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Konjunkturprognose: BIP stagniert 2024, 2025 Wachstum um 0,7 Prozent

Düseldorf/Duisburg, 24. September 2024 - Die deutsche Konjunktur kann sich in diesem Jahr nicht aus der Stagnation lösen. Das liegt an einer verhaltenen Nachfrage aus dem Ausland, einer restriktiven und unsteten Fiskalpolitik der Bundesregierung, die sowohl das Konsumentenvertrauen als auch Investitionen bremst, und an einer trotz erster Zinssenkungen nach wie vor zu straffen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird 2024 auf der Stelle treten (0,0 Prozent Wachstum im Jahresdurchschnitt).


Im nächsten Jahr hellt sich die Situation etwas auf, vor allem, weil positive Impulse durch weiter steigende Nominallöhne und abnehmende Inflation den privaten Konsum wieder in Schwung bringen. Die Wirtschaftsleistung wächst 2025 um 0,7 Prozent im Jahresmittel. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuen Konjunkturprognose*. Die insgesamt schleppende Wirtschaftsentwicklung drückt mittlerweile auf die Arbeitsmarktentwicklung.


Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt in diesem Jahr zwar um durchschnittlich 0,4 Prozent und 2025 noch um 0,1 Prozent zu. Gleichzeitig steigt allerdings auch die Arbeitslosigkeit weiter leicht: im Jahresmittel 2024 um gut 160.000 Personen und 2025 um weitere gut 60.000 Personen. Die Arbeitslosenquote beträgt 6,0 Prozent und 6,1 Prozent – nach 5,7 Prozent 2023. Die Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt 2024 mit 2,3 Prozent wieder nahe am Inflationsziel der EZB liegen und es mit 2,0 Prozent im Jahresmittel 2025 erreichen.


Gegenüber seiner vorherigen Prognose vom Juni nimmt das IMK die Wachstumserwartung beim BIP für dieses Jahr geringfügig um 0,1 Prozentpunkte und für 2025 um 0,2 Prozentpunkte zurück. Nach der aktuellen IMK-Prognose wird die deutsche Wirtschaftsleistung damit Ende 2024 auf ähnlichem Niveau liegen wie fünf Jahre zuvor. Die hartnäckige Flaute sei auch Symptom veränderter weltwirtschaftlicher Gegebenheiten, auf die die Wirtschaftspolitik reagieren müsse, analysieren die Forschenden des IMK.


„In der Vergangenheit hat sich die deutsche Wirtschaft meist über den Export aus der Wirtschaftsflaute gezogen“, schreiben sie. Dafür stünden die Chancen derzeit allerdings schlecht, was nicht nur an einer nur moderaten weltwirtschaftlichen Dynamik und nach wie vor relativ hohen Energiepreisen liege, sondern auch an der forcierten Industriepolitik der wichtigen Handelspartner China und USA mit dem Ziel, die Produktion im eigenen Land durch massiven Mitteleinsatz zu stärken und auszubauen, sowie an Tendenzen verschiedener Länder, Importe über Zölle zu verteuern.


„In dieser Situation bräuchten wir in Deutschland eine wirtschaftspolitische Zeitenwende mit umfangreichen und kontinuierlichen Investitionen unter anderem in erneuerbare Energien, Netze, Verkehrsinfrastruktur und Bildung“, fasst Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK, zusammen. Das IMK beziffert die notwendigen zusätzlichen Investitionen zusammen mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft auf 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren. In der Wachstumsinitiative der Bundesregierung stehe dazu aber wenig Konkretes mit Ausnahme der erhöhten degressiven Abschreibung.


„Diese mag die Investitionsbereitschaft einiger Unternehmen erhöhen. Die erforderlichen Investitionen in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro in den kommenden Jahren werden aber nur erfolgen, wenn der Staat begleitend die Infrastruktur erneuert und dadurch die Planungssicherheit und Absatzperspektiven verbessert“, analysiert das IMK. Andere Maßnahmen der Wachstumsinitiative, die darauf abzielen, das Arbeitsangebot im demografischen Wandel zu stabilisieren, seien teilweise sinnvoll, würden aber kurzfristig kaum nennenswerte Wirkung zeigen.


Die ebenfalls geplante steuerliche Begünstigung von Zuschlägen für Mehrarbeit lehnen die Ökonom*innen als „Geldverschwendung“ ab, weil sie vor allem Fehlanreize für teure Mitnahmeeffekte setze. Zaghaftigkeit präge nicht nur die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, sondern auch die öffentlich geäußerten Vorstellungen der Opposition, insbesondere mit Blick auf Haushalt und ein Festhalten an der wachstumsschädlichen Schuldenbremse, sagt Wirtschaftsforscher Dullien.


Hinzu kämen Unzulänglichkeiten bei der Reform der EU-Fiskalregeln. Diese sollte nach dem Willen der EU-Kommission eigentlich das Investitionspotenzial vergrößern, statt dessen dürften sie nun „die fiskalischen Spielräume für die dringend benötigten öffentlichen Investitionen in der EU unnötig einschränken“, warnen der IMK-Direktor und seine Kolleg*innen. Die Wirtschaftspolitik dürfe nicht aus der Zeit fallen: „Der frühere EZB-Präsident Mario Draghi hat jüngst bei der Vorstellung seines Berichts über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit betont, aktuell bestehe die Wahl zwischen Handeln oder langsamen Qualen. Das gilt für Deutschland in besonderem Maße.“


Kerndaten der Prognose für 2024 und 2025
Arbeitsmarkt Die schwache konjunkturelle Dynamik bremst die Entwicklung der Erwerbstätigkeit, diese bleibt aber leicht positiv. Die Zahl der Erwerbstätigen legt 2024 jahresdurchschnittlich um 0,4 Prozent und 2025 noch minimal um 0,1 Prozent zu. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Bei den Arbeitslosenzahlen prognostiziert das IMK im Jahresdurchschnitt 2024 einen Anstieg um gut 160.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,77 Millionen Menschen arbeitslos sein werden. Das entspricht einer Quote von 6,0 Prozent.



Für 2025 veranschlagen die Forschenden eine weitere leichte Zunahme der Arbeitslosigkeit um gut 60.000 Personen auf knapp 2,84 Millionen Personen und eine Quote von 6,1 Prozent. Der Anstieg sei mittlerweile rein konjunkturell bedingt und werde nicht mehr durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine beeinflusst, analysiert das IMK. Weltwirtschaft und Außenhandel Die Weltwirtschaft wächst 2024 und 2025 moderat, unter anderem, weil die Inflation global gesunken ist und verschiedene Notenbanken mit Zinssenkungen begonnen haben.


Allerdings ist der Trend weltweit nicht einheitlich: Während das Wirtschaftswachstum in Indien stark bleibt und in Kanada, Japan oder der EU zumindest etwas anzieht, verlangsamt sich die BIP-Entwicklung in den USA, allerdings auf vergleichsweise hohem Niveau: 2024 wächst die US-Wirtschaft um 2,4 und 2025 um 1,5 Prozent im Jahresmittel. Für China prognostiziert das IMK einen BIP-Zuwachs um 4,9 und 4,5 Prozent bei weiterhin schwacher binnenwirtschaftlicher Dynamik.


Das Wirtschaftswachstum im Euroraum steigt von durchschnittlich 0,7 Prozent 2024 auf 1,2 Prozent im kommenden Jahr. Die deutschen Exporte erhalten von wichtigen Handelspartnern nur schwache Impulse, was sich auch erst im kommenden Jahr im Durchschnittswert der Statistik niederschlägt: Im Jahresdurchschnitt 2024 sinken die Ausfuhren noch um 0,7 Prozent, 2025 legen sie um 1,8 Prozent zu. Der Außenhandel leistet per saldo rechnerisch in diesem Jahr einen positiven Wachstumsbeitrag von 0,4 Prozentpunkten, weil die Importe noch deutlich stärker sinken als die Ausfuhren (-2,0 Prozent im Jahresmittel).


Im kommenden Jahr steigen die Einfuhren aber kräftiger als die Exporte (3,1 Prozent), so dass der Außenbeitrag mit -0,4 Prozentpunkten negativ ausfällt. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss dürfte 2024 bei 6,9 Prozent und 2025 bei 6,3 Prozent des BIP liegen. Investitionen Die Ausrüstungsinvestitionen gehen laut IMK-Prognose im Jahresdurchschnitt 2024 um 5,9 Prozent zurück, was in dieser Höhe allerdings auch mit einem Sondereffekt zusammenhängt: Die Bundesregierung hat in ihrem Wachstumspaket die Möglichkeiten zur degressiven Abschreibung verlängert und sogar ausgeweitet. Eine sinnvolle Maßnahme, durch die Unternehmen Investitionen allerdings ins kommende Jahr verlagern dürften.


2025 wachsen die Ausrüstungsinvestition um 1,7 Prozent, was trotz des positiven Trends deutlich macht, dass der schwache Export und die wirtschaftspolitische Unsicherheit die Investitionstätigkeit erheblich belasten. Das unterstreicht der monatliche IMK-Konjunkturindikator, wenn er aktuell ein Rezessionsrisiko von 48,5 Prozent ausweist. Die Bauinvestitionen sinken weiter, auch wenn die Baukosten weniger stark steigen als in den Vorjahren und die Hypothekenzinsen zuletzt leicht gesunken sind. Nach einem Rückgang um 3,9 Prozent im Jahresdurchschnitt 2024 fallen die Bauinvestitionen 2025 noch einmal um jahresdurchschnittlich 1,7 Prozent, wobei sich im späteren Jahresverlauf 2025 eine leichte Belebung andeutet.


Privater Konsum
Nach den Verlusten in der Hochinflationsphase legen die Realeinkommen 2024 deutlich zu, unter anderem durch kräftige Zuwächse bei nominalen Tariflöhnen, sinkende Inflation und die leicht steigende Erwerbstätigkeit. Gleichwohl entwickelt sich der private Konsum mit einem durchschnittlichen Plus von 0,5 Prozent in diesem Jahr nur verhalten, während die Sparquote wächst. „Offensichtlich prägt derzeit das Vorsichtsmotiv aufgrund geopolitischer und konjunktureller Unsicherheit das Verhalten der Konsumenten“, schreiben die Forschenden.


Für 2025 erwartet das IMK dann bei weiter steigenden Einkommen und noch einmal sinkender Inflation ein allmähliches Nachlassen der Konsumzurückhaltung und einen kräftigen Zuwachs der privaten Konsumausgaben um 1,5 Prozent im Jahresdurchschnitt. Im kommenden Jahr wird der Privatkonsum so zur zentralen Stütze der Wirtschaftsentwicklung, während in diesem Jahr der Staatskonsum eine erhebliche Rolle spielt. Inflation und öffentliche Finanzen Für 2024 rechnet das IMK mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 2,3 Prozent.


2025 beruhigt sich das Inflationsgeschehen noch weiter, im Jahresmittel liegt die Teuerungsrate bei 2,0 Prozent und damit beim EZB-Inflationsziel. Die Steuereinnahmen sowie die Einnahmen aus Sozialbeiträgen steigen 2024 und 2025 spürbar, auch weil Mehrwertsteuervergünstigungen auf Gas oder gastronomische Dienstleistungen ausgelaufen sind und einige Beitragssätze erhöht werden. Das Defizit der öffentlichen Budgets sinkt. 2024 werden die gesamtstaatlichen Haushalte ein Defizit von 2,1 Prozent aufweisen nach 2,6 Prozent 2023. Für das kommende Jahr geht das IMK von einem weiteren Rückgang auf 1,7 Prozent im Jahresdurchschnitt aus.


Aktuelle Studie Lieferkette

Arbeitsbedingungen im Gütertransport gehören zur Unternehmensverantwortung – EU-Richtlinie kann neue Impulse geben
Düsseldorf/Duisburg, 17. September 2024 - Verantwortung in der Lieferkette: Unternehmen müssen nicht nur die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Auge haben, sondern auch den Gütertransport, wo etwa auf deutschen Straßen nicht selten problematische Zustände herrschen. Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie kann dafür wichtige neue Impulse geben. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte aktuelle Analyse zur Situation von LKW-Fahrenden.*


Wenn sie vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hören, denken viele an miserable Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Fabriken. Doch „ausbeuterische und teilweise gegen Menschenrechte verstoßende Praktiken“ finden sich auch ganz in der Nähe: auf der nächsten Autobahn. Das schreiben Veronique Helwing-Hentschel, Prof. Dr. Martin Franz und Dr. Philip Verfürth vom Institut für Geographie der Universität Osnabrück. Sie haben in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt aktuelle Entwicklungen in der Logistikbranche untersucht.


  Eine ihrer Fragestellungen: Inwieweit können das seit 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die vor dem Inkrafttreten stehende Lieferkettenrichtlinie der EU – Corporate Social Due Diligence Directive, kurz CSDDD – helfen, Verstöße gegen grundlegende Beschäftigtenrechte zu unterbinden?

„Die Studie zeigt uns drastisch, wie wichtig es für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Transportlogistik ist, dass Deutschland die EU-Lieferkettenrichtlinie umsetzt. Und zwar je schneller, desto besser“, erklärt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

  79 Prozent der Güterbeförderung in Deutschland werden per Lkw erledigt. In der Branche herrschen großer Wettbewerbs- und Kostendruck. Die Digitalisierung hat vieles verändert, Beispiele sind die Auftragsvergabe über Plattformen oder die Echtzeitverfolgung von Lieferungen. Große Spediteure geben Aufträge häufig an Subunternehmen weiter, die sie teilweise abermals weiterreichen. Nur knapp die Hälfte der Transportleistungen wird von in Deutschland ansässigen Unternehmen erbracht. Vor 15 Jahren waren es noch 64 Prozent.


  Lkw-Fahrende, die auf den hiesigen Straßen unterwegs sind, stammen oft aus Polen, Tschechien, Rumänien, Litauen oder aus Ländern außerhalb der EU. Die Löhne sind niedrig, die Arbeitsbelastung ist hoch. Verstöße gegen Arbeits- und Sozialstandards sind besonders in Subunternehmensbeziehungen an der Tagesordnung, so die Forschenden. Die Internationalisierung hat auch damit zu tun, dass sich deutsche Firmen schwertun, Personal zu finden.


„Gerade die Verhandlungsmacht von Lkw-Fahrenden aus dem Ausland ist häufig gering“, so Philip Verfürth, da ihre wirtschaftliche Abhängigkeit oft stark ausgeprägt ist. Aber selbst den in Deutschland angestellten LKW-Fahrenden falle es nicht leicht, gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Schon wegen der „hohen Mobilität und räumlichen Verteilung der Arbeitskräfte“, aber auch, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering ist und viele kleinere und mittlere Firmen nicht mitbestimmt sind. Im vergangenen Jahr gab es immerhin zwei Protestaktionen von Lkw-Fahrenden in Deutschland, die öffentliche Aufmerksamkeit erzielten.


  Einmal traten etwa 65 Fahrer*innen, meist aus osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern, in einen wilden Streik und erzwangen die Auszahlung von Löhnen. Beim zweiten Protest beschränkten sich die Beschäftigten nicht darauf, mit ihren beladenen Fahrzeugen auf dem Rastplatz stehenzubleiben, sondern traten teilweise in einen Hungerstreik. Neben der Gewerkschaft ver.di trat in diesem Fall auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf den Plan, um Ansprüche der Beschäftigten durchzusetzen und eine Einigung für die LKW-Fahrenden zu erzielen.


  Dies war „einer der ersten Anwendungsfälle des LkSG in der Logistik“, so Veronique Helwing-Hentschel, – denn das BAFA ist für die Kontrolle und Durchsetzung des Lieferkettengesetzes zuständig. Die Behörde durchforstete unter anderem Hunderte von Frachtbriefen und anderen Dokumenten. Allerdings zeigte sich bald, dass „die Konsequenzen für Unternehmen seit der Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bislang relativ gering ausfielen“, so die Forschenden.


  Ändern könnte sich dies, wenn das Gesetz nach den Vorgaben der neuen EU-Richtlinie angepasst wird. Vor allem aus zwei Gründen: Erstens müssen Unternehmen dann auch mittelbare Geschäftspartner – etwa Subunternehmen – proaktiv auf die Einhaltung von Standards überprüfen.
  Zweitens können Verstöße dann mit schärferen Sanktionen geahndet werden. Dies dürfte Unternehmen dazu veranlassen, für mehr Transparenz in den Transportlieferketten zu sorgen, erwarten Helwing-Hentschel, Franz und Verfürth. Dazu könnten auch ohnehin aufgezeichnete Daten verwendet werden, die etwa Aufschluss über die Einhaltung von Ruhezeiten geben.


Dabei sei ein sensibler Umgang mit personenbezogenen Daten wichtig, betonen die Forschenden. Zudem bedürfe es „einer Verschlankung der bisher sehr aufwendigen behördlichen Vorgänge zur Feststellung von Regelverstößen im internationalen Straßengütertransport“. Weiterhin bräuchten LKW-Fahrende eine bessere Versorgungsinfrastruktur, um etwa die seit 2022 verbotene, aber dennoch häufig praktizierte und wenig erholsame Übernachtung in der Fahrerkabine auf der Autobahnraststätte zu unterbinden.

Schließlich plädieren die Forschenden für den Auf- oder Ausbau von – beispielsweise gewerkschaftlichen – Beratungsinfrastrukturen. „Denn die Umsetzung von Sorgfaltspflichten setzt voraus, dass Beschäftigte in Transportlieferketten ihre Rechte kennen und sichere Wege aufgezeigt bekommen, diese einzufordern.“



Zwei Drittel der 400 deutschen Stadt- und Landkreise unter hohem Transformationsdruck, regionale Kooperation muss ausgebaut werden

Neue Befragung 
Düsseldorf/Duisburg, 16. September 2024 - Das Klima heizt sich auf, die Bevölkerung altert, digitale Technik ist auf dem Vormarsch. Das setzt Wirtschaft, Staat und Gesellschaft unter Zugzwang: Sie müssen sich in vielerlei Hinsicht neu aufstellen und vor allem massiv investieren, um den Wandel der Arbeitswelt zu gestalten.


Damit das gelingt, sind Unternehmen, Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf allen Ebenen gefragt: europäisch, auf Ebene von Bund und Ländern, insbesondere aber auch in den Regionen. Denn dort werden die konkreten Zukunftsprojekte umgesetzt, und das funktioniert am besten, wenn die Kompetenzen möglichst vieler Akteur*innen vor Ort einbezogen werden. Das unterstreicht heute und morgen etwa die Jahrestagung „Regionale Transformation gestalten“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz in Essen.



Wie es konkret um Mitwirkung und Zusammenarbeit beim Thema Transformation auf regionaler Ebene steht, analysieren Christian Hoßbach, Leiter der Stabsstelle „Hub: Transformation gestalten“ in der Hans-Böckler-Stiftung und der Sozialwissenschaftler Dr. Thomas Bollwein in einer neuen Studie.* Dafür haben sie die bundesweit 59 Regionalgeschäftsführungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes online befragt und im Anschluss vertiefende Kleingruppeninterviews geführt. Die DGB-Regionen umfassen jeweils meist mehrere Landkreise und kreisfreie Städte.


 Das Ergebnis: In 85 Prozent der DGB-Regionen gibt es entsprechende Strukturen – deren Bedeutung allerdings stark variiert. Tripartistische Bündnisse, in denen Politik und Sozialpartner dauerhaft und umfassend auf Augenhöhe zusammenarbeiten, seien „seltener, als es angesichts der Transformation angemessen wäre“. Die vorhandenen Ansätze auszubauen, könnte dazu beitragen, Änderungsprozesse demokratisch zu legitimieren und alle Ressourcen für bestmögliche nachhaltige Lösungen zu mobilisieren.


 In jedem vierten Stadt- oder Landkreis passiert deutlich zu wenig „Aus dem inhaltlichen Ergebnis der Interviews spricht zusammengefasste Praxiskompetenz:  Die insgesamt 40 `Feststellungen´ der Befragten unterstreichen, wie bedeutsam die regionale Vernetzung und insbesondere die strategische Begleitung der Transformation vor Ort ist“, sagt Dr. Claudia Bogedan, die Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung. „Sie geben Praxiserfahrungen wieder und liefern Hinweise auf sinnvolle Strukturen, Verbesserungsbedarfe, aber auch auf Hemmnisse.“


 Die Transformation stellt laut der Befragung in der Tat eine allgegenwärtige Herausforderung dar: Zwei Drittel der rund 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland sind nach Einschätzung der Expert*innen stark oder sehr stark von ihr betroffen (siehe Abbildung 4 in der Studie). Die politische Bearbeitung dieses Themas vor Ort wird eher kritisch gesehen: Für 26 Prozent der Land- und Stadtkreise wird sie als schlecht oder sehr schlecht bewertet (Abbildung 5 in der Studie).



Gute Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen und insbesondere der beiden Sozialpartner betrachten Hoßbach und Bollwein als „Gradmesser für die Erfolgschancen regionaler Initiativen“. Der empirische Befund fällt in dieser Hinsicht durchwachsen aus: Die Kooperation mit kommunalen Verantwortlichen wie Bürgermeister*innen oder Landrät*innen in Transformationsfragen bezeichnen die befragten DGB-Regionalgeschäftsführungen zu fast 60 Prozent als mindestens gut, ähnlich sieht es bei den Handels- und Handwerkskammern aus. Etwas weniger gut klappt es mit Wirtschaftsförderung und Hochschulen.


Mit dem Sozialpartner – also den Unternehmensverbänden – ist die Zusammenarbeit „insgesamt nicht besser als neutral“ zu bezeichnen: 35 Prozent beschreiben sie als gut, 37 Prozent als schlecht. Am besten ist das Verhältnis zu den Agenturen für Arbeit, das 95 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut empfinden – was auch mit der Einbindung der Gewerkschaften in die Selbstverwaltung zusammenhängen dürfte.


Feste Strukturen für die Zusammenarbeit sind im größten Teil der Regionen etabliert, allerdings variieren Zuschnitt, Zusammensetzung und Kompetenzen erheblich: Transformationsräte existieren in 37 Prozent der DGB-Regionen, in weiteren 47 Prozent andere Formen von Bündnissen. Nur 15 Prozent der Befragten geben an, dass solche Strukturen komplett fehlen.


In 24 der insgesamt 28 Transformationsräte ist der DGB vertreten, die IG Metall in 20, die IGBCE in acht, Verdi in sechs. Regionale Gliederungen der Arbeitgeberverbände reden in 24 Transformationsräten mit, die Agenturen für Arbeit in 23, der jeweilige Landkreis in 20 und die regionale Wirtschaftsförderung in 19. Die Räte befassen sich zu 89 Prozent mit dem Thema Fachkräfte, zu 86 Prozent mit Branchenthemen, zu 82 Prozent mit regionaler Wirtschaftspolitik. Bei ihrer Entstehung konnten viele Transformationsräte auf bestehende Strukturen aufbauen, heißt es in der Studie. Gemeinsame Anstöße von Wirtschafts- und Sozialpartnern oder durch Gewerkschaften und Betriebsräte hätten oft eine wichtige Rolle gespielt.


Die Expert*innen unterscheiden drei Typen von Transformationsräten: Es gebe 13 „tripartistische“, die unbefristet eine breite Themenpalette bearbeiten, zehn „projektspezifische“, die sich in einem begrenzten Zeitrahmen mit einem bestimmten Thema befassen, und fünf „fachspezifische“, die sich ohne Befristung auf ein Thema konzentrieren. Problem: Arbeitgeber stehen nicht selten einer verbindlichen Zusammenarbeit reserviert gegenüber.


Bei der Verbreitung erkennen Hoßbach und Bollwein ein „klares West-Ost-Gefälle“. Tendenziell seien Transformationsräte eher in Regionen mit einem hohen Anteil von Industriebeschäftigung zu finden. Das dürfte damit zusammenhängen, dass es in diesen Regionen häufig langjährige Erfahrungen mit Strukturbrüchen gibt und dass die Sozialpartner in höherem Maße organisiert sind.


Die Ergebnisse der Befragung deuten darauf hin, dass regionale Bündnisse eine wichtige Rolle bei der Bewältigung des Wandels spielen können: 85 Prozent der Befragten bewerten Transformationsräte als relevant oder sehr relevant, die Gremien der Agentur für Arbeit immerhin zwei Drittel, andere Bündnisse 62 Prozent. Damit dieses Potenzial tatsächlich ausgeschöpft wird, bedürfe es langfristiger Orientierung und partnerschaftlicher Zusammenarbeit auf Augenhöhe, so Hoßbach und Bollwein.

„Wirksamer Tripartismus kann nur mit aktiver Beteiligung aller drei Seiten funktionieren.“ Umso problematischer sei es, dass die Arbeitgeber in vielen Regionen der verbindlichen Zusammenarbeit in Transformationsfragen eher reserviert gegenüberstehen. „Dies muss sich ändern, wenn die wichtige demokratische Ressource gemeinsamer Gestaltung wirksam werden soll.“  


Gut gedacht, schlecht gemacht: Neue EU-Fiskalregeln könnten Investitionsschwäche verschärfen

Düsseldorf/Duisburg, 13. September 2024 - Die EU hat ihre Fiskalregeln reformiert. Ein wichtiges Ziel, das die EU-Kommission dabei erreichen wollte: EU-Staaten sollten größeren Spielraum für Investitionen bekommen. Tatsächlich aber könnten die neuen Regeln das Gegenteil bewirken, wie sich bereits Ende dieses Monats zeigen dürfte: Einige europäische Länder wie Frankreich, Italien und Spanien könnten in den kommenden Jahren zu erheblichen Einsparungen gezwungen sein. Das liegt an einer teilweise problematischen Methodik der Regeln. Darunter würden öffentliche Investitionen leiden, die für die Zukunft Europas dringend gebraucht werden.



Auch Deutschland ist betroffen – zwar in geringerem Umfang, aber mitten in einer tiefen Investitions- und Wachstumsschwäche. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*  Die Autoren Dr. Christoph Paetz und PD Dr. Sebastian Watzka halten Nachbesserungen bei den EU-Regeln zur Schuldentragfähigkeit und einen speziellen Investitionsfonds für dringend notwendig, um mehr Investitionen zu ermöglichen.


„Es war richtig, dass die EU die Fiskalregeln reformiert hat, weil die alten Regeln wachstumsfeindlich waren. Leider ist die Reform aber nur zum Teil gelungen. Aufgrund technischer Details drohen auch die neuen Regeln zur Wachstumsbremse zu werden, weil Spielräume für öffentliche Investitionen unnötig eingeschränkt werden“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, zu den Ergebnissen. „Hier sollte die Europäische Kommission schnell nachbessern. Es ist auch Aufgabe der Bundesregierung, eine solche Korrektur in Brüssel anzumahnen.“


Der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt stand lange in der Kritik. Er enthielt zu ehrgeizige Vorgaben für den Schuldenabbau, nicht überprüfbare Zielwerte, wirkte prozyklisch und vernachlässigte die öffentlichen Investitionen. Das wollte die EU-Kommission mit einer Reform der Fiskalregeln ändern. Im neuen Regelwerk, das am 30. April dieses Jahres in Kraft getreten ist, gelten zwar weiterhin die im Maastricht-Vertrag festgelegten Kriterien, wonach maximal 60 Prozent Gesamtverschuldung und drei Prozent jährliche Neuverschuldung zulässig sind.


•  Der Weg zur Erreichung dieser Ziele kann nun aber flexibler gestaltet werden. Sowohl eine länderspezifische Herangehensweise als auch verschiedene Geschwindigkeiten bei der Konsolidierung werden ermöglicht. Im Mittelpunkt steht dabei eine Schuldentragfähigkeitsanalyse. Auf deren Grundlage müssen Mitgliedsländer der EU-Kommission „nationale mittelfristige Haushaltsstrukturpläne“ vorlegen, die festschreiben, wie viel das Land in den kommenden Jahren ausgeben darf und welche Reformen zur Konsolidierung umgesetzt werden sollen. An die Stelle eines Systems aus zahlreichen Finanzindikatoren tritt die sogenannte Ausgabenregel.


Die nationalen Netto-Primärausgaben – also die Staatsausgaben ohne Zinszahlungen, Zahlungen für Arbeitslosengeld und durch Steuererhöhungen gedeckte Mehrausgaben – dienen nun als einziger Indikator zur Überwachung der Einhaltung der Regeln. Anders als etwa vom IMK im Reformprozess gefordert, enthält die Ausgabenregel aber keine Ausnahme für kreditfinanzierte öffentliche Investitionen. Bis Ende September müssen die Mitgliedstaaten ihre mittelfristigen Pläne vorlegen.


Berechnungen des IMK für die vier größten EU-Volkswirtschaften zeigen, dass erhebliche Einsparungen notwendig sein werden. Die zu erwartende Haushaltskonsolidierung liegt für Italien bei bis zu 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr, für Frankreich und Spanien bei 0,9 Prozent und für Deutschland bei 0,1 Prozent. „Es liegt auf der Hand, dass solche fiskalischen Konsolidierungsanstrengungen in den kommenden Jahren den dringend erforderlichen umfangreichen öffentlichen Investitionsprogrammen in der EU im Wege stehen“, schreiben die IMK-Experten Paetz und Watzka.


Schlagseite bei den Alterungskosten
Nach Analyse der Forscher fehlt im neuen Regelwerk nicht nur eine Ausnahme für kreditfinanzierte öffentliche Investitionen. Auch die Schuldentragfähigkeitsanalyse enthalte problematische Punkte, etwa hinsichtlich der Auswirkungen einer alternden Gesellschaft auf die Schuldentragfähigkeit, die allzu einseitig kalkuliert und daher übertrieben würden. Die Alterungskosten machten in den meisten EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2022 zwischen 20 und 30 Prozent des BIP aus und werden in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen.


Doch während steigende Kosten etwa für Renten oder das Gesundheitssystem nach den neuen Fiskalregeln vom Primärüberschuss abgezogen werden, bleiben steigende Einnahmen aus Versicherungsbeiträgen oder Steuersystemen unberücksichtigt. Dies sei „kontraintuitiv“, schreiben die Forscher. In vielen Ländern, etwa in Deutschland und Spanien, würden zusätzliche Rentenausgaben per Gesetz durch höhere Beitragssätze gedeckt. Damit seien diese Rentensysteme weitgehend selbstfinanziert. Dadurch, dass nur die Ausgabenseite in die Tragfähigkeitsanalyse einfließt, werde der finanzielle Spielraum stärker eingeengt als nötig.


„Die EU-Kommission sollte die Art und Weise, wie die Alterungskosten in der Schuldentragfähigkeitsanalyse berücksichtigt werden, überdenken“, so Paetz und Watzka. Auch auf Wachstum und Zinsen schauen Von entscheidender Bedeutung für die Dynamik der Staatsverschuldung ist außerdem das Zins-Wachstums-Differenzial. Bei einem negativen Wert, wenn also der Zinssatz niedriger ist als die Wachstumsrate der Wirtschaft, bleibt die Schuldenquote beherrschbar – man kann sozusagen aus den Schulden herauswachsen.


„Aus rein analytischer Sicht besteht kein Grund, sich um die Tragfähigkeit der Verschuldung von Ländern zu sorgen, für die langfristig ein negatives Zins-Wachstums-Differenzial prognostiziert wird“, so die Forscher. Dies sollte auch bei der Schuldentragfähigkeitsanalyse berücksichtigt werden, zum Beispiel für Frankreich oder Deutschland, wo das Wachstum nach den Prognosen lange Zeit über dem Zinssatz liegen dürfte. Nur wenn der Zinssatz die Wachstumsrate übersteigt, kann es zu einem unkontrolliert schnellen, explosionsartigen Anstieg der Schuldenquote kommen, wenn das Primärdefizit eine bestimmte Schwelle überschreitet. Diese Gefahr besteht beispielsweise im Falle Italiens, aber nicht der anderen großen Länder.


Kleine Änderung, große Wirkung
Die Berechnungen der IMK-Forscher zeigen, dass bereits kleine Veränderungen der Annahmen in der Schuldentragfähigkeitsanalyse spürbare Auswirkungen auf die Staatsfinanzen haben können. Geht man beispielsweise davon aus, dass die Alterungskosten nicht oder neutral in die Schuldentragfähigkeitsanalyse einfließen, so hätte allein Spanien nach dem Abschluss des in den Regeln vorgesehenen Anpassungszeitraums von vier Jahren rund 27 Milliarden Euro jährlich mehr Spielraum. Für Italien und Deutschland lägen die finanziellen Spielräume um gut 14 Milliarden Euro pro Jahr höher.


Lägen die Zinsen künftig um einen Prozentpunkt unter den Basisannahmen, würde dies den Spielraum nach vier Jahren für Italien um 16,6 Milliarden Euro, für Frankreich um 14,8 Milliarden Euro, für Deutschland um 11,4 Milliarden Euro und für Spanien um 8,3 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen. Auch wenn die neuen EU-Regeln nicht so drastisch wirkten wie die Sparprogramme in der Eurokrise 2012, könnten sie öffentliche Investitionsprogramme empfindlich einschränken, so Paetz und Watzka. Sie plädieren für eine Anpassung der Fiskalregeln und zusätzlich für die Einrichtung eines EU-weiten schuldenfinanzierten Investitionsfonds.


Trotz hoher Belastungen: Unternehmen stehen hinter der Energiewende

TÜV Sustainability Studie: 85 Prozent befürworten die Energiewende. Unternehmen kritisieren hohen finanziellen Aufwand, Bürokratie und mangelnde Anreize. Große Mehrheit setzt Maßnahmen für mehr Energieeffizienz um. Sorge vor Versorgungsengpässen.  #nachhaltigkeit #energiewende

Berlin/Duisburg, 12. September 2024 – Schwache Konjunktur, hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie. Trotz einer insgesamt angespannten Lage in der Wirtschaft befürworten 85 Prozent der Unternehmen in Deutschland die Energiewende. Und fast vier von fünf (79 Prozent) unterstützen das Vorhaben der EU, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum weltweit zu machen. Das hat eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands unter 500 Unternehmen ab 20 Mitarbeitenden ergeben.


„Die deutsche Wirtschaft steht nahezu geschlossen hinter der Energiewende“, sagte Dr. Michael Fübi, bei Vorstellung der „TÜV Sustainability Studie 2024“ in Berlin. „Die Energiewende ist aber auch eine enorme organisatorische und finanzielle Belastung für die Unternehmen. Für ihre Investitionen brauchen sie Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen.“  


Laut Umfrage bezeichnen 52 Prozent der Unternehmen die finanziellen Belastungen durch die Umstellung auf erneuerbare Energien als „sehr hoch“. Gut die Hälfte der Unternehmen (55 Prozent) beklagt die hohen regulatorischen Anforderungen, die für das Erreichen der Klimaziele an sie gestellt werden. Und fast jedes fünfte Unternehmen (19 Prozent) sieht sich wegen der Energiewende sogar in seiner Existenz bedroht. Auf der anderen Seite gibt ein Drittel (33 Prozent) an, dass ihr Unternehmen unter dem Strich von der Energiewende profitiert. Für 34 Prozent eröffnet die Energiewende ein hohes Innovationspotenzial und für 21 Prozent erschließen sich neue Absatzmärkte.


Fübi: „In der aktuell schwierigen konjunkturellen Lage brauchen die Unternehmen einen klaren wirtschafts- und energiepolitischen Kompass von der Bundesregierung.“ Laut den Ergebnissen der Studie sind die Unternehmen bei der Umsetzung der Energiewende bereits gut vorangekommen. Gut zwei von drei (69 Prozent) haben in den vergangenen fünf Jahren Maßnahmen zur Umstellung ihrer Energieversorgung und einer höheren Energieeffizienz umgesetzt, weitere 12 Prozent haben konkrete Pläne dafür.


Große Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden sind mit einem Anteil von 81 Prozent die Vorreiter, gefolgt von mittleren Unternehmen (50 bis 249 Mitarbeitende) mit 75 Prozent. Kleinere Unternehmen mit 20 bis 49 Mitarbeitenden liegen bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen mit 65 Prozent unter dem Schnitt. Der mit Abstand wichtigste Schritt ist der Umstieg auf erneuerbare Energieträger wie Sonne, Wind, Wasser oder Erdwärme: Fast drei Viertel der Unternehmen (74 Prozent) nutzen erneuerbare Energie, weitere 16 Prozent planen den Umstieg oder die intensivere Nutzung.


Laut Schätzung der Befragten liegt der Anteil der Erneuerbaren am Gesamtenergieverbrauch der Unternehmen im Schnitt bei 35 Prozent. Weitere Maßnahmen sind der Einsatz effizienterer Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme, die 59 Prozent installiert haben (17 Prozent planen das). Gut jedes zweite Unternehmen (52 Prozent) setzt auf die Herstellung oder Nutzung energieeffizienter Produkte und Anlagen. 44 Prozent führen Energieaudits durch, mit denen der Energieverbrauch des Unternehmens systematisch analysiert werden kann.


Aus der Untersuchung lassen sich konkrete Energiesparmaßnahmen ableiten. 40 Prozent schulen ihre Mitarbeitenden zu Nachhaltigkeitsthemen und 30 Prozent haben ein Energiemanagementsystem eingerichtet, das den Energieverbrauch effizient steuern und reduzieren soll. „Die Unternehmen sind bei der Umsetzung energieeffizienter Maßnahmen auf einem guten Weg“, sagte Fübi. „Nachholbedarf haben kleinere und mittlere Unternehmen, die nicht über große finanzielle und personelle Ressourcen verfügen und daher entsprechende Unterstützung bei der Energiewende benötigen.“


Als größtes Hindernis auf dem Weg zu höherer Energieeffizienz nennen 70 Prozent der Unternehmen die hohen Kosten. Es folgt mit 63 Prozent der hohe bürokratische Aufwand. Fast die Hälfte (45 Prozent) beklagt fehlende staatliche Förderungen oder sonstige finanzielle Anreize. Und 43 Prozent hatten Probleme, geeignete technische Dienstleister zu finden. Nur 9 Prozent hatten keinerlei Probleme. Fübi: „Hohe Kosten, komplizierte Verfahren und der Fachkräftemangel schlagen auch bei der Umsetzung der Energiewende durch.“


Sorge vor Versorgungsengpässen als Folge der Energiewende Trotz der insgesamt hohen Zustimmung für die Energiewende sind viele Unternehmen in Sorge. Gut zwei von drei (69 Prozent) befürchten, dass es als Folge der Energiewende zu Versorgungsengpässen, Störungen oder sogar Ausfällen kommen könnte. „Das deutsche Stromnetz kommt mit der Energie- und Verkehrswende an seine Belastungsgrenze“, sagte Fübi.


„Die Netze müssen zügig ausgebaut und digitalisiert werden, um die Netzstabilität bei einer zunehmend dezentralen und fluktuierenden Energieerzeugung auch in Zukunft gewährleisten zu können.“ Die befragten Unternehmen richten klare Forderungen an die Politik, um die Energiewende voranzutreiben und grüne Technologien am Standort Deutschland zu fördern. An der Spitze stehen schnellere Genehmigungsverfahren, die 95 Prozent als wichtig oder sehr wichtig für den Erfolg der Energiewende erachten. An zweiter Stelle stehen Forschungs- und Entwicklungsprogramme (89 Prozent).


87 Prozent halten Steuervergünstigungen und andere finanzielle Anreize für wichtig und 82 Prozent direkte Förderungen oder Subventionen. Geeignete rechtliche Rahmenbedingungen halten 70 Prozent der Befragten für wichtig. Aus Sicht des TÜV-Verbands geht es jetzt vor allem darum, die bereits beschlossenen regulatorischen Maßnahmen umzusetzen. So zielt das Gesetz zur Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie darauf ab, Verfahren zu vereinfachen. Das gilt insbesondere für Windkraftanlagen, für die so genannte Beschleunigungsgebiete ausgewiesen werden können. Hier können die Genehmigungszeiten deutlich verkürzt werden.


Das gleiche gelte für den Energieträger Wasserstoff. Mit einem eigenen Beschleunigungsgesetz und einer Importstrategie setzt die Bundesregierung wichtige Impulse für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. „Für den Aufbau der H2-Infrastruktur braucht es einheitliche Sicherheits- und Qualitätsstandards“, betonte Fübi. „Die Bundesregierung sollte sich intensiv dafür einsetzen, dass international harmonisierte Normen und Standards in der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette etabliert werden.“


Ein großer Hemmschuh für den Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems sind aus Sicht des TÜV-Verbands fehlende finanzielle Mittel als Folge der Haushaltskrise. Die Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) sollen drastisch sinken. „Die Kürzungen senden das falsche Signal an Unternehmen und Bürger:innen, die in saubere Energien, leistungsfähige Netze und klimaneutrale Produktion investieren wollen“, sagte Fübi. Darüber hinaus fehlten die Mittel, um die stark mittelständisch und von Startups geprägte Green-Tec-Branche stärker fördern zu können.


Fübi: „Wir brauchen klare finanzielle Anreize, mehr grünes Wagniskapital und regionale Kompetenzzentren, in denen sich Unternehmen unterschiedlicher Größe untereinander und mit Forschungseinrichtungen und Kapitalgebern vernetzen können.“

Der vollständige Studienbericht der „TÜV Sustainability Studie 2024“ und eine Präsentation sind abrufbar unter:
https://www.tuev-verband.de/pressemitteilungen/trotz-hoher-kosten-unternehmen-stehen-hinter-der-energiewende Die Energiewende und weitere Themen stehen im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitskonferenz „TÜV SustainCon 2024“, die heute in Berlin und online stattfindet. Eine Teilnahme ist kurzfristig möglich unter: www.tuev-verband.de/events/konferenzen/tuev-sustainability-conference-2024 


Innenstädte müssen sich wandeln Ruhr-IHKs veröffentlichen - Handelsreport Ruhr 2024

Duisburg, 11. September 2024 - Es gibt zwar nicht weniger, aber dafür kleinere Geschäfte: So lautet eine Erkenntnis des neuen Handelsreports. Die IHKs im Ruhrgebiet zeigen mit dem Bericht, welche Trends es im regionalen Einzelhandel gibt. Dafür sammelten sie Daten von allen Einzelhandels-Betrieben mit mehr als 650 Quadratmetern Verkaufsfläche. Berücksichtigt wurden damit Geschäfte, die mindestens so groß sind wie kleinere Supermärkte.  


Die gute Nachricht vorab: Verglichen mit 2022 ist die Zahl der Betriebe in etwa gleichgeblieben. „Doch die Gesamtverkaufsfläche ist weiter rückläufig. Mit einem Rückgang um rund 97.000 Quadratmeter auf rund 6,90 Millionen Quadratmeter ist dies eine deutlich stärkere Abnahme als in den Jahren zuvor“, so Jörg Lehnerdt, Regionalleiter bei der BBE Handelsberatung. Diese hat die Erhebung im Auftrag der Ruhr-IHKs durchgeführt.


Eine Ausnahme gibt es nur bei den Lebensmittelgeschäften: Vor allem Discounter werden immer größer. Zahlenmäßig gleichen sie damit den Leerstand einiger Real-Märkte im Ruhrgebiet aus. Besonders in den Innenstädten falle leere Geschäfte auf. Wenn große Kaufhäuser schließen, fällt das deshalb deutlich ins Gewicht. Das zeigt sich auch in Gelsenkirchen, Duisburg oder Hagen: Hier musste Galeria schließen.


„Die Leerstandsquote ist leicht gestiegen und liegt in den Innenstädten im Ruhrgebiet bei 14 Prozent“, so Lehnerdt. Diese Lücken lassen sich nur schwer füllen. Handelsimmobilien mit viel Fläche sind nicht mehr so stark nachgefragt.  


„Unsere Innenstädte müssen sich wandeln. Wir wissen schon länger: Es geht nicht mehr nur ums Einkaufen. Was wir brauchen, ist ein bunter Mix aus Handel, Kultur, Genuss, Erlebnis und Wohnen“, so Dr. Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK und diesjähriger Federführer der Ruhr-IHKs. Der diesjährige Handelsreport nimmt auch die Shopping-Center in den Innenstädten unter die Lupe.


Mit Blick auf die vergangenen Jahre wird deutlich: Die Strukturen müssen ausgeglichen sein. „Wir brauchen Vielfalt, um die Menschen zurück in die City zu bringen. Gemeinsam mit Politik und Verwaltung setzen wir uns dafür ein. Passende Konzepte gibt es nicht von der Stange. Die müssen für jede Stadt individuell entwickelt werden“, so Dietzfelbinger.   


Die Befragung für den IHK-Handelsreport Ruhr fand zwischen März und April 2024 statt. Befragt wurden alle Einzelhändler mit einer Verkaufsfläche von mindestens 650 Quadratmetern. Die Untersuchung erstreckt sich auf die sechs IHK-Bezirke des Ruhrgebiets. Damit sind auch der Kreis Kleve und der Märkische Kreis abgedeckt.  

Der gesamte IHK-Handelsreport Ruhr 2024 ist abrufbar unter:  www.ihkhandelsreport.ruhr


IHK: Scholz sollte zum Stahlgipfel kommen

Bundesweiter Kongress am 16. September in Duisburg  
Duisburg, 4. September 2024 -
In der Stahlindustrie brodelt es. Viele Arbeitsplätze hängen am seidenen Faden. Zum Stahlgipfel am Montag, 16. September treffen sich alle wichtigen Akteure aus Politik und Industrie in Duisburgs Mercatorhalle (12 – 20 Uhr). Die Niederrheinische IHK erwartet die Teilnahme von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Die Branche, der Standort, die Zukunft der Industrie – zu vieles steht auf dem Spiel. Wir brauchen jetzt ein klares politisches Bekenntnis“, fordert IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger.  


Für den zweiten Nationalen Stahlgipfel haben sich wichtige Entscheidungsträger angekündigt – vom Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, über Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bis hin zur Kerstin Jorna, EU-Generaldirektorin für Industrie. Nur ein Name fehlt: Der von Bundeskanzler Olaf Scholz. Dabei könnten Ort und Zeitpunkt nicht besser gewählt sein. Bei seinem Besuch vor zwei Wochen in der Region hatte Scholz das Thema Stahl ausgespart. Jetzt ist es laut IHK an der Zeit, das für Deutschland zentrale Thema aufzugreifen. Die offenkundige Krise an Europas wichtigstem Stahlstandort in Duisburg zeige, dass die Zeit drängt.  


„Die CO2-Ziele wollen wir durch grünen Stahl einhalten, nicht durch stillgelegte Hochöfen. Dann kommt der Stahl aus China. Das ist schlecht für den Standort, für Arbeitsplätze und für die Umwelt“, warnt Dietzfelbinger. „Wissen, das uns in vielen Bereichen zum Weltmarktführer gemacht hat, geht dann verloren. Die Industrie darf nicht weiter abwandern. Wir erwarten, dass Olaf Scholz nach Duisburg kommt. Und zwar mit einem Bekenntnis, wie wir die Industrie zukunftssicher machen“, so Dietzfelbinger, der neben seiner Funktion als IHK-Chef auch für die bundesweite IHK Allianz Stahl spricht: „Stahl muss Chefsache sein.“


Die IHKs beklagen seit langem zu hohe Energiepreise und zu wenig Innovation. „Wir können in Duisburg Wasserstoffregion Nummer eins bleiben. Das geht nur, wenn neue Anlagen und Verfahren nicht endlos geprüft werden. Es lässt sich nicht jedes letzte Risiko abschätzen. Erfahrungen sammeln und lernen sollte das Ziel sein. Nur dann können wir unsere Technologien in die Welt verkaufen,“ betont Dietzfelbinger.

Programm und zu den Teilnehmern des Stahlgipfels:
https://stahl-gipfel.mohr-live.de/programm.php

Ruhr IHKs: „Wir brauchen mehr Geld für Straßen und Brücken“

10-Punkte-Plan für bessere Infrastruktur an NRW-Verkehrsminister Krischer überreicht   Immer mehr Straßen und Duisburg, 30. August 2024 - Brücken im Ruhrgebiet sind marode. Das belastet die Wirtschaft. Die Unternehmen sind schlecht erreichbar und können ihre Waren nicht transportieren. Sie sind verunsichert und zögern, wenn es um Investitionen in den Standort geht. Die Ruhr-IHKs haben Ideen, wie es auf dem Asphalt wieder besser laufen könnte.


Ihren Plan überreichten sie nun NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer. Ganz oben auf der Liste: mehr Geld, um Straßen zu reparieren und auszubauen. Außerdem fordern sie, Baustellen besser zu managen und kaputte Brücken schneller zu ersetzen.   Es ist voll auf den Straßen zwischen Rhein und Ruhr – und das nicht nur nach Feierabend. Viele Lkw dürfen die wichtigen Routen über die A40, A42 oder A3 teilweise nicht nutzen. Die Brücken sind zu instabil. Für die Unternehmen bedeutet das: Stress.  

„Kaputte Straßen und Brücken sind eines unserer größten Probleme. Dauerstau gehört mittlerweile zum Alltag unserer Ruhrwirtschaft. Hinzu kommt eine Konjunktur, die seit Monaten in den Seilen hängt. Das alles belastet die Betriebe. Die Konsequenzen sind deutlich: Investitionen gehen zurück und neue Unternehmen wollen sich nicht ansiedeln“, beklagt Ralf Stoffels, Präsident der Südwestfälischen IHK, beim Austausch mit Minister Krischer.  


Dr. Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK, warnt: „Wir haben starke Unternehmen, ein dichtes Straßennetz. Eigentlich beste Voraussetzungen. Probleme machen uns steigende Baukosten und lange Verfahren. Sie führen dazu, dass uns die Brösel-Brücken aus den 70er-Jahren immer stärker abhängen. Die Politik muss dringend nachbessern. Wir brauchen mehr Geld, schnellere Planung und zügige, gute Lösungen. Das heißt auch: nicht jedes Anliegen kann berücksichtigt werden.“  


Die Ruhr-IHKs sind sich einig: Der Sanierungsstau ist groß. Zugleich sind die Verfahren veraltet. Sie erwarten deswegen in den nächsten Jahren deutlich mehr Baustellen in der Region. Sie fordern: „Das Ruhrgebiet muss Modellregion für schnellen Brückenbau werden. Mehr als zwei bis drei Jahre sollten auch aufwendige Verfahren nicht dauern. Außerdem brauchen wir eine Task Force, die die Baustellen besser aufeinander abstimmt“, so Stoffels. Bauunternehmen haben neue Methoden, Brücken in viel kürzerer Zeit zu erneuern. Das sollte die Politik stärker fördern und nutzen.  


Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, dazu: „Uns holen leider die Fehler vergangener Jahrzehnte ein, in denen zu wenig in den Erhalt von Infrastruktur investiert wurde. Die Bürger und die Unternehmen sind auf eine intakte Infrastruktur angewiesen. Deshalb hat für uns die Sanierung Priorität. Mit der Sanierungsoffensive NRW haben wir einen klaren Fahrplan für Straßen, Brücken und Infrastrukturanlagen vorgelegt, um den Standort Nordrhein-Westfalen zukunftsfest zu machen. J

etzt geht es an die Umsetzung und wir machen Tempo, etwa durch Rekordinvestitionen bei der Sanierung und schnellere Modulbauweisen für Brücken-Ersatzbauten. Ich freue mich, dass die IHKs diese Offensive unterstützen. Denn die Sanierung unserer Verkehrsinfrastruktur wird eine Kraftanstrengung, die nur gemeinsam gemeistert werden kann.“    

Den 10-Punkte-Plan können Sie hier abrufen:
www.ihk.de/niederrhein/10punkteplan  

Ralf Stoffels, Präsident der Südwestfälischen IHK, übergibt NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (beide mittig) im Beisein der Präsidentinnen und Präsidenten der Ruhr-IHKs den 10-Punkte-Plan für eine verlässliche Infrastruktur. Foto: Niederrheinische IHK/Bettina Engel-Albustin



Rezessionsrisiko spürbar gesunken

IMK-Konjunkturindikator zeigt erstmals seit Monaten nicht mehr „rot“
Düsseldorf/Duisburg 21. August 2024 - Die Aussichten für die Konjunktur in Deutschland hellen sich langsam auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen spürbar gesunken. Das signalisiert der Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.


Für das zweite Quartal 2024 von April bis Ende Juni weist der Indikator, der die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 48,7 Prozent aus. Anfang März betrug sie für die folgenden drei Monate noch 58,3 Prozent. Die statistische Streuung im Indikator, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, ist mit 18,7 Prozent zwar relativ hoch und etwas gestiegen.


Der Rückgang des Rezessionsrisikos ist aber so stark, dass das nach dem Ampelsystem arbeitende Konjunktur-Frühwarninstrument erstmals seit Juni 2023 nicht mehr „rot“ anzeigt. Stattdessen wechselt er auf „gelb-rot“, was eine erhöhte konjunkturelle Unsicherheit signalisiert, aber keine akute Rezessionsgefahr mehr. Der spürbare Rückgang des Rezessionsrisikos beruht vor allem darauf, dass sich die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe nach den aktuellsten verfügbaren Daten erholt hat.


Da sich die Energiepreise stabilisiert haben, geht das IMK davon aus, dass auch die Produktion in energieintensiven Branchen und insbesondere in der Chemieindustrie „ihren Tiefpunkt durchschritten“ und weiteres Aufwärtspotenzial hat. Für eine weitere Erholung der Industrieproduktion sprechen auch Zuwächse beim Export. Weitere Positiv-Faktoren für die Konjunktur sind aufgehellte Stimmungs- und Finanzmarktindikatoren.


So hat sich der „Finanzmarktstress“, den das IMK mit einem eigenen Indikator ermittelt, ebenfalls spürbar entspannt. Unter dem Strich „zeigt sich nunmehr eine Mehrzahl konjunktureller Frühindikatoren aufwärtsgerichtet“, fasst IMK-Konjunkturexperte Peter Hohlfeld die aktuelle Situation zusammen. Zwar gebe es Ausreißer, etwa die schwachen Einzelhandelsumsätze. „Eine Aufhellung der Konjunktur deutet sich aber stärker an als in den Vormonaten.“


Die neuen Indikatorwerte stehen in Einklang mit der aktuellen IMK-Konjunkturprognose, wonach sich die deutsche Wirtschaft nach einer Rezessionsphase im Winter langsam aus ihrer Flaute arbeitet. Dabei kommen zunehmend vom privaten Konsum wichtige Impulse. „Im Jahresverlauf dürfte dann neben der steigenden Auslandsnachfrage auch die sich angesichts moderater Inflation und weiter steigender Löhne deutlich verbessernde Kaufkraft der Haushalte dafür sorgen, dass es zu einer Belebung der Konjunktur kommt“, erklärt Hohlfeld.



IMK-Konjunkturindikator: Rezessionsrisiko erneut leicht gestiegen

Düsseldorf/Duisburg, 19. August 2024 - Die Aussichten für die Konjunktur in Deutschland haben sich erneut leicht eingetrübt. Das signalisiert der monatliche Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen noch einmal leicht gestiegen.


 Für den Zeitraum von August bis Ende Oktober weist der Indikator, der die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 49,2 Prozent aus. Anfang Juli betrug sie für die folgenden drei Monate 44,4 Prozent. Auch die statistische Streuung im Indikator, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, hat sich leicht erhöht. Trotz der Eintrübung zeigt der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator wie in den Vormonaten „gelb-rot“, was eine erhöhte konjunkturelle Unsicherheit signalisiert, aber keine akute Rezessionsgefahr.


 Zwischen Juni 2023 und März 2024 hatte die Konjunkturampel noch durchgängig auf „rot“ gestanden. Die aktuelle Zunahme des Rezessionsrisikos beruht im Wesentlichen darauf, dass sich mehrere Finanzmarkt- und Stimmungsindikatoren verschlechtert haben. Besonders stark wirkten sich die zuletzt relativ hohe Zahl der Unternehmensinsolvenzen aus sowie die praktisch weltweit lahmende Entwicklung der Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe, die alle großen Wirtschaftsräume mit Ausnahme Indiens betrifft.


 Von den realwirtschaftlichen Frühindikatoren, die das IMK auswertet, kamen uneinheitliche Signale: Zwar legten die Produktion und die Auftragseingänge im Produzierenden bzw. Verarbeitenden Gewerbe nach den letzten verfügbaren Daten vom Juni zu. Allerdings konnte damit lediglich ein Teil der Rückgänge aus den Vormonaten kompensiert werden. Zudem nahmen die deutschen Exporte zeitgleich ab, und die Exporterwartungen trübten sich ein.


 Auch die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen ist weiter rückläufig, wenn auch auf nach wie vor hohem Niveau. „Der deutschen Wirtschaft fehlt es weiter an Impulsen, um sich aus der Stagnation zu befreien“, ordnet IMK-Konjunkturexperte Peter Hohlfeld die neuen Daten ein. „Zwar signalisierten Produktion und Auftragseingänge im Verarbeiten Gewerbe jüngst einen Hoffnungsschimmer, aber die Warennachfrage, insbesondere aus dem Ausland, bleibt bislang zu schwach, als dass die Industrie einen Impuls setzen kann. Und auch der private Verbrauch erholt sich trotz der seit nunmehr drei Quartalen wieder positiven Realeinkommensentwicklung nicht so schnell, wie erwartet“, so Hohlfeld. In seiner aktuellen Konjunkturprognose rechnet das IMK für dieses Jahr mit einem minimalen Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent.

Leichter Anstieg der Teuerungsraten im Juli, Kernrate sinkt

Düsseldorf/Duisburg, 14. August 2024 - Die Inflationsrate in Deutschland ist im Juli gegenüber Juni leicht von 2,2 auf 2,3 Prozent gestiegen. Hauptgründe dafür waren ein etwas stärkerer Anstieg der weitgefassten Nahrungsmittelpreise (um 2,2 Prozent) und dass die Entwicklung der Energiepreise zwar weiterhin den generellen Preisauftrieb dämpfte, aber weniger stark als im Juni. Dementsprechend sind auch die Inflationsraten einiger Haushaltstypen, die sich nach Einkommen und Personenzahl unterscheiden, leicht gestiegen.


Der Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten haushaltsspezifischen Inflationsrate war relativ gering und betrug 0,6 Prozentpunkte. Zum Vergleich: Im Juli 2023 waren es 1,0 Prozentpunkte und auf dem Höhepunkt der Inflationswelle im Herbst 2022 sogar 3,1 Prozentpunkte. Während einkommensschwache Haushalte im Mittel des Jahres 2022 und auch 2023 eine deutlich höhere Teuerung schultern mussten als Haushalte mit mehr Einkommen, war ihre Inflationsrate trotz eines leichten Anstiegs im Juli 2024 wie in den Vormonaten unterdurchschnittlich: Der Warenkorb von Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen verteuerte sich um 1,7 Prozent, der von Familien mit niedrigen Einkommen um 1,8 Prozent.


Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor, den das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt.* Insgesamt lag die Inflationsrate von sieben der untersuchten neun Haushaltstypen im Mai bei oder leicht unter zwei Prozent, die der übrigen bei 2,2 und 2,3 Prozent. Trotz des leichten Wiederanstiegs der Teuerungsrate sei im Jahresverlauf eine weitere Abschwächung bei der Preisdynamik absehbar, analysieren die Forschenden. Da gleichzeitig die Konjunkturentwicklung auch aufgrund der hohen Zinsen schwach ist und Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte bestehen, halten die Fachleute des IMK weitere Zinssenkungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) für dringend nötig und einen Senkungsschritt beim nächsten EZB-Zinsentscheid im September auch für wahrscheinlich.


Dr. Silke Tober, IMK-Inflationsexpertin, und der wissenschaftliche Direktor Prof. Dr. Sebastian Dullien berechnen seit Anfang 2022 monatlich spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Zahl und Alter der Mitglieder sowie nach dem Einkommen unterscheiden (mehr zu den Typen und zur Methode unten und in der Abbildung in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Seit kurzem liefert der Monitor ein erweitertes Datenangebot: Online lassen sich längerfristige Trends der Inflation für alle sowie für ausgewählte einzelne Haushalte im Zeitverlauf in interaktiven Grafiken abrufen (Link zur Datenbank unten).


Die längerfristige Betrachtung illustriert, dass ärmere Haushalte während der Teuerungswelle bis in den Sommer 2023 hinein besonders stark durch die Inflation belastet waren, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese waren lange die stärksten Preistreiber. Im Laufe der letzten Monate hat die Preisdynamik dort aber nachgelassen, so dass sich die einkommensspezifischen Differenzen seit dem Höhepunkt im Oktober 2022 deutlich verändert haben. Damals hatten Familien mit niedrigen Einkommen die höchste Inflationsbelastung im Haushaltsvergleich mit 11,0 Prozent.


Dagegen waren es beim Haushaltstyp der Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen 7,9 Prozent. Vor einem Jahr, im Juli 2023, waren es Alleinlebende mit niedrigen Einkommen, die mit der höchsten Teuerungsrate konfrontiert waren – 6,5 Prozent. Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen lagen auch in jenem Monat mit 5,5 Prozent deutlich niedriger und unter der hohen allgemeinen Inflationsrate von damals 6,2 Prozent.


Aktuell verteuern sich die spezifischen Warenkörbe von ärmeren Haushalten weniger stark als der Durchschnitt, weil die im Jahresvergleich geringeren Preise für Haushaltsenergie bei ihnen ein relativ großes Gewicht haben. Allerdings stiegen bei ihnen wegen der leicht anziehenden Teuerung bei Lebensmitteln die haushaltsspezifischen Inflationsraten von Juni auf Juli um 0,1 (Alleinlebende) bzw. 0,2 Prozentpunkte (Familien), während sie für die meisten anderen Haushalte stabil blieben.


Dass wiederum Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen mit 2,3 Prozent aktuell eine leicht höhere Inflationsrate haben als die übrigen Haushalte im Vergleich, liegt daran, dass diese Haushalte stärker als andere etwa Kfz-Versicherungen, Restaurantdienstleistungen, Gesundheitsdienstleistungen oder Dienstleistungen zur Wohnungsinstandhaltung nachfragen, deren Preise aktuell deutlich anziehen. Das gilt tendenziell auch für Paare mit Kindern und hohen Einkommen, deren Warenkorb sich im Juli um 2,2 Prozent verteuerte.


Die Inflationsraten von Paaren ohne Kinder und von Paaren mit Kindern und jeweils mittleren Einkommen betrugen je 2,0 Prozent, ebenso hoch fiel die Teuerung für Alleinlebende mit höheren Einkommen aus. Bei Alleinlebenden und bei Alleinerziehenden mit jeweils mittleren Einkommen legten die Preise im Jahresvergleich um je 1,9 Prozent zu.




„Trotz des leichten Preishüpfers im Juli liegt die Inflationsrate für fast alle Haushaltstypen nahe an der EZB-Zielinflation. Das ist ein wichtiges Signal für die Geldpolitik. Allerdings darf dabei nicht ausgeblendet werden, dass das Preisniveau deutlich höher ist als vor der Inflationswelle. Die Kaufkraft eines Teils der Haushalte hat sich von dem Teuerungsschub noch nicht vollständig erholt. Das gilt insbesondere für Familien der Mittelschicht, wie wir kürzlich in einer Studie gezeigt haben“, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien.  


Kerninflation weist nach unten, trotz staatlicher Maßnahmen, die die Preise antreiben Dullien und Tober rechnen im weiteren Jahresverlauf mit nachlassendem Teuerungsdruck, auch bei den Dienstleistungspreisen, die zuletzt kräftig angezogen haben und deshalb zu Recht unter besonderer Beobachtung stünden. Nach saisonbereinigten Daten der Deutschen Bundesbank war der Anstieg der Dienstleistungspreise in Deutschland im Juli im 12-Monats-Vergleich bereits leicht rückläufig.


In dem für die EZB besonders wichtigen harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) fiel der Anstieg der Dienstleistungspreise im Juli sogar um 0,3 Prozentpunkte niedriger aus als im Juni. Die leichte Entspannung wirkte sich auch auf die Kernrate aus, also die Inflationsrate ohne Berücksichtigung der schwankungsanfälligen Posten Energie und Nahrungsmittel. Sie sank nach dem VPI-Konzept im Juli um 0,2 Prozentpunkte. Dabei müsse zudem noch berücksichtigt werden, dass die Rückkehr zum normalen Mehrwertsteuersatz auf Speisen im Gastgewerbe vom Jahresanfang noch nachwirke und dieser Effekt die Kernrate erhöhe, erklären die Fachleute des IMK.


Dullien und Tober rechnen damit, dass die EZB den Leitzins im September erneut senken wird. „Angesichts der sich weitgehend in Einklang mit den Erwartungen entwickelnden Preise und Löhne im Euroraum“ sei das die richtige Entscheidung, und sollte auch nicht das Ende des Zinssenkungskurses sein, mahnen die Forschenden, denn: „Aktuell dämpft das deutlich restriktive Zinsniveau die Konjunktur und insbesondere die Investitionen.


Die Europäische Zentralbank hat bislang die Zinsen nur sehr zögerlich gesenkt, obwohl die Inflation aus heutiger Sicht bereits im kommenden Jahr das Inflationsziel von zwei Prozent erreichen wird.“ Gerade in Deutschland berge die anhaltende Wirtschaftsschwäche die Gefahr mittelfristig zu niedriger Lohnsteigerungen, eines Abbaus von Produktionskapazitäten und einer Verknappung von Fachkräften, weil etwa weniger ausgebildet werde oder Arbeitnehmende bei Stellenabbau in den frühzeitigen Ruhestand entlassen werden.

Hingegen würde eine durch gesenkte Zinsen unterstützte wirtschaftliche Belebung Unternehmen schon kurzfristig doppelt entlasten: Einmal durch niedrigere Finanzierungskosten, zum zweiten, indem eine bessere Auslastung und mehr Investitionen die Produktivität steigern.   

Im Inflationsmonitor werden neun repräsentative Haushaltstypen betrachtet: Paarhaushalte mit zwei Kindern und niedrigem (2000-2600 Euro), mittlerem (3600-5000 Euro), höherem (mehr als 5000 Euro) monatlichem Haushaltsnettoeinkommen; Haushalte von Alleinerziehenden mit einem Kind und mittlerem (2000-2600 Euro) Nettoeinkommen; Singlehaushalte mit niedrigem (unter 900 Euro), mittlerem (1500-2000 Euro), höherem (2000-2600 Euro) und hohem (mehr als 5000 Euro) Haushaltsnettoeinkommen sowie Paarhaushalte ohne Kinder mit mittlerem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 3600 und 5000 Euro monatlich. Der IMK Inflationsmonitor wird monatlich aktualisiert.  


 

Kaufkraft bei vielen Haushalten wieder auf Niveau von 2021

Staat hat „kalte Progression“ zwischen 2021 und 2024 für die meisten Arbeitnehmer*innen-Haushalte ausgeglichen  
Düsseldorf/Duisburg, 20. Juli 2024 - Umfassende Berechnung für Steuern und Sozialabgaben Staat hat „kalte Progression“ zwischen 2021 und 2024 für die meisten Arbeitnehmer*innen-Haushalte ausgeglichen – Kaufkraft bei vielen Haushalten wieder auf Niveau von 2021 Die aktuelle Bundesregierung hat seit Ihrem Amtsantritt 2021 die so genannte „kalte Progression“ für die meisten Haushalte vollständig ausgeglichen und für viele Haushalte sogar überkompensiert.


Wenn man sowohl Steuern als auch Sozialabgaben und zudem die Zahlungen aus dem Kindergeld berücksichtigt, haben die meisten Arbeitnehmer*innenhaushalte in Deutschland heute mindestens so viel Netto vom Brutto wie 2021, einige sogar deutlich mehr. Ausnahme sind dabei Familien mit Kindern im mittleren Einkommensbereich, bei denen eine unterproportionale Erhöhung des Kindergeldes und erhöhte Sozialabgaben das Nettogehalt so stark schmälern, dass ihnen von jedem verdienten Euro netto weniger bleibt als 2021.


Trotz der unter dem Strich unterstützenden Politik hat aber die Kaufkraft der meisten deutschen Arbeitnehmer*innenhaushalte durch die hohe Inflation der letzten Jahre kaum Fortschritte gemacht. Betrachtet man nicht nur die Veränderung bei Steuern und Abgaben, sondern auch die haushaltsspezifische Inflation und die Lohnsteigerungen, so bleibt nur wenigen Haushalten spürbar mehr Kaufkraft als 2021. Das ergibt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.* 


Unter dem Begriff „kalte Progression“ versteht man, wenn Beschäftigte durch Lohnerhöhungen, die einzig die Teuerung ausgleichen, höhere Steuersätze zahlen müssen. Um dies zu vermeiden, hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren wiederholt den Steuertarif angepasst. Wie die Untersuchung von Prof. Dr. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK, sowie seinen beiden Kolleginnen Dr. Katja Rietzler und Dr. Silke Tober, zeigt, spielen die Sozialversicherungsbeiträge eine zentrale Rolle.


Für die Frage nach der „kalten Progression“ wird in der Studie daher ein weit gefasster Begriff zugrunde gelegt, der Entwicklungen bei der Einkommensbesteuerung und bei der Sozialversicherung berücksichtigt.  So ist die Steuer- und Abgabenbelastung für praktisch alle Singlehaushalte und Paarhaushalte ohne Kinder entweder – bis auf kaum messbare Veränderungen im Promillebereich – unverändert geblieben oder gefallen, und damit der Anteil des Nettoverdienstes an den Bruttoeinkommen gestiegen.





Deutlich entlastet wurden dabei vor allem Single-Haushalte mit Bruttoeinkommen von unter 20.000 Euro und mehr als etwa 50.000 Euro pro Jahr (bei Paaren ohne Kinder mit jeweils den doppelten Werten). Familien mit Kindern im mittleren Einkommensbereich wurden in der Summe durch die Veränderungen bei Steuern, Abgaben und Kindergeld allerdings etwas schlechter gestellt, zumindest, wenn man alle Zahlungen einschließlich des Kinderbonus´ 2021 berücksichtigt (Abbildung 3).




Entlastung für Familien mit mittleren Einkommen funktioniert am besten über höheres Kindergeld „Eine Notwendigkeit für eine allgemeine Senkung der Einkommensteuer etwa durch eine Verschiebung des Steuertarifs ist deshalb nach dieser Analyse nicht gegeben und sollte auch gerade vor dem Hintergrund der engen Finanzierungsspielräume unter der Schuldenbremse sehr genau überlegt werden“, schreiben die Forschenden. Wenn man zielgenau Familien mit niedrigeren bis mittleren Einkommen entlasten wolle, sei dafür am besten eine stärkere Erhöhung des Kindergeldes geeignet.


Um zu ermitteln, wie sich die Kaufkraft von Arbeitnehmer*innen in den stark von hoher Inflation geprägten Jahren seit 2021 verändert hat, ist es nach Analyse der Forschenden allerdings nicht ausreichend, nur Steuern und Abgaben zu betrachten. „Das volle Bild ergibt sich erst, wenn man Steuern, Abgaben, Löhne und die für die einzelnen Haushalte relevanten Preise zusammen analysiert“, erläutert IMK-Direktor Dullien. Hier zeige sich, dass viele Arbeitnehmer*innen-Haushalte in Deutschland bei der Kaufkraft trotz des Ausgleichs der „kalten Progression“ seit 2021 kaum Fortschritte gemacht haben. Grund sei hier, dass die Löhne in den vergangenen Jahren trotz vergleichsweise hoher nominaler Zuwachsraten mit den Preisen in vielen Fällen nicht vollständig mitgehalten haben. 


Dies gilt insbesondere für Haushalte mit Kindern, die wegen des hohen Anteils an Ausgaben für Lebensmittel und Energie an ihren Warenkörben eine besonders hohe Teuerung erlebt haben. Alleinerziehende und Paarfamilien mit Kindern und mittleren Einkommen stehen so bei ihrer Gesamtkaufkraft etwas schlechter da als vor drei Jahren und verzeichnen gegenüber 2021 „Kaufkraftlücken“ von bis zu 492 Euro.


Deutlich besser sieht es für einen Teil der Alleinstehenden aus, vor allem für Singles mit hohen Einkommen und etwas abgeschwächt auch für Personen, die im Niedriglohnbereich arbeiten.  Gestärkt wird aktuell gegenüber 2021 auch die Kaufkraft von Arbeitnehmer*innen, die eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie bekommen. Mit Prämie können auch Alleinstehende mit mittleren Einkommen einen Kaufkraftzuwachs um mehrere hundert Euro verbuchen, während ohne Prämie in dieser Gruppe die Kaufkraft praktisch stagniert.

Kaufkraftlücken beim Netooeinkommen in Euro



Da es sich bei den Prämien um Einmalzahlungen handelt, fällt dieser positive Effekt 2025 allerdings weg. „Kaufkrafteinbußen können nur vermieden werden, wenn dies in den Tarifabschlüssen berücksichtigt wird“, analysiert IMK-Direktor Dullien.  

„Der Staat hat bei der Einkommensteuer seine Hausaufgaben gemacht, um eine Zusatzbelastung durch die hohe Inflation auszugleichen“, so Dullien weiter. Auch die Tarifparteien hätten deutlich dazu beigetragen, dass die durch die Energie- und Nahrungsmittelschocks entstandenen Kaufkraftlücken bereits in diesem Jahr teils geschlossen, teils zumindest deutlich verkleinert wurden. Das sei angesichts der stagnativen Entwicklung ein deutlicher Erfolg. „Mit dem Abklingen der Schocks sollten absehbar auch wieder Reallohnsteigerungen möglich sein“, so Dullien. Von 2009 bis 2019 etwa legten die realen Stundenlöhne im Jahresschnitt um fast 1,5 Prozent zu – im deutlichen Kontrast zu der Stagnation von 2021 bis 2024.