau das gibt dem „Laternchen“ den Charme eines Wohnzimmers.
 
Geändert hat sich nur das Publikum. Bedenkt man, dass es in den Anfängen die Arbeiter der ehemaligen Rheinpreußenzeche waren, die den Inhalt ihrer Lohntüte in der Wirtschaft ließen, so ist es jetzt ein bürgerliches Publikum, dass das „Laternchen“ als sein „Wohnzimmer“ übernommen hat.
„Es hat etwas richtig Heimeliges und Uriges hier“, befindet auch Gordon Ewert, der lässig an einem Spielautomaten lehnt und aus seinem Pilsglas nippt, während großer Applaus für die Akteure nach der Aufführung durch den Raum schallt. „Und „Walli“ ist einfach eine gute Wirtin, die ihre Gäste bestens versorgt,“ sagt der 54-Jährige. Der angehende Stammgast bevorzuge analoge Treffen und reale Geselligkeit, anstatt digitale Freundschaften zu pflegen.
 
„Ich kann jetzt nicht sagen, dass die digitale Welt mir mein Publikum wegnimmt. Auch bei Corona haben sich die Gäste  vorbildlich in 2022 verhalten, kamen immer nur geimpft und ohne Krankheitssymptome zu mir“, so Wirtin „Walli, während sich die Schauspieler in alle Richtungen des Raumes zum zweiten Mal verbeugen. „Die Leute lieben hier die Zusammenkunft, gerade bei unseren Live-Events, wie jetzt“, sagt sie.

Von 2004 bis 2014 war „Walli“ schon einmal die Betreiberin vom „Laternchen“. Danach half sie bei den folgenden Inhabern immer wieder als Kellnerin in der Schenke aus, bis sie sich im März 2022 entschloss, erneut die Leitung zu übernehmen. „Das ist ja auch für mich ein Projekt in die Zukunft. Hier in dieser Kneipe lasse ich mein Herzblut.“

Schließlich hat sie eine lange Beziehung, nicht nur über das Kellnern, zu ihrem „Laternchen“: „Als junges Mädchen bin ich schon hier mit meinen Eltern eingekehrt – manche älteren Gäste kennen mich noch von damals.“ Und wissen ihre fürsorgliche Art zu schätzen...