Neue Daten des IMK Inflationsmonitors

Düsseldorf/Duisburg, 16. Juli 2023 - Gegen den Trend in
anderen großen Euroländern ist die Inflationsrate in
Deutschland im Juni wieder leicht gestiegen, auf nun 6,4
Prozent. Das beruht auf dem Sondereffekt, dass im Juni 2022
das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt in Kraft traten und
über drei Monate die Preisentwicklung dämpften. Deutlich
überdurchschnittlich von der Teuerung belastet sind
weiterhin Alleinlebende mit niedrigen Einkommen. Sie hatten
im Juni 2023 eine Inflationsrate von 7,0 Prozent zu tragen,
die höchste im Vergleich verschiedener Haushaltstypen.
Dagegen verzeichneten Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen eine
Teuerungsrate von 5,7 Prozent – und wie schon seit Anfang
2022 die niedrigste haushaltsspezifische Belastung. Die
soziale Spreizung bei der Inflation betrug damit 1,3
Prozentpunkte, nachdem es im Mai 1,5 Prozentpunkte waren.
Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der
Hans-Böckler-Stiftung.*
Ärmere Haushalte sind besonders stark durch die Inflation
belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets
für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen.
Diese Güter des Grundbedarfs sind nach wie vor die stärksten
Preistreiber. Im Vergleich der letzten Monate hat die
Preisdynamik dort aber nachgelassen, während Posten wie
Pauschalreisen, Gaststättenbesuche oder Versicherungen die
allgemeine Inflation etwas stärker beeinflussen. Solche
Ausgaben fallen in den Warenkörben von Haushalten mit
mittleren und höheren Einkommen stärker ins Gewicht. Deshalb
sind die einkommensspezifischen Differenzen rückläufig und
spürbar niedriger als auf dem Höhepunkt im Oktober 2022, als
es 3,1 Prozentpunkte waren.
Die IMK-Inflationsexpertin Dr. Silke Tober und IMK-Direktor
Prof. Dr. Sebastian Dullien analysieren mit dem Monitor seit
Anfang 2022 jeden Monat die Trends der Inflation und
berechnen spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative
Haushaltstypen, die sich nach Personenzahl und Einkommen
unterscheiden. Erstmals seit Beginn der Untersuchung
verzeichneten im Juni Familien mit niedrigen Einkommen keine
höhere Inflationsrate als der Durchschnitt aller Haushalte –
beide Werte stiegen leicht auf 6,4 Prozent.
Dagegen hatten ärmere Familien zwischen Februar 2022 und
Februar 2023 durchgehend die höchste Inflationsbelastung
tragen müssen, in den ersten beiden Monaten 2023 zusammen
mit einkommensarmen Alleinlebenden. Dass die ärmeren
Familien nun nicht mehr hervorstechen, beruht auf
rückläufigen Kraftstoffpreisen. Diese schlagen sich
rechnerisch im Ausgabenportfolio von Familien spürbar
nieder. Arme Alleinstehende besitzen hingegen selten ein
Auto, weshalb ihre Inflationsrate davon weniger beeinflusst
wird.
Die Teuerungsraten der übrigen untersuchten Haushaltstypen
lagen im Juni knapp unterhalb der allgemeinen
Inflationsrate, wobei der Abstand zum Durchschnitt meist mit
dem Einkommen steigt. So betrug die Inflation für
Alleinerziehende, für Alleinlebende und für kinderlose Paare
mit jeweils mittleren Einkommen je 6,2 Prozent. Bei
Alleinlebenden mit höheren Einkommen schlug die Inflation
mit 6,1 Prozent zu Buche, bei Familien mit mittleren und mit
hohen Einkommen waren es jeweils 6,0 Prozent

Trotz des nachlassenden Drucks bei den Preisen für
Haushaltsenergie und Lebensmitteln spielen diese
Kostenfaktoren für Haushalte mit niedrigeren Einkommen
weiterhin eine besonders große Rolle, wie der
Detailvergleich zeigt. Bei ärmeren Alleinlebenden trugen sie
im Juni 4,2 Prozentpunkte zu der haushaltsspezifischen
Inflationsrate von 7,0 Prozent bei. Bei Familien mit zwei
Kindern und niedrigeren Einkommen summierten sie sich auf
4,0 Prozentpunkte, bei Familien mit mittleren Einkommen
immerhin noch auf 3,0 Prozentpunkte.
Bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen
trugen Nahrungsmittel und Haushaltsenergie hingegen
lediglich 1,7 Prozentpunkte zur Inflationsrate von insgesamt
5,7 Prozent bei. Das Problem wird vor allem für Haushalte
mit niedrigen Einkommen dadurch verschärft, dass die
Alltagsgüter, die sie vor allem kaufen, kaum zu ersetzen
sind und viele nur geringe finanzielle Rücklagen haben. Für
eine Entwarnung bei der Inflation sei es noch deutlich zu
früh, schreiben Tober und Dullien.
Wie viele andere Fachleute beobachten die IMK-Expert*innen
aufmerksam die Kernrate, also die Inflation ohne die
besonders schwankungsanfälligen Positionen Lebensmittel und
Energie. Diese ist in Deutschland anders als in den meisten
Euroländern zuletzt leicht gestiegen, was allerdings
wiederum mit den Entlastungen im vergangenen Jahr
zusammenhängt.
Auf der anderen Seite sehen die Fachleute für die kommenden
Monate ein deutliches Potenzial für Preissenkungen. Denn
sowohl Energie als auch Agrarrohstoffe notieren im
Großhandel viel niedriger als vor einem Jahr. Da Kosten für
Energie in fast alle Produkte und Dienstleistungen
einfließen, dürfte der Preisdruck großflächig nachlassen,
analysieren Tober und Dullien: „Es ist zu erwarten, dass die
Inflationsrate in der zweiten Jahreshälfte deutlich geringer
ausfällt und auch die Kernrate durch die geringeren
Energiepreise gedämpft wird, zumal die Auflösung von
Lieferengpässen und die Verringerung von Extragewinnen die
Wirkung der erhöhten Lohnsteigerungen kompensieren dürften.“
Von weiteren Erhöhungen der EZB-Leitzinsen sei daher aktuell
abzuraten, zumal diese mit erheblicher Verzögerung wirken.
Informationen zum Inflationsmonitor Für den IMK
Inflationsmonitor werden auf Basis der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts die
für unterschiedliche Haushalte typischen Konsummuster
ermittelt. So lässt sich gewichten, wer für zahlreiche
verschiedene Güter und Dienstleistungen – von Lebensmitteln
über Mieten, Energie und Kleidung bis hin zu
Kulturveranstaltungen und Pauschalreisen – wie viel ausgibt
und daraus die haushaltsspezifische Preisentwicklung
errechnen.
Die Daten zu den Haushaltseinkommen stammen ebenfalls aus
der EVS. Im Inflationsmonitor werden neun repräsentative
Haushaltstypen betrachtet: Paarhaushalte mit zwei Kindern
und niedrigem (2000-2600 Euro), mittlerem (3600-5000 Euro),
höherem (mehr als 5000 Euro) monatlichem
Haushaltsnettoeinkommen; Haushalte von Alleinerziehenden mit
einem Kind und mittlerem (2000-2600 Euro) Nettoeinkommen;
Singlehaushalte mit niedrigem (unter 900 Euro), mittlerem
(1500-2000 Euro), höherem (2000-2600 Euro) und hohem (mehr
als 5000 Euro) Haushaltsnettoeinkommen sowie Paarhaushalte
ohne Kinder mit mittlerem Haushaltsnettoeinkommen zwischen
3600 und 5000 Euro monatlich. Der IMK Inflationsmonitor wird
monatlich aktualisiert.
*Sebastian Dullien, Silke Tober IMK Inflationsmonitor.
Basiseffekte überlagern Abwärtstendenz der Inflation –
Inflationsunterschiede zwischen Haushalten im Juni 2023
sinken leicht. IMK Policy Brief Nr. 154, Juli 2023
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