Neue Auswertung
Düsseldorf,
Duisburg, 8. Juni 2023 - In Zeiten hoher Inflation sind
Sonderzahlungen wie das Urlaubsgeld ein besonders
willkommener Beitrag zur Haushalts- und Reisekasse. In
Deutschland erhalten aber lediglich etwas weniger als die
Hälfte (47 Prozent) aller Beschäftigten in der
Privatwirtschaft Urlaubsgeld.
Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Online-Befragung des
Internet-Portals Lohnspiegel.de, das vom Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung betreut wird. Für die Analyse wurden
die Angaben von fast 60.000 Beschäftigten aus dem Zeitraum
von Anfang Mai 2022 bis Ende April 2023 ausgewertet. Ob
Beschäftigte Urlaubsgeld erhalten oder nicht, hängt von
mehreren Faktoren ab. Der mit Abstand wichtigste ist die
Tarifbindung. So erhalten 74 Prozent der Beschäftigten in
tarifgebundenen Unternehmen der Privatwirtschaft
Urlaubsgeld, gegenüber nur 35 Prozent der Beschäftigten in
Unternehmen ohne Tarifvertrag (siehe auch Abbildung 1 in der
pdf-Version dieser PM; Link unten).
Wer bekommt das Urlaubsextra?
Unterschiede nach Beschäftigten- und Unternehmensmerkmalen
In Ostdeutschland wird nach wie vor deutlich seltener
Urlaubsgeld gezahlt als in Westdeutschland. Während im Osten
34 Prozent der Beschäftigten Urlaubsgeld erhalten, sind es
im Westen 49 Prozent. Dieser Unterschied ist in erster Linie
auf die deutlich geringere Tarifbindung im Osten
Deutschlands zurückzuführen. Nach den Ergebnissen des
IAB-Betriebspanels arbeiteten 2021 in Westdeutschland
54 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifvertrag.
In Ostdeutschland waren es nur 45 Prozent. Ein weiterer
wichtiger Faktor ist die Größe des Unternehmens. Denn die
Wahrscheinlichkeit, Urlaubsgeld zu erhalten, steigt mit
zunehmender Beschäftigtenzahl an (ebenfalls Abbildung 1).
Auch hier besteht eine enge Korrelation mit der
Tarifbindung, da in großen Unternehmen häufiger ein
Tarifvertrag gilt. Auch bei den Geschlechtern zeigen sich
deutliche Unterschiede: Während die Hälfte aller Männer (50
Prozent) in Betrieben arbeiten, die ein Urlaubsgeld zahlen,
erhalten nur 41 Prozent der Frauen eine entsprechende
Sonderzahlung. Schließlich hängt die Wahrscheinlichkeit,
Urlaubsgeld zu erhalten, auch mit der Höhe des monatlichen
Verdienstes zusammen.
Von den Beschäftigten mit einem niedrigen Bruttomonatslohn
von weniger als 2.300 Euro erhalten nur 38 Prozent
Urlaubsgeld. In den darüberliegenden Gruppen mit einem
Monatsverdienst zwischen 2.300 und 4.000 Euro sowie von mehr
als 4.000 Euro sind es hingegen 48 bzw. 50 Prozent (siehe
auch Abbildung 2 in der pdf-Version). Auch in dieser
Hinsicht besteht ein enger Zusammenhang mit der
Tarifbindung, da Befragte aus dem Niedriglohnsektor deutlich
seltener nach Tarif bezahlt werden.
Große Bandbreite beim tarifvertraglichen Urlaubsgeld
Die Höhe des tarifvertraglich vereinbarten Urlaubsgeldes
fällt je nach Branche sehr unterschiedlich aus: Zwischen 180
und 2.686 Euro bekommen Beschäftigte in der mittleren
Vergütungsgruppe dieses Jahr als tarifliches Urlaubsgeld
(ohne Berücksichtigung von Zulagen/Zuschlägen, bezogen auf
die Endstufe der Urlaubsdauer). Das zeigt die aktuelle
Auswertung des WSI-Tarifarchivs für 22 Tarifbranchen (siehe
Abbildung 3 sowie die Tabellen 1 und 2; Stand: Ende April
2023). Am wenigsten Urlaubsgeld bekommen Beschäftigte in der
Landwirtschaft und im Hotel- und Gaststättengewerbe.

Die höchsten Zahlungen erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter
anderem in der Holz- und Kunststoffverarbeitung, in der
Papier verarbeitenden Industrie, in der Metallindustrie, in
der Druckindustrie, im Kfz-Gewerbe, im Versicherungsgewerbe,
im Einzelhandel, im Bauhauptgewerbe und in der Chemischen
Industrie.
Im Westen ist das Urlaubsgeld in vielen Branchen immer noch
höher als in Ostdeutschland. Ausnahmen bilden u. a. das
Versicherungsgewerbe, die Chemische Industrie, die
Druckindustrie und das Gebäudereinigungshandwerk, in denen
jeweils in Ost- und Westdeutschland das gleiche Urlaubsgeld
gezahlt wird.
Im öffentlichen Dienst und in der Eisen- und Stahlindustrie
gibt es kein gesondertes tarifliches Urlaubsgeld, da es mit
dem Weihnachtsgeld zu einer einheitlichen
Jahressonderzahlung zusammengefasst wird. Auch im
Bankgewerbe und in einigen Branchentarifverträgen der
Energiewirtschaft gibt es kein tarifliches Urlaubsgeld.
Gegenüber dem Vorjahr hat sich das tarifliche Urlaubsgeld in
8 von 22 der hier untersuchten Branchen erhöht. Dies gilt
insbesondere für diejenigen Branchen, in denen das
Urlaubsgeld als ein bestimmter Prozentsatz der Tarifentgelte
festgelegt wird. Hierzu gehören im Jahr 2023 das
Bauhauptgewerbe, die Eisen- und Stahlindustrie, der
Einzelhandel, die Druckindustrie, das
Gebäudereinigungshandwerk, die Holz und Kunststoff
verarbeitende Industrie, die Papier verarbeitende Industrie
und das Versicherungsgewerbe.
Die Erhöhungen des Urlaubsgeldes folgten demnach den
allgemeinen Tariferhöhungen und lagen überwiegend zwischen
1,6 und 2,5 Prozent. Den höchsten Zuwachs beim Urlaubsgeld
gab es mit 6,5 Prozent in der Eisen- und Stahlindustrie
sowie mit 8,7 Prozent im Gebäudereinigungshandwerk.
„Ursprünglich war das seit den 1960er Jahren in vielen
Branchen eingeführte tarifvertragliche Urlaubsgeld dafür
gedacht, um mehr Beschäftigten einen Jahresurlaub zu
ermöglichen“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof.
Dr. Thorsten Schulten.
„Aktuell dürfte das Urlaubsgeld hingegen bei vielen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eher ein willkommener
Puffer sein, um die hohen Belastungen durch die stark
gestiegenen Lebenshaltungskosten zu tragen.“ Umso schlimmer
sei es, „dass die Beschäftigten im Niedriglohnsektor einmal
mehr zu den Verlierern gehören, da sie deutlich seltener in
Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten und deshalb auch
zumeist beim Urlaubsgeld leer ausgehen.“
Informationen zur WSI-Lohnspiegel-Datenbank
Für die Auswertung zur Häufigkeit von Urlaubsgeld wurden die
Angaben von 59.215 Beschäftigten ausgewertet, die zwischen
dem 1. Mai 2022 und dem 30. April 2023 an einer
kontinuierlichen Online-Erhebung des WSI-Portals
Lohnspiegel.de teilgenommen haben. Die Umfrage ist nicht
repräsentativ, erlaubt aber aufgrund der hohen Fallzahlen
detaillierte Einblicke in die Arbeitswelt. Nicht
berücksichtigt wurden Beschäftigte des öffentlichen
Dienstes, bei denen das Urlaubs- und Weihnachtsgeld seit der
Tarifreform des Jahres 2005 in einer einzigen
Jahressonderzahlung zusammengefasst wird. Lohnspiegel.de ist
ein nicht-kommerzielles Angebot der Hans-Böckler-Stiftung.
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