Straßburg/Berlin/Duisburg, 8. Mai 2025
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Die geopolitische und strategische Bedeutung der
Türkei kann demokratische Rückschritte nicht
ausgleichen und die EU-Beitrittskriterien sind nicht
verhandelbar, so das Europäische Parlament.
Unter den gegenwärtigen Umständen kann der
EU-Beitrittsprozess der Türkei - trotz der
demokratischen und pro-europäischen Bestrebungen
eines großen Teils der türkischen Gesellschaft -
nicht wiederaufgenommen werden, so die Abgeordneten
in einem Bericht, der am Mittwoch mit 367
Ja-Stimmen, 74 Nein-Stimmen und 188 Enthaltungen
angenommen wurde.
Die türkische Regierung habe es versäumt,
grundlegende demokratische Mängel zu beheben,
heißt es in dem Text, der auch auf die zunehmende
Verschiebung innerhalb der EU zu einem „anderen
Rahmen für die Beziehungen [hinweist], was auf
Kosten des Beitrittsprozesses geschehen könnte“.
Das Parlament fordert die türkische Regierung, die
EU-Institutionen und die EU-Mitgliedstaaten auf,
weiterhin auf eine engere, dynamischere und
strategische Partnerschaft hinzuarbeiten und dabei
besonderes Augenmerk auf Klimaschutz,
Energiesicherheit, Zusammenarbeit bei der
Terrorismusbekämpfung und regionale Stabilität zu
legen.
EU-Beitrittskriterien stehen nicht zur
Disposition
Die Abgeordneten sind zutiefst besorgt über die
anhaltende Verschlechterung der demokratischen
Standards in der Türkei und über die unerbittliche
Unterdrückung kritischer Stimmen. Sie verurteilen
das harte Vorgehen bei den jüngsten friedlichen
Massenprotesten und die strafrechtliche Verfolgung
von Hunderten von Demonstranten in übereilten
Massenprozessen, bei denen keinerlei Beweise für
kriminelles Fehlverhalten vorliegen. Die
Abgeordneten halten die Angriffe auf den Istanbuler
Bürgermeister Ekrem İmamoğlu für politisch
motiviert, um einen legitimen Herausforderer bei den
bevorstehenden Wahlen zu verhindern.
Die EU-Mitgliedschaft setzt die Erfüllung
bestimmter Beitrittskriterien voraus, wie stabile
Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit,
Menschenrechte, Achtung und Schutz von Minderheiten,
nachbarschaftliche Beziehungen, Einhaltung des
Völkerrechts sowie die Anpassung an die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik der EU.
Dabei handelt es sich um absolute Kriterien, die
nicht Gegenstand strategischer Überlegungen oder
Verhandlungen sind, heißt es in dem Bericht. Die
Abgeordneten verurteilen auch den jüngsten
illegalen Besuch von Präsident Erdoğan in den
besetzten Gebieten der Republik Zypern und seine
„provokanten Äußerungen“ als „unilaterale Aktion“
und gleichbedeutend mit einer direkten illegitimen
Intervention gegen die Interessen der griechischen
und türkisch-zypriotischen Gemeinschaften.
Sie betonen, dass die demokratischen und
pro-europäischen Bestrebungen der Mehrheit der
türkischen Gesellschaft, insbesondere der türkischen
Jugend, ein wichtiger Grund dafür sind, den
Beitrittsprozess der Türkei am Leben zu erhalten,
auch wenn er auf Eis liegt.
Vertiefte Zusammenarbeit in Bereichen von
gemeinsamem strategischem Interesse
Die Abgeordneten würdigen die strategische und
geopolitische Bedeutung der Türkei und ihre
zunehmende Präsenz und ihren Einfluss in Gebieten,
die für die internationale Sicherheit entscheidend
sind, wie in der Schwarzmeerregion, der Ukraine und
im Nahen Osten. Die Türkei ist ein strategischer
Partner und ein NATO-Verbündeter. Es ist auch ein
Land, mit dem die EU enge Beziehungen in den
Bereichen Sicherheit, Handel, Wirtschaft und
Migration unterhält, fügen die Abgeordneten hinzu.
Daher ist es wichtig, einen konstruktiven Dialog
aufrechtzuerhalten und die Zusammenarbeit in
Bereichen von beidseitigem strategischen Interesse
zu vertiefen.
Die Abgeordneten warnen jedoch davor, dass
demokratische Rückschritte und eine fehlende
Anpassung an die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der EU keine wesentlichen
Fortschritte in dieser Hinsicht ermöglichen.
Der Berichterstatter,
Nacho Sánchez Amor (S&D, ES),
sagte: "Wir hören ständig von den türkischen
Behörden, dass sie sich angeblich für die
EU-Mitgliedschaft einsetzen und wie wichtig es für
uns ist, diesen Prozess aus sicherheits- und
geopolitischen Gründen wiederzubeleben, aber sie
haben da etwas falsch verstanden. Bei der
Mitgliedschaft geht es um Demokratie, und je weiter
sie sich in Richtung einer Autokratie
bewegen - wie kürzlich bei der
Verhaftung von Ekrem İmamoğlu zu beobachten
war - desto weiter entfernen sie sich von
der EU-Mitgliedschaft."
EU-Beitrittsprozess der Türkei muss eingefroren
bleiben
• Anhaltende Verschlechterung der demokratischen
Standards in der Türkei
• EU-Parlamentarier verurteilen hartes Vorgehen bei
friedlichen Massenprotesten
• Vertiefte Zusammenarbeit mit der Türkei in
Bereichen von gemeinsamem strategischem Interesse
• Kritik am illegalen Besuch Präsident Erdoğans in
den besetzten Gebieten der Republik Zypern
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