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Neue „Maria-Weber Grants“ verliehen: Hans-Böckler-Stiftung fördert herausragende junge Wissenschaftlerinnen

Nachwuchsförderung


Düsseldorf, 26. Mai 2023 - Neue „Maria-Weber Grants“ verliehen: Hans-Böckler-Stiftung fördert herausragende junge Wissenschaftlerinnen Sie stecken mitten in einer Rush-Hour des (akademischen) Lebens: Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Post-Doc-Phase befinden oder eine befristete Juniorprofessur innehaben.


Sie müssen forschen und publizieren, Lehrveranstaltungen geben und Verwaltungsarbeit übernehmen, sich austauschen und vernetzen, oft in Kombination mit Kinderbetreuung. Und zugleich immer den akademischen Arbeitsmarkt im Blick halten. Das macht Fördermittel wie den „Maria-Weber-Grant“, benannt nach der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1972 bis 1982, umso wertvoller.

Der „Maria-Weber-Grant“ der Hans-Böckler-Stiftung gibt ausgewählten Hochschulbeschäftigten die Möglichkeit, sich für einige Zeit vorrangig auf ihre Forschungsarbeit zu konzentrieren – eine wesentliche Voraussetzung, um eine feste Professur zu erhalten. 2023 werden drei herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen mit dem „Maria-Weber-Grant“ ausgezeichnet, den die Stiftung seit 2018 vergibt.

Das sind die diesjährigen Trägerinnen des Grants: 
Dr. Renate Hartwig ist Juniorprofessorin für Entwicklungsökonomie an der Georg-August-Universität Göttingen. Dort arbeitet sie unter anderem zu Geschlechteraspekten von Demografie und Migration. Ihrem aktuellen Forschungsprojekt hat sie einen Titel gegeben, den sie selbst „kontrovers“ nennt: „Missing women & angry young men“. Darin untersucht Hartwig, wie sich Gesellschaften entwickeln, wenn es deutlich weniger junge Frauen als Männer gibt. Ein Phänomen, das in China ebenso zu beobachten ist wie in Ostdeutschland.   

Dr. Sarah May ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Das große Thema der Kulturwissenschaftlerin ist Holz. Genauer gesagt: Wald und Holzwirtschaft in Zeiten des Klimawandels. Auf Grundlage von Interviews und Beobachtungen in Forstbetrieben und Behörden, in Sägewerken und Tischlereien, in Instrumentenbauwerkstätten und Industriebetrieben möchte May ethnografisch dicht beschreiben, wie die vielen unterschiedlichen Akteur*innen mit den Herausforderungen umgehen, die der Klimawandel für die tradierten Formen der Waldbewirtschaftung mit sich bringt.

Dr. Almut Peukert ist Juniorprofessorin für Arbeit, Organisation und Gender an der Universität Hamburg. Das Forschungsthema, das sie umtreibt, begleitet jeden Menschen das ganze Leben lang: Care- oder Sorgearbeit – für Kinder, Ältere und im Fall von Krankheit. Wer sich um wen kümmert (oder nicht), ist zudem ein Thema mit hoher Dynamik, das die Gesellschaft zusammenbringen oder auseinandertreiben kann: „Ich erforsche den Wandel von bezahlter und unbezahlter Carearbeit, von Elternschaft und Familie und wie Sozial- und Familienpolitik das beeinflusst“, sagt Peukert. Und beleuchtet dabei ebenso „Konflikte und soziale Ungleichheiten“ wie „neue Solidaritäten und Potenziale für egalitäre Arbeitsteilungen“.

Die Grants der Hans-Böckler-Stiftung dienen dazu, für ein oder zwei Semester eine Teilvertretung für die Lehrverpflichtungen der Preisträgerinnen und Preisträger zu finanzieren. Dafür erhalten die Hochschulen der drei diesjährigen Geförderten pro Semester jeweils 20.000 Euro Förderung durch das Begabtenförderungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der „Maria-Weber-Grant“ wird jeweils zum September eines Jahres ausgeschrieben und richtet sich an Habilitierende sowie Juniorprofessor*innen aller Fachrichtungen. Die neue Ausschreibungsrunde für die Grants 2024 hat soeben begonnen.

Der „Maria-Weber-Grant“ schenkt zeitliche Freiräume, damit exzellente junge Forschende sich profilieren und so eine Chance auf eine dauerhafte Karriere im Wissenschaftsbetrieb erhalten können. Dabei geht es keinesfalls darum, Forschung gegen Lehre auszuspielen. Die Bewerber*innen zeigen deutlich, dass gerade die Postdocs und Juniorprofessor*innen sich besonders für eine gute Lehre stark machen, sich engagieren und methodisch fortbilden in einer der wichtigsten Phasen der akademischen Karriere.

Ebenso ist es ein erklärtes Ziel, gute Lehre durch stabile Beschäftigung langfristig abzusichern. Die Gewerkschaften machen sich seit Langem für eine verlässliche und faire Personalentwicklung an Hochschulen stark, auch wenn es dafür noch viel zu tun gibt. 

 Gleichzeitig steht dieser Grant auch für die Stärkung der Innovation und wissenschaftlichen Expertise an deutschen Universitäten, sowohl fachlich als auch in der Förderung von Chancengleichheit für Frauen in der Wissenschaft.  Gemeinsam haben die Ausgezeichneten, dass sie sich nicht nur mit interessanten Forschungsinhalten beworben haben, sondern auch durch die hohe Qualität und Strahlkraft ihrer Arbeit nach außen überzeugen konnten. Juniorprofessor*innen, die sich auf den Grant bewerben, müssen bereits eine positive Zwischenevaluation durchlaufen haben, Habilitierende ein fachliches Gutachten beilegen. Zusätzlich führt die Hans-Böckler-Stiftung ein Peer-Review-Verfahren durch.  

Dr. Renate Hartwig VON FEHLENDEN FRAUEN UND WÜTENDEN JUNGEN MÄNNERN
China und Ostdeutschland mögen nicht allzu viel gemeinsam haben, doch in einem Punkt ähneln sie sich: Es gibt mehr Männer als Frauen im heiratsfähigen Alter. Und das sorgt für Probleme. „Studien zeigen, dass der durch die Ein-Kind-Politik in China verursachte Männerüberhang mit einem Anstieg der Kriminalitätsrate einhergeht“, sagt Renate Hartwig, Juniorprofessorin für Entwicklungsökonomie an der Georg-August-Universität Göttingen und Research Fellow am German Institute for Global & Area Studies (GIGA) in Hamburg.

„Auch in den ostdeutschen Bundesländern wird das Geschlechterungleichgewicht mit Kriminalität in Verbindung gebracht – vor allem mit Hassverbrechen.“ Hartwig möchte verstehen, woher diese Zusammenhänge kommen, welche Konsequenzen sie haben und wie sich den negativen Folgen begegnen lässt. Ihrem Forschungsprojekt hat sie einen Titel gegeben, den sie selbst „kontrovers“ nennt: „Missing women & angry young men“. Fehlende Frauen und wütende junge Männer also. Renate Hartwig aus Weiden ist so etwas wie eine wissenschaftliche Globetrotterin.

Ihr Studium der Demografie und der Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Entwicklungsökonomik absolvierte sie in London, Rotterdam, Den Haag und im schwedischen Lund. Während ihrer Promotion weilte sie für Forschungsaufenthalte an der Paris School of Economics und der Australian National University in Canberra. Anschließend forschte Hartwig an der Universität von Namur in Belgien sowie in den USA, leitete Forschungsprojekte in Georgien, in Indonesien und vor allem in Afrika. Ihre Aufenthalte in Burkina Faso und Ruanda zählt sie zu den einschneidendsten Etappen ihres Lebenslaufs.

„Dort habe ich unglaublich viele wertvolle Freundschaften geschlossen mit Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Geschichten, Erfahrungen und Perspektiven“, sagt sie. „Viele der Geschichten sind Anstoß und finden sich in meiner Forschung wieder.“ Was Hartwig tut, bezeichnet sie als „angewandte Mikroökonomie mit besonderem Fokus auf Entwicklung, Gesundheit, Familiengründung und intra-familiärer Interaktion“. Das klingt vielleicht sperrig, doch die Relevanz ihrer Forschung macht die Ökonomin in wenigen Worten klar. Bis 2050, erklärt sie, werden in Afrika ähnlich viele Menschen leben wie in Asien. „Diese Umverteilung hat geopolitische Brisanz.“

Gleichzeitig nehme die weltweite Migration weiter zu, befeuert durch Klimawandel und Konflikte – und nicht selten geschlechterspezifisch ausgeprägt, wie aktuell die Flucht von Frauen und Kindern aus der Ukraine zeige. „Diese Entwicklungen“, sagt Hartwig, „können sich disruptiv auf Familien und Familiengründung sowohl in den Heimat- als auch in den Zielländern auswirken – und in Konsequenz auch auf die gesamte Gesellschaft.“

Wissenschaft soll für Hartwig nicht Wettbewerb und Konkurrenzkampf sein, sondern Austausch und Zusammenarbeit. „Ich möchte Vorbild sein“, sagt die dreifache Mutter, „für meine Kinder, meine Studierenden und Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte den Weg ebnen für mehr Frauen und Mütter in der Wissenschaft und für einen kollaborativen Umgang miteinander werben.“ Einen Umgang, in dem Wissensgewinn, Wissenstransfer und Relevanz im Vordergrund stehen. Und der insbesondere auch die lokalen Partner*innen vor Ort nicht vergisst, wenn es um den Zugang zu Ressourcen und gute Forschungsbedingungen geht.

Dr. Sarah May: ETHNOGRAFISCHER BLICK AUF DIE HOLZWIRTSCHAFT
Es dürfte kaum einen Rohstoff geben, der mit so vielen und so widersprüchlichen Bedeutungen aufgeladen ist wie Holz. Man kann mit Holz bauen, wohnen, arbeiten, Geschäfte machen. Man kann daraus kunstvolle Möbel und kostbare Musikinstrumente erschaffen, man kann es aber auch verheizen. Man kann es als nachwachsendes Wirtschaftsgut betrachten, das im Wald mit großen Maschinen zu ernten ist. Man kann es aber auch als wichtigen CO2-Speicher sehen, der so schonend behandelt werden sollte wie möglich.

Die Kulturwissenschaftlerin Sarah May findet die Vielfalt dieser Nutzungen, Deutungen und Praktiken hochspannend. Und sie will erforschen, wie sie sich unter den Vorzeichen der Klimakrise und der nötigen Transformation der Holzwirtschaft verändern.
„Die Verschränkung von Ökologie und Ökonomie wird von zahlreichen Wissenschaftler*innen und Disziplinen erforscht“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Mich reizt es, diesen Diskurs durch Kulturanalysen zu bereichern, die konsequent die Perspektiven der involvierten Akteur*innen nachzeichnen.“

 Auf Grundlage von Interviews und (teilnehmenden) Beobachtungen in Forstbetrieben und Behörden, in Sägewerken und Tischlereien, in Instrumentenbauwerkstätten und Industriebetrieben möchte May ethnografisch dicht beschreiben, wie die vielen unterschiedlichen Akteur*innen mit den Herausforderungen umgehen, die der Klimawandel für die tradierten Formen der Waldbewirtschaftung mit sich bringt. „Mich interessiert das Spannungsfeld, das sich angesichts von Vorstellungen eines ‚Grünen Wachstums‘ oder einer ‚Bioökonomie‘ auftut“, sagt die Kulturwissenschaftlerin.

„Wie korrelieren Vorstellungen von Klima- und Umweltschutz mit Idealen wirtschaftlichen Profits und Wohlstand – im Holzhandwerk, in der Wald- und Holzwirtschaft, in der (politischen) Wirtschaftsförderung?“ May, geboren 1983 in Bad Friedrichshall und Mutter zweier Kinder, hat in Tübingen studiert und dort auch ihren Doktortitel erworben. In ihrer Dissertation ging es allerdings noch nicht um Holz, sondern um, zum Beispiel, Käse: May schrieb über die Konstituierung kulturellen Eigentums durch geografische Herkunftsangaben bei Lebensmitteln.

Sie forschte in Italien, Österreich und der Schweiz und lehrte mehrere Jahre lang an der Universität Zürich. Seit 2016 ist sie am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg tätig und erlebt dort akademisches Arbeiten so, wie sie es sich vorstellt: mit einem großen Gestaltungsfreiraum und einer engen Verzahnung von Forschung und Lehre. „Das ist mir enorm wichtig“, sagt sie.

So arbeitete May bei einem Lehrforschungsprojekt zur Bioökonomie nicht nur mit Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden zusammen, sondern auch mit Vertreter*innen eines landwirtschaftlichen Verbands, mit Designer*innen und Podcaster*innen. Aus der akademischen Welt hinauszutreten und mit Menschen zu sprechen, die ganz anders denken und arbeiten, das ist es, was May auch an ihrer Habilitationsforschung zum Thema Holz und Handwerk so gefällt: „Diese Begegnungen“, sagt sie, „inspirieren mich am stärksten für meine Arbeit.“


Juniorprofessorin Dr. Almut Peukert
WIE SICH SORGEARBEIT UND ELTERNSCHAFT VERÄNDERN

Wenn man Almut Peukert fragt, wen ihre Forschung betrifft, dann gibt sie die maximal einfache Antwort. „Alle“, sagt sie. Denn das Thema, das die Juniorprofessorin für Arbeit, Organisation und Gender an der Universität Hamburg umtreibt, begleitet jeden Menschen das ganze Leben lang: Peukert beschäftigt sich mit Sorgearbeit.

„Wenn wir jung sind, sind wir alle auf Care angewiesen“, erklärt sie. „Im Lebensverlauf rückt dann das Thema Selbstsorge und Sorge für Kinder sowie ältere und kranke Angehörige stärker in den Mittelpunkt.“

Anders ausgedrückt: Wie in einer Gesellschaft Sorgearbeit organisiert ist, wer welche Sorgetätigkeiten übernimmt (oder eben nicht), kann eigentlich niemanden kaltlassen. Peukert, geboren 1983 in Dresden und Mutter zweier Kinder, hat Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie studiert, in Tübingen und im australischen Queensland, wo sie die „Lehre und Forschung auf Augenhöhe und mit wechselseitiger Wertschätzung“, so erzählt sie es, nachhaltig beeindruckt hat.

Schon in ihrer Masterarbeit und in ihrer Dissertation – beide preisgekrönt – widmete sich die Sozialwissenschaftlerin Fragen von Geschlechterungleichheiten. Ein Forschungsinteresse, dem sie bis heute treu geblieben ist. „Ich erforsche den Wandel von bezahlter und unbezahlter Carearbeit, von Elternschaft und Familie und wie Sozial- und Familienpolitik das beeinflusst“, sagt Peukert. „Dabei interessiert mich, welche Konflikte und sozialen Ungleichheiten, aber auch welche neuen Solidaritäten und Potenziale für egalitäre Arbeitsteilungen und sozial nachhaltige Arrangements, Lebensformen und Lebensweisen sich beobachten lassen.“

Zusammen mit ihrem Kollegen Wolfgang Menz, ebenfalls Professor für Soziologie an der Universität Hamburg, leitet Peukert den interdisziplinären Forschungsverbund „Sorgetransformationen“, in dem sich 17 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Blickwinkeln dem Problem von Sorgelücken nähern. „Das existentielle menschliche Bedürfnis nach Erziehung, Pflege und Fürsorge wird gegenwärtig in vielen Bereichen nicht hinreichend erfüllt“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das betrifft Familien, das betrifft die Kinder- und Jugendhilfe und – Stichwort Generationengerechtigkeit – auch die Pflege von Älteren.“

Peukert selbst untersucht in einem Teilprojekt die Folgen der Corona-Pandemie auf Geschlechterungleichheiten. Sie will wissen, wie Paare mit Kindern während der Pandemie ihre innerfamiliale Arbeitsteilung und insbesondere die zeitliche und räumliche Gleichzeitigkeit von Erwerbsarbeit und Familienarbeit ausgehandelt haben. „Mich fasziniert, wie vielfältig das Thema Sorgearbeit ist“, sagt Peukert.

Ob Kinderbetreuung, Kitas, Familienarbeit, Krankenpflege, Selbstsorge oder Altenpflege: Immer träfen dabei Menschen in ganz unterschiedlichen Rollen aufeinander, sei eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen beteiligt, variierten die technischen oder räumlichen Rahmenbedingungen. Und nicht zuletzt: „Wir alle haben bestimmte Vorstellungen, wie gute Carearbeit aussieht“, sagt die Forscherin. „Doch welche Normen und Werte sich durchsetzen, das muss gesellschaftlich und politisch immer wieder verhandelt werden.“ Wozu dann auch die Antwort auf die Frage gehöre, wie Sorgetätigkeiten eigentlich angemessen finanziert und professionalisiert werden sollen.